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Er würde ihr doch nicht den Schädel einschlagen? Polina Andrejewna kniff die Augen zusammen.

Ein Knacken ertönte, dann das Krachen von splitternden Bohlen.

Sie schlug die Augen auf und sah, dass der Hüne mit Schwung die Bordwand durchschlug, und zwar anscheinend unterhalb der Wasserlinie, denn durch das Loch strömte Wasser herein. Der Kapitän holte wieder aus und schlug von neuem zu. Dann noch einmal und noch einmal.

Schon strömten gurgelnd an vier Stellen schwarze, ölig glänzende Wassermassen herein.

»Es reicht.« Lidia Jewgenjewna gebot dem Zerstörer Einhalt. »Ich will, dass es möglichst lange dauert. Mag sie brüllen vor Entsetzen und den Tag und die Stunde verfluchen, da sie in mein Reich einzudringen wagte!«

Nachdem sie dieses furchtbare Urteil gesprochen hatte, stieg Frau Borejko die Leiter hinauf an Deck. Jonas polterte hinterher.

Der Boden war nicht mehr zu sehen, das Wasser bedeckte ihn bereits völlig. Polina Andrejewna zog die Beine hoch zur Sitzfläche, richtete sich mit Mühe und Not auf und presste sich mit dem Rücken gegen die Bordwand.

Wie abscheulich! Das Wasser trieb die Mäuse aus den Spalten hervor, und mit ängstlichem Fiepen kletterten sie an den langen Unterhosen der Gefangenen empor.

Von oben erscholl ein hämisches Gelächter:

»Jetzt ist sie eine richtige Fürstin Tarakanowa! Mach die Luke zu!«

Die Leiter verschwand durch die Luke, der Deckel schlug zu, und im Kielraum wurde es finster.

Durch die Bohlen der Decke hörte sie das Gespräch der Mörder mit an.

Die Frau sagte:

»Warte am Ufer, bis es gesunken ist. Dann komm zu mir. Vielleicht bekommst du eine Belohnung.«

Die Antwort war ein begeistertes Gebrüll.

»Ich habe gesagt: vielleicht«, unterbrach Lidia Jewgenjewna den frohlockenden Jonas.

Sich entfernende Schritte. Stillev

In der Welt, die für Frau Lissizyna jetzt auf das Ausmaß eines Holzkäfigs geschrumpft war, gab es nichts außer Finsternis und dem Gurgeln des Wassers. Am schlimmsten erschien es der zum Tode verurteilten Polina Andrejewna nun, dass ihr Brief an den Bischof – der in seinem deduktiven Teil falsch sein mochte, aber dennoch vieles erklärte und erhellte – mit ihr zusammen untergehen würde. So würde niemand erfahren, dass Wassilisk kein Phantom und keine Chimäre war, sondern das üble Spiel eines verbrecherischen Verstandes.

Trotzdem durfte sie nicht aufgeben. Erst wenn man alles Menschenmögliche versucht hatte, durfte man sich ins Unabänderliche ergeben und der Vorsehung Gottes anvertrauen.

Nur hatte Polina Andrejewna, die gefesselt in der Falle saß, wahrhaftig nicht viele Möglichkeiten.

Weder konnte sie den Knebel herausnehmen, noch ihre Hände befreien.

Also muss ich versuchen, die Füße frei zu bekommen, sagte sie sich. Sie setzte sich in die Hocke – und tatsächlich, ihre Finger ertasteten den Strick an den Knöcheln.

O weh, es waren keine einfachen, sondern irgendwelche kompliziert geknüpften Knoten, bestimmt Seemannsknoten, die so fest verzurrt waren, dass sie sie mit den Fingernägeln nicht aufzupfen konnte.

Dem Plätschern nach zu urteilen, war das Wasser schon beinahe bis zur Sitzfläche gestiegen. Irgendwo ganz nah fiepte eine Maus, doch Polina Andrejewna konnte sich jetzt nicht um weibliche Ängste kümmern. Wenn sie doch nur mit den Zähnen am Knoten zupfen könnte! Sie krümmte sich zusammen, so gut es ging, und scheuerte heftig an dem Tuch, das um ihren Mund gebunden war. Bei dem Versuch, es hinunterzuzerren, renkte sie sich beinahe den Unterkiefer aus und stach sich obendrein mit etwas Spitzem in die Brust.

Was war das?

Nadeln, Stricknadeln! Unter dem Hemd hing der Beutel mit ihrer Handarbeit.

Die Lissizyna tastete flink mit den Händen unter dem Hemd nach dem Beutelchen und hatte in Sekundenschnelle eine Stricknadel hervorgezogen. Nun musste sie das spitze Metallende der Stricknadel in den Knoten stecken, daran ziehen und ihn lockern.

