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»Nur einen einzigen Blick, ja?«

Der Mönch faltete die beiden Scheine auseinander, strich sie liebevoll glatt und schüttelte sein graues Zottelhaar.

»Mit beiden Augen wird das bei dir ja auch nichts, hihi!«, wieherte Kleopa, sehr zufrieden mit seinem Scherz. »Wo hast du denn deine Visage so zugerichtet, he? Hast dich wohl mit den Handwerkern in der Wolle gehabt? Ein stilles Wasser, aber man sieht, dass du es faustdick hinter den Ohren hast. Ist es wegen der Mädchen? Oh, du wirst nicht lange Klosterbruder bleiben, Pelagi. Sie werden dich rausschmeißen. Sag, waren es die Handwerker? Wegen der Mädchen?«

»Ja, genau«, bekannte der junge Mönch mit gesenktem Kopf.

»So, so. ›Ich will ein heiliger alter Mönch werden‹«, spottete Kleopa, während er sich den halben Rubel und die Geldscheine hinter den Gürtel stopfte. »Und auf die Insel willst du wohl aus Übermut? Lüg nicht, sag die Wahrheit!«

»Das ist doch schließlich interessant.« Pelagi schneuzte sich und schlüpfte damit endgültig in seine neue Rolle.

»Woher hast du denn so viel Geld? Aus dem Opferstock stibitzt?«

»Nein, Vater, wo denken Sie hin! Mein Papachen ist Kaufmann. Er hat Mitleid mit mir und schickt mir manchmal Geld.«

»Kaufmann – das ist gut. Hat er dich wegen deiner Streiche ins Kloster gesteckt? Macht nichts, wenn er Mitleid hat, wird er sich auch erbarmen und dich wieder aufnehmen, warte nur. Also, Pelagi«, der Fährmann überflog das leere Ufer mit einem Blick und überlegte. »Letztes Jahr ist Folgendes passiert: Ich hab mir die ganze rechte Hand an Vater Martiris Fresse aufgeschlagen – der stinkende Hund hat seine Zähne in meine Faust geschlagen. Ich hab mir so die Hand verletzt, dass ich nicht mehr rudern konnte. Da hab ich mit Iesikil dem Feger abgemacht, dass er mir hilft: ich am einen Ruder, er am anderen . . . Drei Tage haben wir das so gemacht. Ja, so war das. Wenn man uns jetzt sieht, sag ich, dass mir wieder die Hand wehtut. Steig ein!«

Er riss einen Streifen Stoff vom Unterkleid ab und band ihn sich um die Hand.

Sie setzten sich an die Ruder und fuhren los.

»Jetzt hör mir gut zu«, warnte Kleopa streng. »Dass du mir keinen Fuß aus dem Boot setzt! Auf die Insel darf nur ich allein. Und sperr die Ohren auf, was der Mönch sagt, mein Kopf ist löchrig geworden, und er sagt es nicht zweimal. Manchmal habe ich seine Worte, ehrlich gesagt, schon wieder vergessen, bis ich beim Vater Wirtschafter bin. Dann erfinde ich etwas, was mir gerade so einfällt.«

Pelagi warf beim Rudern hin und wieder einen Blick über die Schulter auf die langsam näherkommende Nachbarinsel. Dort war alles leer und reglos: schwarze Steine, welkes graues Gras, Kiefern ragten auf der Spitze des Hügels in die Höhe wie zu Berge stehende Haare.

Das Boot lief mit dem Bug auf Sand. Bruder Kleopa nahm den Korb mit Lebensmitteln und sprang ans Ufer. Seinem Partner drohte er mit dem Finger: Du bleibst schön ruhig hier sitzen!

Der Klosterbruder drehte sich auf der Bank herum, stützte das Kinn in die Hände und sperrte die Augen auf – kurz, er machte sich bereit.

Er sah, wie einer der schwarzen Findlinge sich plötzlich bewegte, als spalte er sich in zwei Teile, einen größeren und einen kleineren. Der kleinere Teil richtete sich auf und sah aus wie ein kompakter schwarzer Sack, oben spitz zulaufend, unten breiter.

Langsam setzte er sich in Bewegung und kam hinunter, dem Streifen der Brandung entgegen. Pelagi erkannte zwei Hände, einen Stab, die weiß eingefassten Kanten des Gewands, das Zeichen des Abts, und unterhalb der Kapuzenspitze einen Schädel mit gekreuzten Knochen. Die Hand des Knaben machte ganz von selbst das Kreuzzeichen.

Mit einer geübten Bewegung legte der Fährmann die mitgebrachten Dinge auf einen flachen Stein: drei kleine Brote, drei irdene Töpfe, ein Säckchen mit Salz. Dann trat er zu dem Mönch, berührte dessen gelbliche, knochige Hand flüchtig mit den Lippen und wurde mit dem Kreuzzeichen gesegnet.

