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»Ich hab es zu Anfang selbst nicht kapiert. Ich dachte, Israil ist nun endgültig altersschwach geworden und hat die Namen verwechselt. Seine Mitbrüder hießen nämlich Feognost und David. Doch als ich dem Vater Wirtschafter die Worte des Abts überbrachte und ihm sagte, was ich davon hielt, hat er mich wegen meiner Respektlosigkeit ausgescholten und mir den Sinn erklärt. Die ersten Wörter ›Dein ist der Himmel‹ verheißen das Himmelreich, sie sind aus dem Psalm Ethan. Mit diesen Worten muss der Abt jeden neuen Eremiten begrüßen. Das letzte Wort hingegen ist frei wählbar und für das Kloster bestimmt. Der Vater Wirtschafter hat gesagt, der Mönch hätte uns damit erklärt, wer von den Brüdern in den Himmel eingegangen ist, nämlich nicht David, sondern Feognost.«

Pelagi überlegte kurz.

»Vater, Sie sind doch schon lange Fährmann. Sie haben gewiss auch den letzten Eremiten zur Insel gefahren?«

»Zu Ostern, den Mönch David. Und vorher, im letzten Jahr zu Mariä Entschlafung, den Mönch Feognost. Davor Amfilochi, und davor Geronti . . . Oder vielleicht Agapit? Nein, Geronti . . . Viele von unseren Beschützern habe ich hinübergebracht, ich kann mich gar nicht an alle entsinnen.«

»Dann hat der Abt gewiss jeden neuen Mönch so empfangen, dass er mitgeteilt hat, wer entschlafen ist, und Sie haben es einfach vergessen.«

»Nichts habe ich vergessen!«, entgegnete Bruder Kleopa entrüstet. »›Dein ist der Himmels das weiß ich noch, das hat er immer gesagt. Aber er hat danach nie einen Namen genannt. Es hat sich immer erst hinterher durch allerlei Anspielungen herausgestellt, wer von den Eremiten seine Seele dem Herrn übergeben hatte. Für uns Lebende sind sie sowieso schon in die ewige Ruhe eingegangen, die Bruderschaft hat die Totenmesse gelesen und sie zur Abdankungskapelle geleitet. Israil hätte es nicht sagen müssen. Aber offenbar spürt er sein Ende nahen, und sein Herz ist milde geworden.«

Sie fuhren zur Insel, Kleopa am einen Ruder, Pelagi am anderen.

Der Mönch Israil kam ihnen entgegen, nahm die mitgebrachten Dinge an sich, übergab die seit dem Vortag geschnitzten Rosenkränze und sagte:

»Und David erbebte das Herz – dunkel.«

Pelagi schien es, der Abt habe das letzte Wort langsamer und lauter gesprochen und dabei nicht Kleopa, sondern seinen jungen Gehilfen angeblickt, aber wie sollte man sich da sicher sein, bei diesen schmalen Sehschlitzen?

Kaum hatten sie wieder abgelegt, als der Klosterbruder leise fragte:

»Was hat er gesagt? Ich kann da keinen rechten Sinn erkennen.«

»›Und David erbebte das Herz – dunkel‹: Das bezieht sich auf den Mönch David. Offenbar hat er es wieder am Herzen. Als David in die Einsiedelei kam, hat der Abt häufig Sprüche aus dem Ersten Buch Samuel gewählt, in dem viel über König David steht. Der Name ist derselbe, also hat man schon ein Wort gespart. Und was war das letzte Wort – ›dunkel‹? Na, das soll der Vater Wirtschafter herausfinden, der ist ein kluger Kopf.«

Soweit der »blaue« Tag. Die weiteren Ereignisse lohnt es sich nicht zu erwähnen – sie sind zu unbedeutend.

***

Der nächste Tag war der »grüne« Tag. Das heißt, er war nicht ganz grün, nicht laubgrün, sondern eher meergrün – der Bluterguss verlor allmählich sein kräftiges Blau, verblasste und schien nun grünlich zu werden.

Um drei Uhr überreichte Pelagi dem Fährmann zwei Fünfzigkopekenstücke. Sie legten ab.

Bruder Kleopa übergab dem Abt eine Arznei für den Mönch David. Israil nahm sie entgegen und wartete noch eine Weile. Dann seufzte er tief auf, blickte dem rothaarigen Mönch direkt in die Augen und sagte etwas ganz Merkwürdiges:

»Wer Ohren hat zu hören, der höre – cucullus.«

»Was war das?«, fragte Pelagi, als der Mönch sich eilig davonmachte.

Kleopa zuckte die Schultern.