Das kalte Wasser leckte an den Sohlen und drang allmählich in ihre Schuhe.

Geschafft! Die Füße waren frei!

Die Hände würde sie zwar nicht befreien können, doch dafür konnte sie sie nun nach oben strecken.

Zuerst band sie das straffe Tuch auf und riss den lästigen Knebel aus dem Mund. Dann stellte sie sich auf die Zehenspitzen und stemmte die gefesselten Fäuste gegen die Luke.

Ach! Die Luke war mit einem Riegel versperrt. Selbst jetzt konnte sie sich nicht aus dem Kielraum befreien.

Doch Polina Andrejewna verzweifelte nicht. Sie ließ sich auf die Knie fallen (das Wasser spritzte nach allen Seiten weg), beugte sich vor und begann, den Boden abzutasten.

Da war es, das Brecheisen. Es lag dort, wo Jonas es hatte fallen lassen.

Jetzt musste sie sich noch einmal zu voller Größe aufrichten, ausholen und mit aller Kraft gegen die Luke schlagen.

Das Eisen durchbrach die morsche Luke. Noch ein paar Schläge, und der Riegel sprang aus der Halterung. Die Lissizyna warf die Luke zurück und erblickte über sich den Himmel, kurz vor Morgengrauen. Die Luft war muffig und feucht, doch sie roch nach Leben.

Polina Andrejewna klammerte sich mit den Fingern an den Rand der Öffnung, zog sich hoch und stützte sich zuerst mit dem einen, dann mit dem anderen Ellbogen ab – als Turnlehrerin fiel ihr das nicht sonderlich schwer.

Als sie an Deck saß, blickte sie hinunter in das Loch. Dort wogte das schwarze, tödliche Wasser, das jetzt immer schneller und schneller hereinströmte – vermutlich waren die Lecks durch den Wasserdruck größer geworden.

Was war das für ein kleiner Fleck an der Oberfläche?

Sie sah genauer hin – eine Maus. Die einzige, die überlebt hatte, alle anderen waren ertrunken. Und auch diese strampelte mit letzter Kraft.

Die wundersam gerettete Polina Andrejewna verzog angeekelt den Mund, beugte sich hinab, packte die graue Schwimmerin (es war die Maus mit dem Stummelschwanz) und schleuderte sie weit weg von sich aufs Deck.

Die Maus schüttelte sich wie ein Hund und flitzte, ohne sich nach ihrer Retterin auch nur umzusehen, über das Fallreep ans Ufer.

Und sie tat gut daran – das Deck befand sich beinahe schon auf gleicher Höhe wie die Wasseroberfläche.

Frau Lissizyna blickte sich um. Sie sah halb versunkene Barkassen, aus dem Wasser aufragende Masten und im seichten Wasser ganz verfaulte hölzerne Schiffsgerippe.

Ein Schiffsfriedhof für alte Kähne und Fischerboote – dahin hatte Kapitän Jonas, der vor Leidenschaft den Verstand verloren hatte, seine Beute geschleppt.

Wenn man vom Teufel spricht – da kam der Kapitän auch schon!

Aus dem fahlen Nebel tauchte eine massive, schwarze Silhouette am Ufer auf, die langsam auf das Fallreep zusteuerte.

Langstreckenlauf

Polina Andrejewna stachen die Hände des Mönchs ins Auge, die gemächlich und ihrer Sache gewiss die Ärmel seiner Kutte hochkrempelten. Die Bedeutung dieser Geste war so offensichtlich, dass die Wiederauferstandene den segensreichen Duft des Lebens sogleich vergaß und, dem Beispiel ihrer flinken Leidensgenossin folgend, in Windeseile zum Fallreep stürzte.

Sie rannte über die schwankenden Bretter an Land, tauchte unter der gespreizten Pranke des Kapitäns hindurch und stürmte über Steine und Geröll und dann über den kleinen Pfad in die Richtung, wo sich nach ihrer Berechnung die Stadt befinden musste.

Sie blickte sich um und sah, dass Jonas mit seinen Stiefeln polternd hinterhergelaufen kam. Aber wie hätte er es mit der leichtfüßigen Läuferin aufnehmen können? Zudem ist es etwas ganz anderes, in einer langen Kutte zu laufen als in leichten Satinhosen, die die Bewegungsfreiheit nicht einengen.

Kein Zweifel – wäre es ein Wettkampf bei den Olympischen Spielen gewesen, dieser neuen europäischen Volksbelustigung, dann hätte nicht der Verfolger, sondern sein Opfer die Medaille im Sprint davongetragen.