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»Der hochehrwürdige Vater bittet Sie, ihn aufzusuchen«, sagte der Mönch mit einer Verneigung, um dann höflich, aber entschlossen hinzuzufügen: »Jetzt gleich. Die Kutsche wartet.«

Auf die Fragen der erstaunten Pilgerin antwortete der Mönch nur ausweichend. Eigentlich antwortete er gar nicht, sondern gab nur Interjektionen von sich. Doch der Miene des Abgesandten entnahm die Lissizyna, dass sich im Kloster etwas Außerordentliches zugetragen haben musste.

Wenn er nicht reden wollte, dann sollte er es eben lassen.

Sie zögerte, ob sie die Reisetasche mitnehmen sollte, ließ sie dann aber doch zurück. Mit einer tödlichen Waffe ins Kloster zu fahren, wäre lästerlich. Zum Schutz vor den neugierigen Angestellten wickelte sie den Revolver in ihre Spitzenunterhosen und stopfte ihn ganz zuunterst in die Tasche. Ob das helfen würde, wusste Gott allein.

Sie erreichten das Kloster schnell, in zehn Minuten.

Als sie aus der Equipage kletterte und ihren Blick über den Klosterhof schweifen ließ, war Polina Andrejewna überzeugt: ja, es war etwas geschehen.

Die Mönche schritten nicht langsam und gemessen, einer hinter dem anderen, wie gewöhnlich, sondern sie rannten über den Hof. Ein Mönch fegte das ohnehin saubere Pflaster, ein anderer schleppte Bettzeug und Kopfkissen, am erstaunlichsten aber war der Anblick der Chorsänger des Archimandriten, die mit hochgerafften Kutten in die Hauptkirche trabten, der dickwanstige, gewichtige Dirigent allen voran.

Was hatte das alles zu bedeuten?

Ihr Begleiter führte die Dame nicht in den Wohnsitz des Klostervorstehers, sondern in den des Bischofs, der wichtigen Besuchern Vorbehalten war und ansonsten leer stand. In Polina Andrejewnas Herzen regte sich eine Ahnung, die sie aber für unrealistisch hielt und sofort unterdrückte, um nicht enttäuscht zu werden.

Doch ihre Ahnung hatte sie nicht getrogen!

Als Polina Andrejewna in den Speisesaal trat, fiel die Sonne durchs Fenster auf ihr Gesicht sowie auf die Rücken der an der langen, mit einem weißen Tischtuch gedeckten Tafel sitzenden Personen, daher sah sie zu Anfang nur die Umrisse einiger Männer, die in geziemender Reglosigkeit verharrten. An der Schwelle machte sie eine ehrerbietige Verneigung, als sie plötzlich Witalis Stimme vernahm:

»Hier, Eminenz, ist die Person, die Sie zu sehen wünschten.« Polina Andrejewna zerrte hastig die Brille aus dem Etui, kniff die Augen zusammen und stieß einen Seufzer aus. Auf dem Ehrenplatz, umgeben von den Vertretern der Klosterobrigkeit, saß Mitrofani – gesund und munter, wenn auch vielleicht ein wenig eingefallen und blass.

Der Bischof musterte die »Moskauer Adlige« von Kopf bis Fuß mit einem Blick, der nichts Gutes verhieß, und kaute auf den Lippen. Er segnete sie nicht, ja, er nickte nicht einmal.

»Sie mag mit uns essen, ich werde später mit ihr sprechen.« Damit wandte er sich an den Klostervorsteher, um das unterbrochene Gespräch fortzusetzen.

Die Lissizyna setzte sich ganz an den Rand und war mehr tot als lebendig – vor Freude, aber natürlich auch vor Furcht. Sie bemerkte, dass der Bischof mehr graue Haare im Bart hatte, dass seine Wangen eingefallen und seine Finger schmal geworden waren und leicht zitterten, was früher nicht so gewesen war. Sie seufzte.

Die Brauen des Bischofs fuhren streng nach oben und wieder nach unten. Es war klar, dass er ihr zürnte, aber wie sehr, konnte sie nicht feststellen. So sehr Polina Andrejewna ihren geistlichen Vater auch mit flehenden Blicken bedachte, ihr wurde keine Aufmerksamkeit zuteil. Daraus schloss sie: Er zürnte ihr sehr.

Sie seufzte wieder, doch nicht mehr so bitterlich wie beim ersten Mal. Sie begann zuzuhören, worüber sich der Bischof und der Klostervorsteher unterhielten.

Das Gespräch drehte sich um abstrakte Dinge wie die mönchische Gemeinschaft.

