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Sie erwachte spät, kurz vor Mittag, und setzte sich an ihren Toilettentisch, um sich im Spiegel zu betrachten.

Ein schöner Anblick! Es war unbegreiflich, wie die körperlose Erscheinung, noch dazu aus einem Klafter Entfernung, Polina Andrejewna so hatte zu Boden werfen können, doch der Schlag gegen die Schläfe und auf den Schädel war sehr real gewesen: Seitlich vom linken Auge befand sich eine riesige, blutunterlaufene Schwellung, die sich nach unten und oben hin beinahe über die ganze Gesichtshälfte ausbreitete.

Der Kummer über ihre Verunstaltung ließ sogar die Erinnerung an den schrecklichen mysteriösen Vorfall verblassen und in den Hintergrund treten.

Verzagt wandte Frau Lissizyna dem Spiegel ihr unversehrtes Profil zu und betrachtete es schräg von der Seite – es sah ganz anständig aus. Dann aber blickte sie wieder von vorn in den Spiegel und stöhnte. Und von der linken Seite betrachtet sah ihr Gesicht wahrscheinlich aus wie eine Aubergine.

Das war sie, die Schönheit des Fleisches – Staub und Moder, mit einer saftigen Ohrfeige als Preis, sagte sich Polina Andrejewna, und sie dachte an ihren nur vorübergehend aufgegebenen Stand als Nonne. Der Gedanke war richtig, ja löblich, doch brachte er ihr keinen Trost.

Vor allem – wie sollte sie in diesem Zustand auf die Straße gehen? Sie konnte doch nicht eine Woche lang im Zimmer sitzen, bis der blaue Fleck verschwunden war!

Sie musste sich etwas überlegen.

Schwer seufzend und mit einem schlechten Gewissen holte die Lissizyna eine Kosmetikgarnitur aus dem Koffer – ein weiteres Geschenk der Reiseagentur »Cook and Kantorowicz«, das man ihr zusammen mit dem bereits erwähnten Handarbeitsbeutel überreicht hatte. Nur hatte die Pilgerin die Kosmetik, im Unterschied zu dem praktischen Beutelchen, natürlich nicht benutzen wollen. Sie hatte sie einer weltlichen Frau schenken wollen, aber daraus würde nun nichts werden.

Eine schöne Nonne, kein Zweifel, sagte sich Polina Andrejewna in Gedanken, als sie den hässlichen blauen Fleck überpuderte. Und obendrein beneidete sie die Brünetten: Diese hatten eine dicke, bräunliche Haut, die schnell heilte, für Rothaarige mit ihrer blassen Haut hingegen waren blaue Flecken einfach eine Katastrophe.

Es sah trotz allem schlimm aus, selbst mit der Kosmetik. Im lasterhaften Petersburg oder im leichtsinnigen Moskau konnte man sich in diesem Zustand wahrscheinlich noch auf der Straße zeigen, vor allem, wenn man einen Schleier trug, doch im frommen Ararat war nicht daran zu denken – man wurde möglicherweise sogar gesteinigt, wie es der Dirne im Evangelium fast widerfahren wäre.

Was sollte sie machen? Gepudert konnte sie das Haus nicht verlassen, und ohne Puder, mit dem blauen Fleck, erst recht nicht. Aber es war keine Zeit zu verlieren.

Sie überlegte hin und her, und schließlich fiel ihr etwas ein.

Sie zog ein ganz einfaches Kleid aus schwarzem Tibetstoff an. Dann hüllte sie den Kopf in ein Pilgertuch, das sie so tief wie möglich ins Gesicht zog, bis zu den Augenwinkeln. Den noch sichtbaren Teil des blauen Flecks überpuderte sie. Wenn man nicht allzu genau hinsah, fiel der Fleck kaum auf.

Sie huschte zum Ausgang und bedeckte die Wange mit dem Tuch. Die gelbe Reisetasche hatte sie bei sich – sie wagte nicht, sie im Zimmer zurückzulassen. Man weiß ja, wie Hotelangestellte sind – überall stecken sie ihre Nase hinein, wühlen in den Sachen. Gott behüte, dass sie den Revolver oder das Protokoll der Leichenschau finden würden. Die Tasche war keine allzu große Last und zog ihr nicht die Arme herunter.

Auf der Straße hielt die Pilgerin den Blick gesenkt, und sie ging ruhig und demütig bis zu dem zentralen Platz, an dem sie gestern ein kleines Geschäft für Klosterbekleidung gesehen hatte.

