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Goliath war ob der Gabeldeichsel beileibe nicht erschrocken, vielmehr marschierte er mit geballten Fäusten und gesenktem Kopf geradewegs auf den Feind zu. Als der improvisierte Knüppel auf seinen Scheitel niederfuhr, dachte der Kapitän nicht daran, in die Knie zu gehen, sondern er schwankte nur leicht. Dafür war die Gabeldeichsel in der Mitte geborsten wie ein Streichholz.

Der Kapitän packte den Gegner erneut bei den Schultern, nahm Anlauf und schleuderte ihn von sich, dieses Mal aber nicht auf den Boden, sondern gegen die Mauer des Leuchtturms. Es war einfach erstaunlich, dass der Blonde von dieser Erschütterung nicht das Bewusstsein verlor!

Taumelnd stieg er die Vortreppe hinauf, um den Rückzug ins Haus anzutreten, wo er möglicherweise eine Waffe hatte, mit der er sich wirksamer würde verteidigen können als mit der morschen Gabeldeichsel. Doch Jonas durchschaute die Absicht des schönen Herrn, stürzte mit Gebrüll vorwärts und holte ihn ein.

Über den Ausgang des Zweikampfs konnte es keinen Zweifel mehr geben. Mit der einen Pranke drückte der Mönch den armen Paladin gegen den Türpfosten, und die andere ballte er, gemächlich ausholend, zur Faust, um ihm den vernichtenden und wahrscheinlich tödlichen Schlag zu versetzen.

Da endlich hatte Frau Lissizyna sich von den Fesseln befreit. Sie sprang auf und stürmte mit einem durchdringenden, schrillen Kreischen voran, um ihrem Verteidiger beizustehen. Aus dem Lauf heraus sprang sie dem Kapitän auf den Rücken, umfasste ihn mit den Armen und biss ihn in den Hals, der nach Salz schmeckte und hart war wie ein Stockfisch.

Jonas schüttelte die federleichte Dame ab, wie ein Bär einen Hund abschüttelt: Er wand seinen Rumpf heftig hin und her, und Polina Andrejewna flog zur Seite. Durch den Ruck aber hatte der Kapitän, der am Rand der Vortreppe stand, das Gleichgewicht verloren, er schwankte kurz, ruderte mit beiden Armen, und David ließ sich die günstige, einmalige Gelegenheit nicht entgehen und stieß den stämmigen Burschen aus Leibeskräften mit der Stirn gegen das Kinn.

Der Fall des Hünen aus eigentlich nicht so großer Höhe war ein gewaltiger Anblick und glich dem Sturz der Säule auf der Place Vendôme (Polina Andrejewna hatte einmal ein Bild gesehen, auf dem die Pariser Kommunarden die Säule der Bonapartisten stürzen). Bruder Jonas krachte mit dem Rücken zu Boden und schlug mit dem Hinterkopf auf ebenjenen kantigen Stein, den er noch vor nicht allzu langer Zeit als Mordwaffe hatte verwenden wollen. Dieser Aufprall wurde von einem entsetzlichen Knirschen begleitet, der Riese blieb reglos liegen, die mächtigen Arme weit ausgebreitet.

»Danke Dir, o Herr«, flüsterte Frau Lissizyna eindringlich. »Das war gerecht.«

In derselben Minute allerdings schämte sie sich für ihre Blutrünstigkeit. Sie trat zu der am Boden liegenden Gestalt, hockte sich daneben und hob ein schlaffes Lid an, um zu prüfen, ob der Mönch noch lebte.

»Er lebt«, seufzte sie erleichtert. »Dafür muss man einen kräftigen Schädel haben!«

Ihr Gefechtsgenosse stieg die Stufen herab, setzte sich auf die Vortreppe und betrachtete angeekelt seine zerschrammten Fingerknöchel.

»Zum Teufel mit ihm. Wenn er doch krepiert wäre!«

Ohne Eile musterte er interessiert die Dame in der verschmutzten Unterwäsche. Polina Andrejewna errötete und bedeckte den schändlichen blauen Flecken mit der Hand.

»Ach, die Witwe, die eine Braut ist.« Der schöne Mann hatte sie trotzdem erkannt. »Ich wusste, dass wir uns Wiedersehen würden – und nun ist es soweit. Na, na.« Er schob ihre Hand zur Seite und stieß einen Pfiff aus. »Was haben Sie für eine empfindliche Haut! Sie sind doch nur hingefallen, und schon haben Sie einen blauen Fleck.«

Behutsam (es kam ihr sogar zärtlich vor) fuhr er mit dem Finger über die blaue Stelle. Frau Lissizyna wich nicht zurück und erklärte auch nicht, dass der blaue Fleck keineswegs neu, sondern von gestern war.

