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»Ich kann gar nicht ausdrücken, wie dankbar ich Ihnen bin. Am meisten dafür, dass Sie, ohne zu zögern und ohne zu wissen, worum es ging, einem völlig unbekannten Menschen beigestanden haben.«

»Eine Kleinigkeit.« Der Hausherr winkte ab und wusch eine Kratzwunde am Fußgelenk aus. »Das ist doch nicht der Rede wert.«

Es war offensichtlich, dass er nicht kokettieren wollte, sondern seinem bemerkenswerten Handeln tatsächlich keinerlei Bedeutung beimaß. Er hatte einfach das für ihn Naheliegendste getan, genau wie damals, als er das Kätzchen gerettet hatte. Das nahm Polina Andrejewna am meisten für ihn ein. Sie bemühte sich, dem Helden nicht ihre verunstaltete Gesichtshälfte zuzuwenden, und musste ihn daher immerzu von der Seite her ansehen.

Ach, er gefiel ihr wirklich sehr! Wenn Nikolaj Wsewolodowitsch die Intimität der Situation aus genutzt und sich auch nur einen zweideutigen Blick, nur einen aufdringlichen Händedruck gestattet hätte, wäre Frau Lissizyna sogleich wachsamer gewesen und an ihre Pflicht und Schuldigkeit gemahnt worden, doch die Fürsorge des Hausherrn war aufrichtig brüderlicher Natur, und ihr Herz verpasste den Moment, auf der Hut zu sein.

Als Polina Andrejewna sich dabei ertappte, dass sie Nikolaj Wsewolodowitsch nicht ganz so ansah, wie es sich gehörte, und erschrak, war es schon zu spät: Ihr Herz klopfte viel schneller, als es sollte, und die Berührungen des improvisierten Doktors riefen im ganzen Körper ein gefährliches Gefühl angenehmer Mattigkeit hervor.

Es war höchste Zeit, den Herrn um Stärkung des Geistes und Überwindung der Versuchung zu bitten, doch im Zimmer war weder eine Ikone noch das allerkleinste Heiligenbild.

»Na also.« Nikolaj Wsewolodowitsch nickte zufrieden. »Wenigstens wird es sich nicht entzünden. Und nun Sie.«

Er wandte der auf der Bettstatt liegenden Dame seinen nackten, auf geschürften Rücken zu.

Es folgten noch schlimmere Versuchungen. Polina Andrejewna setzte sich auf und begann, die weiße Haut ihres Retters abzureiben, wobei sie sich kaum zurückhalten konnte, mit der Handfläche seinen Rücken zu streicheln.

Besonders ungut waren die hin und wieder eintretenden Pausen. In den Jahren als Nonne hatte sie vergessen, dass solche Unterbrechungen im Gespräch gefährlicher als alles andere sind. Sogleich hört man das eigene, heftige Atmen, und die Schläfen beginnen zu hämmern.

Polina Andrejewna war plötzlich befangen, weil sie nicht angezogen war, und blickte sich um, ob sie etwas fand, das sie sich umlegen könnte. Sie fand nichts.

»Ist Ihnen kalt?«, fragte Nikolaj Wsewolodowitsch, ohne sich umzudrehen. »Nehmen Sie doch den Kosakenumhang, es ist sowieso nichts anderes da.«

Frau Lissizyna ging über den kalten Boden zum Fenster und hüllte sich in das streng riechende Schaffell. Sie war nun etwas gefasster, und der durch das Fenster hereinwehende Wind kühlte angenehm ihr gerötetes Gesicht.

In der Ferne, da wo die Landzunge begann, stand eine Schar Mönche, die auf etwas warteten. Dann öffnete sich die Tür der Abdankungskapelle, und ein gesichtsloser Mann, der in ein schwarzes, nach oben hin spitz zulaufendes Gewand gehüllt war, trat heraus. Die versammelten Mönche verneigten sich tief vor ihm. Er schlug das Kreuz über sie und wandte sich zum Ufer. Erst jetzt bemerkte Polina Andrejewna das Boot mit dem Ruderer. Der schwarze Mann setzte sich in den Bug, wobei er Kanaan den Rücken zuwandte, und das Boot fuhr zur Nachbarinsel. Dort, direkt an der Wasserkante, warteten zwei weitere gesichtslose Mönche in Eremiten-Kapuzen.

»Bruder Kleopa bringt den neuen Eremiten zur Einsiedelei«, sagte die Lissizyna zu Nikolaj Wsewolodowitsch, der auch zum Fenster getreten war, und kniff die Augen zusammen (das Brillenetui war zusammen mit dem Kleid in dem vernagelten Pavillon am Boden zurückgeblieben). »Er heißt Vater Ilari. Er kann es kaum erwarten, das irdische Jammertal zu verlassen. Ein gelehrter Mann, er hat viele Jahre lang Theologie studiert, aber das Wichtigste hat er nicht begriffen: Der Herr braucht von uns nicht den Tod, sondern das Leben . . .«

»Diese Bemerkung kommt gerade zur rechten Zeit«, flüsterte Nikolaj Wsewolodowitsch ihr ins Ohr, woraufhin er sie unvermittelt bei den Schultern packte und zu sich umdrehte.