Bei dem als Verkäufer tätigen Mönch kaufte sie für drei Rubel fünfundsiebzig Kopeken das Gewand eines Klosterbruders: ein Käppchen, einen leichten baumwollenen Leibrock, einen Stoffgürtel. Um keinen Verdacht zu erregen, sagte sie, sie kaufe die Sachen als Geschenk für das Kloster. Der Verkäufer wunderte sich keineswegs, die Pilger kauften häufig Gewänder für die Ordensbrüder, eben dafür war das Geschäft ja da.

Also hatte Polina Andrejewna sich eine neue Maskerade ausgedacht, noch unziemlicher und lästerlicher als die erste. Aber was hätte sie denn tun sollen? Außerdem war ihr eben erst eingefallen, dass sie sich als bescheidener Mönch verkleidet noch ungehinderter würde bewegen können.

Sie ließ sich die neue Idee durch den Kopf gehen und hielt Ausschau nach einem geeigneten Ort, wo sie sich würde umkleiden können. Sie spazierte durch weniger belebte Straßen und blickte sich nach allen Seiten um.

Ob als Folge des Schlags oder aus Arger über ihr verunstaltetes Äußeres, jedenfalls war Frau Lissizyna heute nervös und unruhig. Seit sie das Hotel verlassen hatte, verspürte sie ein eigenartiges, mit Worten schwer zu beschreibendes Gefühl. Als sei sie nicht allein, als ginge jemand neben ihr, unsichtbar, der sie beobachtete oder sie ausspähte. Und dieses Beobachten hatte offenkundig einen bösen, feindseligen Zweck. Polina Andrejewna schalt sich für ihren Aberglauben und ihre weibliche Empfindlichkeit, blickte sich aber mehrmals um. Sie sah nichts. Einige Mönche gingen auf der Straße ihren Geschäften nach, jemand stand in einem Torbogen und las eine Kirchenzeitung, jemandem waren die Streichhölzer heruntergefallen, und er bückte sich, um sie aufzuheben. Ganz gewöhnliche Passanten.

Später vergaß die Lissizyna das ungute Gefühl, weil sie einen ausgezeichneten Platz zum Umkleiden entdeckt hatte, der obendrein nur fünf Minuten von der ›Keuschen Jungfrau‹ entfernt lag.

An der Ecke der Uferstraße stand ein zugenagelter Pavillon mit dem Schild: »Heiliges Wasser. Automaten«. Die Fassade war zur Promenade hin ausgerichtet, der rückwärtige Teil zu einem geschlossenen Zaun.

Polina Andrejewna umrundete die Bretterbude und schlüpfte durch einen Spalt zwischen Pavillon und Zaun. Welch ein Glück – die Tür war nur mit einem ganz simplen Vorhängeschloss versperrt. Die unternehmungslustige Dame stocherte ein wenig mit der Stricknadel darin herum (vergib, o Herr, auch diese Sünde), und schon huschte sie hinein.

Entlang der Wände standen sperrige Metallkästen mit kleinen Kränen, der Platz in der Mitte war leer. Durch die Ritzen zwischen den Brettern sickerte Licht, die Stimmen der Spaziergänger von der Uferstraße drangen herein. In der Tat, der Ort war hervorragend geeignet.

Die Lissizyna zog flink ihr Kleid aus. Sie überlegte, was sie mit den langen Unterhosen machen sollte, und ließ sie an – der Leibrock war lang, man würde nichts sehen, zudem war es wärmer so. Schließlich war es nicht mehr Juli.

Die Schuhe sahen zwar aus wie Männerschuhe und hatten abgerundete Spitzen, wie es die neueste Mode verlangte, aber dennoch waren sie für einen Klosterbruder zu stutzerhaft. Aber Polina Andrejewna rieb sie mit Staub ein und beschloss, das müsste reichen. Frauen kennen sich im Schuhwerk für Mönche nicht aus, und Mönche sind Männer und haben kein Auge für solche Kleinigkeiten, weshalb sie wohl kaum darauf achten würden.

Den Beutel mit dem Strickzeug ließ sie umgehängt. Vielleicht würde sie irgendwo warten oder jemanden beobachten müssen. Viele Mönche beschäftigten sich mit Strickarbeiten, also würde das keinen Verdacht erregen, und zum Klappern der Nadeln konnte man besser denken.

Sie schob den Beutel unter das Gewand, mochte er da hängen.

Die Reisetasche verbarg sie zwischen den Automaten. Sie zupfte die kurzen Haare unter der Kappe hervor, zog den Leibrock zurecht und rieb den Puder mit der Hand ab.

Kurzum, eine bescheidene junge Dame hatte den Pavillon betreten, und nach zehn Minuten kam ein schmaler, rothaariger junger Mönch heraus, ganz unauffällig, wenn man natürlich den riesigen blauen Fleck auf der linken Gesichtshälfte außer Acht ließ.