Der erstaunliche Blonde blickte ihr direkt in die Augen, seine Lippen versuchten sich zu einem fröhlichen Lächeln zu verziehen, was aber nicht ganz gelang, weil aus seinem Mundwinkel Blutstropfen sickerten.

»Sie sind tapfer, solche Frauen gefallen mir.«

»Drehen Sie sich um«, sagte Polina Andrejewna leise, während sie ihren Blick von seinem Gesicht auf die zerkratzte Schulter lenkte. »Sehen Sie, Ihr ganzer Rücken ist aufgeschürft. Er blutet. Man muss ihn waschen und verbinden.«

Ohne Rücksicht auf seine verletzte Lippe fing er an zu lachen. Zwischen seinen weißen Zähnen war ebenfalls Blut.

»Krankenschwester sind Sie also auch noch! Sie sollten mal sich selbst ansehen.«

Er stand auf, fasste die Dame mit einer Hand um die Schultern, mit der anderen unter den Knien, nahm sie auf die Arme und trug sie ins Haus. Polina Andrejewna wollte sich widersetzen, doch nach allem, was sie nervlich und physisch durchgemacht hatte, hatte sie keine Kraft mehr, und es war beruhigend und tröstlich, sich an die warme, starke Brust des energischen Mannes zu schmiegen. Gerade eben noch, vor einer Minute, hatte es schlimm gestanden um sie, einfach furchtbar, und jetzt war alles richtig und gut – so ähnlich empfand Frau Lissizyna in diesem Moment. Sie brauchte an nichts weiter zu denken, sich nicht zu beunruhigen. Es war jemand da, der wusste, was zu tun war, der bereit war, alle Entscheidungen zu treffen.

»Danke«, flüsterte sie, als ihr einfiel, dass sie ihrem Retter noch nicht gedankt hatte. »Sie haben mich vor dem sicheren Tod gerettet. Es ist ein wahres Wunder.«

»Und was für ein Wunder!« Der schöne Blonde legte sie behutsam auf eine Bettstatt, die mit einem Bärenfell bedeckt war. »Sie haben Glück gehabt, gnädige Frau. Ich habe mich erst vor einer Woche hier niedergelassen. Der Leuchtturm ist seit langem unbewohnt. Daher auch der vernachlässigte Zustand – seien Sie bitte nachsichtig!«

Er wies mit dem Arm auf das Zimmer, das Polina Andrejewna in ihrem jetzigen wohligen Zustand außerordentlich romantisch vorkam. Die eine Hälfte des einzigen Fensters, bei dem die Scheibe fehlte, war mit einem eingerollten Kosakenumhang verhängt, dafür aber eröffnete sich durch die andere Hälfte ein herrlicher Blick auf den See und die in der Ferne bläulich schimmernde Nachbarinsel. Die Einrichtung des Raumes bestand lediglich aus einem wackligen Tisch, der mit einem prachtvollen, samtenen Tischtuch bedeckt war, einem weichen türkischen Sessel mit einem Berg von Kissen und der bereits erwähnten Bettstatt. In dem rußgeschwärzten Kamin knackten noch die in der Nacht nicht ganz niedergebrannten Holzscheite. Der einzige Schmuck der nackten Mauern war ein bunter orientalischer Teppich, an dem ein Gewehr, ein Dolch und eine lange, verzierte türkische Tabakpfeife hingen.

»Wie kommt es, dass Sie hier allein wohnen? Warum?«, fragte die Gerettete nicht besonders höflich. »Ach, verzeihen Sie, wir haben uns noch gar nicht vorgestellt. Ich bin Polina Andrejewna Lissizyna aus Moskau.«

»Nikolaj Wsewolodowitsch«, erwiderte der Hausherr mit einer Verbeugung, aber ohne seinen Familiennamen zu erwähnen. »Ich logiere hier ausgezeichnet. Und was den Grund angeht. . . Hier gibt es keine Menschen, nur den Wind und die Wellen. Aber wir wollen uns später unterhalten.« Er goss heißes Wasser aus dem Samowar in eine Schüssel und nahm ein sauberes Tuch vom Tisch. »Zuerst kümmern wir uns um Ihre Wunden. Geruhen Sie bitte, Ihr Hemd hochzuziehen.«

Dieses Ansinnen lehnte Polina Andrejewna selbstverständlich ab, doch ließ sie sich das Gesicht, die Abschürfungen an den Ellbogen und sogar die von den Fesseln wund gescheuerten Knöchel waschen. Nikolaj Wsewolodowitsch wäre wohl kein besonders fähiger, dafür aber ein sehr sorgsamer Krankenpfleger geworden. Als sie sah, wie behutsam er ihr den nassen Schuh auszog, blinzelte Frau Lissizyna gerührt, und sie nahm es ihm nicht übel, als er ihr dabei mit dem Finger schmerzhaft auf den geprellten Knöchel drückte.