Von der Bemerkung über den Aberglauben kam man ganz natürlich auf den schwarzen Mönch zu sprechen. Dabei muss angemerkt werden, dass nicht irgendwer, sondern der stellvertretende Bezirksstaatsanwalt diese geheimnisvolle Erscheinung als Erster erwähnte, obwohl er bei der Aussprache im Gerichtsarchiv gar nicht dabei gewesen war und überhaupt nichts davon wusste.
Wie sich herausstellte, sprach schon die ganze Stadt über die wilde Kutschfahrt, die der Mönch aus Neu-Ararat am vorigen Tag veranstaltet hatte. Auch über das Erscheinen von Wassilisk sowie über die schlimmen Vorzeichen wusste man bereits Bescheid. Bruder Antipa hatte mit der Peitsche auf die Pferde eingedroschen und dabei nicht nur die Katze von Olimpiada Saweljewna Schestago, einer einflussreichen Sawolshsker Bürgerin, überfahren, sondern obendrein allerlei alarmierende Worte geschrien – »Rettet euch, ihr Rechtgläubigen!«, »Wassilisk naht!« und dergleichen mehr – und zu erfahren verlangt, wo er den Bischof finden könne.
Es erwies sich, dass Schwester Pelagia Recht gehabt hatte: Man musste etwas unternehmen. Das bestritt der Bischof, der nach der gestrigen Aufregung nun wieder einen kühlen Kopf hatte, auch gar nicht mehr, doch bezüglich der zu ergreifenden Maßnahmen herrschte unter den Teilnehmern des Gastmahls Uneinigkeit.
Mitrofani, der seine zahlreichen Erfolge als oberster Seelenhirte dem Herrn zuschrieb, sich selbst voller Demut nur als sichtbares Werkzeug einer unsichtbar wirkenden Kraft ansah und in seinen Worten ein vollkommener Fatalist war, pflegte gerne zu sagen: »Wenn es Gott gefällt, wird es unfehlbar geschehen, und wenn es Gott nicht gefällt, bedarf ich dessen nicht.« In seinen Taten aber ließ er sich mehr von der Maxime »Vertraue auf Gott, aber sei auf der Hut« leiten, und man muss sagen, er war meist auf der Hut und belastete den Herrn nicht mit überflüssigen Sorgen.
Keine Frage also, dass der Bischof sogleich Feuer und Flamme war, selbst nach Neu-Ararat zu fahren, um die Mönche zur Vernunft zu bringen und dem Treiben Einhalt zu gebieten (er lehnte die Möglichkeit eines echten Mysteriums entschieden ab und erachtete das Erscheinen von Wassilisk entweder als allgemeine Trübung des gesunden Menschenverstands oder aber als Intrige).
Der umsichtige Matwej Benzionowitsch riet dem Bischof von der Reise ab. Er äußerte sich dahin gehend, dass Gerüchte eine schwer zu bändigende und gefährliche Materie seien. Man brauche viel Mehl, wenn man jedem das Maul stopfen wolle. Administratives Eingreifen zeitige in derartigen Fällen den gleichen Effekt wie Kerosin beim Feuerlöschen – die Flammen würden nur noch heftiger entfacht. Berditschewski machte folgenden Vorschlag: Der Bischof dürfe auf keinen Fall nach Neu-Ararat fahren, er müsse sich vielmehr den Anschein geben, als gehe dort nichts Besonderes vor, währenddessen aber einen besonnenen, feinfühligen Beamten entsenden, der insgeheim die ganze Angelegenheit untersuchen, die Quelle der Gerüchte herausfinden und einen ausführlichen Bericht darüber abliefern könnte. Es war offensichtlich, dass Matwej Benzionowitsch mit dem »besonnenen Beamten« sich selbst meinte und so seine ständige Bereitschaft zeigte, alle laufenden Geschäfte und selbst Familienangelegenheiten hintanzustellen, wenn es seinem geistlichen Lehrer von Nutzen sein mochte.
Was Pelagia anging, so stimmte sie mit Berditschewski in Bezug auf die Unzweckmäßigkeit einer erzbischöflichen Inspektion überein, doch fand sie es wenig vernünftig, einen weltlichen Mann zur Insel zu senden, der zum einen vielleicht nicht sämtliche Feinheiten des Klosterlebens und der mönchischen Psychologie zu erfassen vermochte und der zweitens . . . Nein, dieses zweite Argument wollen wir besser wortwörtlich anführen, damit es voll und ganz in der Verantwortung der streitbaren Nonne bleibt:
»In Bezug auf unerklärliche Phänomene und Herzensregungen sind Männer zu geradlinig«, verkündete Pelagia, während sie flink mit ihren Stricknadeln klapperte – nach dem dritten Glas Tee hatte sie den Bischof um Erlaubnis gefragt und ihr Strickzeug hervorgeholt. »Für alles, was ihnen unbedeutend scheint, interessieren sich die Männer nicht, dabei verbirgt sich im Unbedeutenden bisweilen das Wesentliche. Wo es etwas zu erbauen oder besser noch zu zerstören gilt, dort haben Männer nicht ihresgleichen. Wenn man aber Geduld beweisen muss, Verständnis, ja vielleicht auch Mitgefühl, dann sollte man die Angelegenheit besser einer Frau anvertrauen.«
»Aber eine Frau fällt beim Anblick eines Gespensts sofort in Ohnmacht, oder, schlimmer noch, sie wird hysterisch«, neckte der Bischof die Nonne. »Und damit ist uns nicht geholfen.«
Pelagia betrachtete ihre schief und krumm geratene Maschenreihe und seufzte, ohne sie aber wieder aufzutrennen – mochte sie bleiben, wie sie war.
