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Von da aus ging der Knabe furchtlos zu der vernagelten Tür und rüttelte daran. Als sich die Tür zwar knarrend, aber ziemlich leicht öffnen ließ, musterte er aufmerksam die aus dem Türflügel ragenden Nägel. Er nickte vor sich hin.

Dann ging er hinein. Im Halbdunkel war ein grob gezimmerter Tisch zu erkennen und darauf ein offener Sarg, dessen Deckel auf dem Boden lag. Der Klosterbruder betastete den Sarg hier und da, hob aus irgendeinem Grunde den Deckel auf, legte ihn an seinen Platz und klopfte von oben leicht darauf. Mit einem Knirschen fiel der Deckel zu.

Der Jüngling ging zum Fenster, wo zwei Strohsäcke lagen. Aus irgendeinem Grunde schichtete er sie aufeinander. Dann kletterte er mit einem besorgten Blick auf das schnell schwächer werdende Licht im Fenster auf eine Bank und fuhr mit der Handfläche über die glatt geschliffenen Balken an den Wänden. Er begann ganz oben, unter der Decke, fuhr über die folgende Reihe und ging dann tiefer und immer tiefer. Als er seine geheimnisvolle Handlung an der einen Wand beendet hatte, ging er zur nächsten Wand und beschäftigte sich noch lange mit dieser seltsamen Tätigkeit.

Als sich die Fensterscheibe von den letzten Strahlen der untergehenden Sonne rosa färbte, sagte Pelagi zum dritten Maclass="underline" »Aha!« – dieses Mal freudiger und lauter als zuvor.

Er zog eine Stricknadel aus seinem Leibrock, stocherte damit an einem der Balken herum und zog mit den Fingern etwas ganz Winziges hervor, nicht größer als eine Kirsche.

Länger hielt er sich nicht in der Hütte auf.

Schnellen Schrittes ging er den verlassenen Weg entlang in Richtung Neu-Ararat, und eine halbe Stunde später befand er sich bereits auf der Uferstraße, bei den Automaten mit dem heiligem Wasser.

Er ging zunächst daran vorbei (es waren zu viele Leute unterwegs), passte den richtigen Moment ab und schlüpfte durch den Spalt zwischen dem Pavillon und dem Zaun.

Zehn Minuten später trat eine bescheidene junge Dame hinaus auf die Promenade, das Gesicht bis zu den Augen in ein schwarzes Pilgertuch gehüllt – wahrscheinlich eine unnötige Vorsichtsmaßnahme, denn um diese Abendstunde hätte man den blauen Fleck ohnehin nicht gesehen.

Einiges klärt sich

Am Abend schrieb Polina Andrejewna in ihrem Zimmer einen Brief.

An Bischof Mitrofani, dem ich Licht, Freude und Stärke wünsche!

Wenn Sie, Vater, diesen meinen Brief lesen, dann bedeutet das, dass mich ein Unglück ereilt hat und ich keine Möglichkeit hatte, Ihnen alles selbst zu erzählen. Aber was heißt »Unglück«? Vielleicht ist das, was die Menschen gewöhnlich als Unglück bezeichnen, in Wahrheit eine Freude, denn was soll Schlimmes daran sein, wenn der Herr jemanden von uns zu sich beruft? Selbst wenn er uns nicht zu sich ruft, sondern einer schweren Prüfung unterzieht, gilt es nicht betrübt zu sein, sind wir doch ebendeshalb in diese Welt geboren – um Prüfungen zu bestehen.

Aber was predige ich Ihnen, dem Seelenhirten, das Offensichtliche? Verzeihen Sie mir, die ich so töricht bin.

Aber mehr noch bitte ich um Verzeihung für meinen Betrug, mein eigenmächtiges Handeln und meine Flucht. Verzeihen Sie mir, dass ich Sie um Ihr ganzes Geld gebracht und oft mit meinem Starrsinn verärgert habe.

Nun, und jetzt, da Sie mir vergeben haben (wie sollten Sie mir nicht vergeben, wenn mir doch ein Unglück geschehen ist?), komme ich direkt zur Sache, denn es gibt viel zu notieren, und ich habe heute Nacht noch etwas zu erledigen. Doch darüber erst ganz zum Schluss. Zunächst werde ich Ihnen alles der Reihe nach darlegen, so wie Sie es gern haben (also nicht nach »Weiber-« sondern nach »Männerart«), und Ihnen berichten, was ich von anderen gehört habe, was ich mit eigenen Augen gesehen habe und welche Schlüsse ich daraus ziehe.

Was ich gehört habe:

Viele Menschen in Kanaan haben nachts den schwarzen Mönch gesehen. Die einen erschreckt Wassilisk mit seinem unvermittelten Auftauchen, andere erschrecken, weil sie von ferne gesehen haben, wie er irgendwo herumschleicht oder irgendwohin rennt. Von solchen und ähnlichen Geschichten habe ich in der Stadt und im Kloster wohl ein gutes Dutzend gehört. Die vorherrschende Meinung bei den Mönchen und den Einwohnern ist Folgende: Mit der Wassilisk-Einsiedelei stimmt etwas nicht, weil einer der Eremiten dem Feind der Menschen seine Seele verkauft hat; nun ist der Ort verflucht, man sollte die Mönche wegbringen, die Nachbarinsel zum Niemandsland erklären und verbieten, dort anzulegen oder auch nur in ihre Nähe zu kommen.