»Ich halte mich in meinen Handlungen an die Überzeugung, Eure Ehrwürdige Eminenz, dass ein Mönch wie ein Toter unter den Lebenden sein soll. Unermüdliche Arbeit zum Wohle der Gemeinschaft und Gebete – dies soll sein Leben sein, und weiter braucht er nichts«, sagte Witali, offenbar als Antwort auf eine Frage oder vielleicht einen Vorwurf. »Deshalb bin ich streng mit der Bruderschaft und lasse ihr keine Freiheit. Bei der Mönchsweihe haben sie selbst ihrer Freiheit entsagt, zum Ruhme Gottes.«

»Ich kann Eurer Hochehrwürden nicht zustimmen«, versetzte Mitrofani lebhaft. »Meiner Meinung nach muss ein Mönch lebendiger als jeder Laie sein, weil doch gerade er wirklich lebt, das heißt, ein geistiges Leben führt. Sie sollten den Ihnen Anvertrauten mit Respekt begegnen, denn jeder von ihnen hat eine erhabene Seele. Aber bei Ihnen werden sie in den Kerker gesteckt, sie sind ausgemergelt vor Hunger und zudem, so heißt es, bekommen sie sogar Prügel verabreicht.« Bei diesen Worten warf der Bischof einen Blick auf einen beleibten Mönch, der rechts vom Archimandriten saß; Polina Andrejewna wusste, dass das der schreckliche Vater Triadi war, der Kellermeister des Klosters. »Solche Handgreiflichkeiten kann ich nicht dulden.«

»Mönche sind wie Kinder«, widersprach der Klostervorsteher. »Sie sind der gewöhnlichen irdischen Sorgen enthoben. Sie sind ängstlich, krankhaft neugierig, halten ihre Zunge nicht im Zaum. Viele leben von Kindheit an innerhalb der Klostermauern und sind in der Seele Kinder geblieben. Bei ihnen muss man väterliche Strenge walten lassen.«

Der Bischof bemerkte zurückhaltend:

»Dann sollten Sie eben niemanden in den Mönchsstand aufnehmen, der keine Lebenserfahrung besitzt und sich selbst noch nicht erkannt hat. Für den Menschen gibt es noch andere Wege zur Rettung als den Mönchsdienst. Und von diesen Wegen gibt es eine unendliche Vielzahl. Nur dem Einfältigen dünkt, das Mönchtum sei der direkte Weg zum Herrn, doch in Gottes Welt ist der direkte Weg nicht immer der kürzeste. Ich möchte erneut an Eure Hochehrwürden appellieren: Lassen Sie sich nicht zu sehr durch die Strenge verführen. Christi Kirche soll nicht Furcht einflößen, sondern Liebe wecken. Sonst möchte man beim Blick auf unsere kirchlichen Angelegenheiten Gogol zitieren: ›Es stimmt einen traurig, dass am Guten nichts Gutes ist.‹«

Vater Witali lauschte der Belehrung mit starrsinnig gesenktem Kopf.

»Und ich antworte Eurer Eminenz darauf nicht mit den Worten eines weltlichen Autors, sondern mit einem Wort des ehrwürdigen Mönchs Sossima Werchowski: ›Wenn wir nicht mit den Heiligen sind, dann werden wir mit den Teufeln sein; einen dritten Ort gibt es für uns nicht.‹ Der Herr siebt unter den Menschen aus und entscheidet, wer gerettet werden und wer untergehen soll. Diese Auswahl ist hart und schrecklich, wie kann man da ohne Strenge vorgehen?«

Polina Andrejewna wusste, dass der Bischof den seligen Mönch Sossima Werchowski besonders schätzte und der Einwand des Archimandriten ins Schwarze getroffen hatte.

Mitrofani schwieg. Die übrigen Mönche blickten ihn erwartungsvoll an. Plötzlich fühlte Frau Lissizyna sich schrecklich unwohclass="underline" Sie allein saß hier in weltlicher Kleidung, der einzige helle Fleck inmitten all der schwarzen Kutten. Wie eine Meise oder ein Kanarienvogel, der sich in einen Rabenschwarm verirrt hatte.

Nein, sagte sich Polina Andrejewna, ich bin aus demselben Holz geschnitzt. Und sie sind keineswegs Raben, sie sprechen über wichtige Dinge, sorgen sich um die ganze Menschheit.

Was würde Mitrofani dem Klostervorsteher sagen?

»Der Katholizismus lässt das Fegefeuer zu, weil es nur wenige vollkommen gute oder vollkommen schlechte Menschen gibt«, sprach der Bischof langsam. »Das Fegefeuer muss man natürlich im geistigen Sinne begreifen, als einen Ort der Reinigung von dem Schmutz, der an uns haftet. Unser orthodoxer Glaube hingegen erkennt das Fegefeuer nicht an. Ich habe lange nachgedacht, woher diese Unbeugsamkeit kommt, und ich bin zu einem Schluss gekommen: Es ist nicht Strenge, sondern größere Barmherzigkeit. Denn es gibt keine vollkommen schwarzen Sünder, deren Schuld nicht abgetragen werden kann, in jedem Übeltäter, selbst im allerverstocktesten, glimmt ein lebendiges Flämmchen. Und unsere orthodoxe Hölle nimmt im Unterschied zur katholischen niemandem die Hoffnung, selbst Judas nicht. Ich glaube, die Höllenqualen bei uns sind nicht für immer und ewig gedacht. Die orthodoxe Hölle ist auch ein Fegefeuer, weil jeder sündigen Seele dort ihre Frist zugewiesen ist. Es kann nicht sein, dass der Herr in Seiner Barmherzigkeit eine Seele auf ewig straft, ohne die Möglichkeit zur Vergebung. Wozu gibt es dann die Qualen, wenn nicht zur Reinigung?«