»Eine Frau fällt nie und nimmer in Ohnmacht, und sie wird auch nicht hysterisch, wenn keine Männer in der Nähe sind«, bemerkte sie. »Weibliche Ohnmachtsanfälle, Hysterie und Weinerlichkeit – all das sind männliche Erfindungen. Ihr möchtet gerne glauben, dass wir schwach und hilflos sind, also richten wir uns nach euch. Für diese Angelegenheit wäre es am besten, wenn Ihr, Vater, mir für zwei oder drei Wochen Urlaub bewilligen wolltet. Ich würde nach Kanaan fahren, mich vor den dortigen Heiligtümern verneigen und gleichzeitig nachsehen, was für ein Gespenst dort auf dem Wasser wandelt. In der Schule könnten sich derweil Schwester Apollinaria und Schwester Ambrosia um meine Mädchen kümmern. Die eine würde den Turnunterricht übernehmen, die andere die Literatur, und alles wäre in schönster Ordnung . . .«
»Daraus wird nichts.« Der Bischof unterbrach die Träumereien seiner geistlichen Tochter mit sichtlicher Befriedigung. »Oder hast du vergessen, Pelagijuschka, dass Nonnen in Ararat der Zutritt verwehrt ist?«
Damit hatte er der Nonne den Mund verschlossen.
In der Tat war gemäß der strengen Klosterordnung von Neu-Ararat Nonnen und Klosterschwestern der Zutritt zu den Inseln verboten. Diese alte Regelung bestand seit dreihundert Jahren, kam indes bis heute unnachgiebig zur Anwendung.
Dies war nicht immer so gewesen. In alter Zeit hatte es neben dem Männerkloster auch ein Frauenkloster gegeben, doch war es aufgrund dieser Nähe zu allerlei Versuchungen und Ausschweifungen gekommen, und als der Patriarch Nikon im Bestreben, die Ehre des Mönchsstands wiederherzustellen, die Klosterordnung allenthalben strenger gestaltete, wurde das Frauenkloster aufgelöst und den Nonnen der Aufenthalt auf den Inseln im Blauen See verboten. Weltliche Frauen durften Wallfahrten zum Kloster unternehmen, und es kamen viele Pil-gerinnen, aber den Bräuten Christi war der Zutritt verwehrt, für sie gab es andere Heiligtümer.
Pelagia schien Mitrofani widersprechen zu wollen, doch als ihr Blick auf Berditschewski fiel, schwieg sie. So war die Diskussion um den schwarzen Mönch, die von den drei klügsten Menschen des Gouvernements Sawolshsk entfacht worden war, in eine Sackgasse geraten.
Wie gewöhnlich in derartigen Fällen fand Bischof Mitrofani einen Ausweg aus der schwierigen Lage – in seiner üblichen paradoxen Manier. Nach der Theorie des Bischofs haben Paradoxa die Eigenschaft, zu umständliche Gedankengebäude des menschlichen Verstands umzustoßen und somit unerwartete und bisweilen kürzere Wege zur Lösung problematischer Aufgaben zu eröffnen. Der Bischof brachte seine Gesprächspartner gerne mit einem unerwarteten Satz oder einer unglaublichen Entscheidung aus der Fassung, nachdem er zuvor eine Miene höchst weiser und strenger Konzentration angenommen hatte.
Auch jetzt, als man alle Argumente ausgeschöpft und keinen Ausweg gefunden hatte und ein bedrücktes Schweigen eingetreten war, runzelte der Bischof seine weiße Stirn mit den drei Querfalten; er senkte die Lider und begann, den Rosenkranz aus Sandelholz durch seine bemerkenswert weißen und gepflegten Finger laufen zu lassen (Mitrofani ließ seinen Händen stets betont sorgfältige Behandlung angedeihen und erschien außerhalb seiner Gemächer fast nie ohne seidene Handschuhe, was er damit erklärte, dass eine geistliche Person, die mit den heiligen Gaben zu tun hatte, möglichst penibel auf ihre Hände zu achten habe).