»›Wer Ohren hat zu hören, der höre‹ – das ist klar, das ist aus der Apokalypse des Johannes, obwohl ich nicht begreife, warum er das gesagt hat, aber was er zum Schluss noch hinzugefügt hat, das habe ich nicht verstanden. So etwas Ähnliches wie ›Kuckuck‹. Ich habe offenbar doch Recht, was Israil angeht, der Vater Wirtschafter hat mich zu Unrecht als Flegel beschimpft. Bei dem Alten piept es, Kuckuck.« Er tippte mit dem Finger an die Schläfe.

Den gespannt hochgezogenen Augenbrauen nach zu urteilen, war Pelagi anderer Meinung, doch er widersprach nicht, sondern sagte nur:

»Morgen fahre ich wieder mit, in Ordnung?«

»Von mir aus kannst du mitfahren, solange dir Papas Rubelchen nicht ausgehen.«

Dann kam der »gelbe« Tag – der Bluterguss hatte seine Farbe von Grün zu einem Gelbton gewechselt.

An diesem Tag sprach der Mönch Folgendes:

»Und der Chrisambereiter mischt das Salböl – non facit.«

»Bei dem piept es schon wieder«, resümierte Bruder Kleopa. »Bald spricht er nur noch in der Vogelsprache. Diesen Unsinn werde ich mir nicht merken, ich werde dem Vater Wirtschafter irgendwas erzählen.«

»Warten Sie, Vater«, mischte Pelagi sich ein. »Der Chrisambereiter kommt im Buch Jesus Sirach vor. Damit ist ein Arzt gemeint, und das Mischen des Salböls meint eine Arznei, auch Mischung oder wissenschaftlich Mixtur genannt. Aber warum er ›non facit‹ gesagt hat, weiß ich nicht.«

Er sprach mehrmals »non facit, non facit« vor sich hin und verstummte dann, ohne sich weiter mit dem Fährmann zu unterhalten. Zum Abschied sagte er:

»Bis morgen.«

Am nächsten Tag bot Polina Andrejewnas Gesicht wieder einen ganz manierlichen Anblick, es schimmerte nur noch in einem zarten Blassgelb. Der Tag hatte die gleiche Schattierung, es war ein milder, sonniger Tag, mit einem leichten Dunstschleier überzogen.

Pelagi hatte es so eilig, die Nachbarinsel zu erreichen, dass er sich ordentlich ins Zeug legte und kräftiger als nötig ruderte, weshalb das Boot anfing, sich zu drehen. Schließlich erhielt er für seinen ungebührlichen Eifer von Bruder Kleopa eine Kopfnuss, und sein Schwung erlahmte.

Der Abt wartete am Ufer. Pelagis Idee mit der Mixtur war anscheinend richtig gewesen – der Mönch nahm das Fläschchen entgegen und nickte. Dann sagte er dem Klosterbruder Folgendes:

»Gräme dich nicht, er ist gesund – monachum.«

Der junge Mönch nickte, als hätte er genau diese Worte zu hören erwartet.

»Na, Gott sei Dank, es sieht so aus, als ob es dem Kranken besser ginge«, bemerkte Kleopa auf dem Rückweg. »Hast du gehört, wie er David genannt hat – monachum. Der heilige Mönch benimmt sich wirklich wunderlich . . . Was ist, kommst du morgen wieder?«, fragte der Fährmann den merkwürdig schweigsamen Knaben.

Der schien gar nicht zuzuhören.

Das war am »blassgelben« Tag, und dann kam der letzte Tag, an dem alles zu Ende ging.

An diesem letzten Tag geschah so viel, dass der Herr mir helfen möge, nicht den Faden zu verlieren und nichts auszulassen.

Der letzte Tag. Morgen

Fangen wir ganz vorne an, mit dem frühen Morgen.

Um neun Uhr, es war noch nicht richtig hell, erscholl vom See herüber ein langanhaltendes Tuten – der Dampfer »Heiliger Wassilisk« aus Sineosjorsk war eingelaufen, unter dem Kommando eines angeheuerten Kapitäns. Frau Lissizyna hatte um diese Zeit schon Kaffee getrunken, saß vor dem Spiegel und betrachtete voller Wohlgefallen ihr makelloses Gesicht. Sie drehte den Kopf bald hierhin, bald dorthin und konnte sich gar nicht satt sehen. Das Tuten des Dampfers hörte sie zwar, doch maß sie ihm keinerlei Bedeutung bei.

Das war unbedacht.

Nach dem dumpfen, dröhnenden Signal war eine Stunde, vielleicht auch etwas mehr, vergangen, und Polina Andrejewna hatte in der Zeit gefrühstückt, sich angekleidet und sich fertig gemacht, um Berditschewski zu besuchen, als ein Mönch, der Zellendiener des Archimandriten Witali, an ihre Tür klopfte.