Ich sage vorweg, dass das alles blanker Unsinn ist. Der heilige Wassilisk ist keineswegs vom Himmel herabgestiegen, sondern verweilt friedlich bei Gottes Thron, wo er auch hingehört. An dieser Geschichte ist nichts Mysteriöses, das Ganze ist lediglich ein übler Schwindel. Heute, am Ende des zweiten Tages hier auf Kanaan, bin ich vollkommen überzeugt, dass die Erscheinungen des schwarzen Mönchs nichts als ein geschicktes, findiges Spektakel sind.

Was ich gesehen habe:

Für das Geheimnis vom »Wandeln auf dem Wasser« gibt es eine ganz einfache Erklärung. Bei den Findlingen, die am Ende der Landzunge aus dem Wasser ragen, habe ich zwischen dem vierten und dem fünften Stein eine ganz gewöhnliche Holzbank im Wasser ertastet. Sie ist an einer seichten Stelle versteckt, seitlich auf den Grund gelegt, und deshalb nicht zu sehen. Wenn man sie auf die Metallfüße stellt, befindet sich die Sitzfläche nur einen Zoll unterhalb der Wasseroberfläche. Nachts, sogar aus ganz geringer Entfernung, sieht es unweigerlich so aus, als wandte derjenige, der über diese Bank geht, einfach auf dem Wasser. Was das »überirdische Strahlen« angeht, von dem Wassilisk angeblich umgeben ist, kann ich nichts Zuverlässiges sagen, doch ich nehme an, dass eine starke elektrische Lampe in etwa diesen Effekt erzeugt, wenn man sie hinter dem Rücken hält und unvermittelt einschaltet: Der Lichtkegel umreißt dann die Silhouette ganz deutlich und verströmt ein grelles Streulicht in die Dunkelheit. Auf Mönche, die schon vom »Wandeln auf dem Wasser« zu Tode erschrocken sind und kaum jemals elektrisches Licht gesehen haben dürften, muss dieser simple Trick einen außerordentlichen Eindruck machen. Und wahrscheinlich nicht nur auf die Mönche, sondern auf jeden fantasiebegabten oder zu mysteriösen Dingen neigenden Menschen. Stellen Sie sich vor: Nacht, Mond, unnatürlich grelles Licht, eine schwarze, gesichtslose Gestalt, die über dem Wasser schwebt. Ich bin ihr auf dem Festland begegnet und schon vor Schreck erstarrt! Nein, das überspringe ich jetzt, sonst schreibe ich wieder nach »Weiberart«! Von meiner Begegnung mit »Wassilisk« erzähle ich besser später.

Nun zu der Ihnen aus Aljoschas Brief bekannten Hütte des Bakenwärters, in der Felix Stanislawowitsch umgekommen ist und Alexej Stepanowitsch und Matwej Benzionowitsch ihren Verstand verloren haben.

Dort hat der Übeltäter einen raffinierten Trick angewandt als auf der Landzunge, aber auch dort ist nichts Mysteriöses im Spiel.

Das Kreuz auf der Fensterscheibe ist mit einem gewöhnlichen eisernen Nagel eingeritzt – ich habe ihn im Gras unter dem Fenster gefunden. Als der Verbrecher mitten in der Nacht mit der Mönchskapuze und den Sehschlitzen darin draußen vor dem Fenster erschien und mit dem Nagel über die Scheibe kratzte, war es kein Wunder, dass die arme Frau des Bakenwärters vor Schreck eine Fehlgeburt hatte.

Und mit Ihren Abgesandten ist der Übeltäter dann wie folgt verfahren:

Er hat sich in dem dunklen Zimmer versteckt. Möglicherweise hat er zur Ablenkung am Fenster eine Vogelscheuche mit einer spitz zulaufenden Kapuze aufgestellt – jedenfalls habe ich dort zwei Strohsäcke entdeckt, die in der Hütte nichts zu suchen haben. Als Aljoscha, Lagrange und später Berditschewski nach dem Betreten der Hütte die reglose Silhouette entdeckten und sich ihr zuwandten, schlug der Verbrecher ihnen mit einem schweren Gegenstand auf den Kopf. Daher auch die »Beule, einen Zoll rechter Hand des Scheitels«, von der ich im Protokoll über die Leichenschau von Felix Stanislawowitschs Leichnam gelesen habe. Davon, dass der Kopf konvulsivisch auf den Boden aufschlug, wie Matwej Benzionowitsch in seinem Protokoll vermutet, kann gar keine Rede sein. Berditschewski hatte gleichfalls Spuren von Schlägen am Kopf, ebenso wie zweifellos auch Lentotschkin, als er in die Klinik kam, was Doktor Korowin nicht weiter beachtenswert fand, weil beide am Körper noch eine Vielzahl anderer Verletzungen aufwiesen: Hautabschürfungen, Kratzwunden, blaue Flecken. Als er mir von Berditschewski erzählte, erwähnte der Doktor noch verschrammte Hände und abgebrochene Nägel. Damit konnte ich mir ein Bild des Verbrechens machen.