Pelagi saß ganz zusammengekauert im Boot. Der Schädel mit den Knochen war natürlich ein schauerlicher Anblick, aber am schlimmsten waren die Sehschlitze vor dem verhüllten Gesicht, durch die zwei glänzende Augen direkt auf den Klosterbruder blickten. Aber selbst das war dem gesichtslosen Mönch Israil noch nicht genug. Obwohl er nur mit Mühe gehen konnte, kam er unmittelbar an das Boot heran, stellte sich vor den verschüchterten jungen Mönch und starrte ihn eine Weile an – er war es wohl nicht gewöhnt, neben Kleopa noch andere Abgesandte aus der Außenwelt zu sehen.

Der Fährmann erklärte:

»Ich hab mir die Hand verletzt, alleine kann ich nicht rudern.«

Der Abt nickte und starrte den Neuling weiterhin unverwandt an. Kleopa räusperte sich und fragte:

»Wie heißt der heutige Spruch?«

Pelagi schien, der schwarze Mann sei zusammengezuckt, als sei er aus seiner Nachdenklichkeit oder Benommenheit aufgefahren. Er wandte sich an den Mönch, und eine tiefe, heisere Stimme sprach sehr deutlich, mit Pausen zwischen den Worten:

»Jetzt lässest du deinen Knecht in Frieden dahingehen – Tod.«

»Oh, mein Gott!« Kleopa erschrak und bekreuzigte sich hastig. »Na warte . . .«

Er kletterte eilig ins Boot zurück und stieß sich dabei mit dem Fuß vom Ufer ab.

»Was bedeutet das, Onkelchen?«, fragte der Knabe, während er sich nach dem heiligen Mönch umsah, der auf seinen Stab gestützt reglos dastand. »Was hat er da vom Tod gesagt?«

»Dir werd ich geben – ›Onkelchen‹!«, fuhr Kleopa ihn besorgt an. »Leg dich ins Ruder, mach schon, los!«

Erst als sie am Ufer von Kanaan waren, erklärte er:

»Wenn es heißt: Jetzt lässest du deinen Knecht in Frieden dahingehend dann ist einer der Eremiten gestorben. Morgen werde ich an seiner Stelle jemand anders hinfahren. Vater Ilari kann es schon kaum noch abwarten. Heute Abend wird man die Messe für ihn lesen und ihn zur Abdankungskapelle geleiten, wo er sich in der Einsamkeit von der Welt verabschiedet, seine Kapuze zunäht und die Löcher hineinschneidet. Und sobald es tagt, bringe ich einen Lebenden zu den Toten hinüber . . . Ach, wieso die Menschen bloß nicht mehr auf der Welt leben wollen!« Kleopa schüttelte seinen zottigen Schädel. »Israil, das ist ein Mönch! Denk mal an, er hat schon sieben überlebt. Er muss ordentlich gesündigt haben, dass der Herr ihn noch nicht zu sich lässt. Wer von ihnen wohl gestorben ist? Feognost oder David? Was hat er noch genau gesagt?«

»Jetzt lässest du deinen Knecht in Frieden dahingehen – Tod‹«, wiederholte Pelagi. »Aber warum hat er noch ›Tod‹ hinzugefügt?«

Kleopa bewegte die Lippen und versuchte sich zu erinnern. Auf die Frage zuckte er nur die Schultern: Darüber müssen wir uns nicht den Kopf zerbrechen!

Nun, was gibt es noch über die Geschehnisse dieses Tages zu berichten?

Vielleicht sollten wir noch vom Häuschen des Bakenwärters erzählen, obwohl das nun vollends unbegreiflich ist.

Nachdem Pelagi sich von dem Fährmann verabschiedet hatte, ging er nicht sofort zurück in die Stadt, sondern spazierte zuerst am Ufer entlang bis zu einer einsamen Hütte, ebenjener unheimlichen Hütte, die in unserer Erzählung schon mehr als einmal vorkam. Von der Landzunge aus war es überhaupt nicht weit: hundert Schritt bis zur Abdankungskapelle, und dann noch etwa hundertfünfzig Schritt.

Der Klosterbruder umrundete das unansehnliche Häuschen und warf durch das staubige kleine Fenster einen Blick hinein. Er presste die Wange an die Scheibe und fuhr mit den Fingern über das grob eingeritzte Kreuz mit den drei Querbalken. Er sagte nur ein einziges Wort: »Aha.«

Dann ging er plötzlich in die Hocke und fing an, mit den Händen in der Melde zu scharren. Er hob einen winzigen Gegenstand auf, hielt ihn dicht vor die Augen (das Licht des Herbsttages erlosch allmählich, man konnte nur noch schlecht sehen) und sagte zum zweiten Maclass="underline" »Aha.«