Er sah von oben auf sie herab und fragte spöttisch:

»Also: Wessen Witwe sind Sie, und wessen Braut?«

Ohne eine Antwort abzuwarten, umarmte er sie und küsste sie auf die Lippen.

In diesem Moment erinnerte sich Polina Andrejewna aus irgendeinem Grund an eine schreckliche Szene, die sie vor langer Zeit, noch in der Kindheit, erlebt hatte. Die kleine Polinka war mit den Eltern unterwegs, um einen Besuch auf dem Nachbargut zu machen. Mit dem Wind jagten sie schnell dahin, über die zugefrorene Moskwa. Vorweg fuhr der Schlitten mit den Geschenken (es war um die Weihnachtszeit). Plötzlich ertönte ein trockenes Knacken, auf der glatten weißen Oberfläche zeigte sich ein schwarzer Riss, und eine unbezwingbare Kraft sog das Gespann in die Tiefe – zuerst den Schlitten mit dem Kutscher, dann das schnaubende, mit den Vorderhufen ausschlagende Pferd . . .

Dieses Knacken, das sich ihr für immer eingeprägt hatte, vernahm Polina Andrejewna auch jetzt. Sie sah es erneut vor sich, wie mit eigenen Augen: Unter dem Reinen, Weißen trat das Dunkle, Schreckliche zutage, das um sich griff und sich weiter und weiter ausbreitete.

Zitternd stemmte sie die Hände gegen die Brust des Verführers und bat:

»Nikolaj Wsewolodowitsch, mein Lieber, haben Sie Erbarmen . . . Quälen Sie mich nicht! Ich darf das nicht. Auf gar keinen Fall!«

Das wurde so aufrichtig, so kindlich und ungekünstelt vorgebracht, dass der süße Verführer seine Umarmung lockerte, einen Schritt zurücktrat und sich scherzhaft verbeugte.

»Ich respektiere Ihre Treue gegenüber Ihrem Bräutigam und werde künftig nicht mehr wagen, einen Anschlag darauf zu verüben.«

Da küsste Polina Andrejewna ihn, aber nicht auf die Lippen, sondern auf die Wange. Sie schluchzte:

»Danke, danke . . . für . . . für Ihre Barmherzigkeit.«

Nikolaj Wsewolodowitsch seufzte bekümmert.

»Ja, es ist ein großes Opfer für mich, denn Sie sind ungewöhnlich verführerisch, gnädige Frau, besonders mit Ihrem blauen Fleck.« Er lächelte, als er bemerkte, dass die Dame hastig den Kopf zur Seite drehte und ihm einen schrägen Blick zuwarf. »Doch zum Dank für meine heroische Zurückhaltung sagen Sie mir wenigstens, wer der Glückliche ist. Wem bewahren Sie so unverbrüchlich die Treue, ungeachtet des einsamen Ortes, ungeachtet des Gefühls aufrichtiger Dankbarkeit, das Sie erwähnten, und, ich bitte um Verzeihung, ungeachtet Ihrer Erfahrung – Sie sind schließlich kein junges Mädchen mehr.«

Trotz des unbeschwerten Tonfalls spürte man, dass der schöne Blonde in seinem Ehrgeiz gekränkt war. Deshalb, und weil sie in einem solchen Moment nicht lügen wollte, bekannte Polina Andrejewna:

»Mein Bräutigam ist – Er.«

Als Nikolai Wsewolodowitsch ungläubig die Brauen hob, erklärte sie:

»Es ist Jesus. Sie haben mich in weltlicher Kleidung gesehen, aber ich bin Nonne, Seine Braut.«

Sie hätte alles Mögliche erwartet, nicht jedoch das, was dann folgte.

Das Gesicht des schönen Mannes, das bis zu diesem Moment einen gelassenen, spöttischen Ausdruck gezeigt hatte, verzerrte sich plötzlich: Die Augen traten hervor, die Wimpern zitterten, rosa Flecken traten auf die Wangen.

»Eine Nonne?!«, rief er aus. »Eine Braut Christi?«

Seine rote Zunge fuhr aufgeregt über die Oberlippe. Nikolaj Wsewolodowitsch war wie verwandelt und zog sie mit einem sonderbaren, Unheil verkündenden Auflachen wieder dicht an sich.

»Für jeden anderen hätte ich verzichtet. Aber nicht für Ihn! Nun, wir werden ja sehen! Ich hätte meine Braut beschützen können, aber wird Er es auch können?«