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Die Mönche von Neu-Ararat warfen sich gegenseitig Blicke zu, ohne etwas zu dieser Auffassung zu sagen, und Polina Andrejewna schüttelte den Kopf. Sie wusste, dass der Bischof bei Gesprächen über Religion bisweilen Gedanken ausdrückte, die als freidenkerisch oder sogar als häretisch aufgefasst werden konnten. Im engeren Kreis mochte das noch angehen, da war es nicht schlimm. Doch vor diesen Buchstabengelehrten? Sie würden ihn denunzieren und verleumden.

Aber Mitrofani hatte seine Strafpredigt noch nicht beendet.

»Ich mache Eurer Hochehrwürden noch weitere Vorwürfe. Ich habe gehört, dass Sie den weltlichen Machthabern Gefälligkeiten erweisen, wenn sie Sie besuchen. Man hat mir erzählt, dass Sie im vergangenen Jahr, als die Großfürstinnen eine Wallfahrt zu Ihnen machten, zu jedem Heiligtum einen Teppich ausgelegt haben und Ihr Chor ein Konzert für sie gegeben hat. Und das bei minderjährigen Mädchen! Und warum sind Sie höchstpersönlich zum Generalgouverneur gefahren und haben seine Sineosjorsker Datscha geweiht und sogar eine wundertätige Ikone mitgenommen?«

»Um der gottgefälligen Sache willen!«, rief Witali hitzig aus. »Wir leben schließlich mit unserem Körper auf der Erde! Dafür, dass ich den Kaiserlichen Hoheiten einen Gefallen erwies, wurde dem Kloster von der kaiserlichen Behörde in Petersburg ein Grundstück für eine Kirche verliehen. Und der Generalgouverneur schickte aus Dankbarkeit eine fünfhundert Pud schwere Bronzeglocke. Das kommt doch nicht mir zugute, dem großen Sünder Witali, sondern der Kirche!«

»Ach, ich fürchte, unsere Kirche muss für die Umarmung mit der weltlichen Macht einen hohen Preis zahlen«, seufzte der Bischof. »Und möglicherweise in gar nicht so ferner Zeit. . . Nun gut«, fügte er nach einer kurzen Pause hinzu und lächelte plötzlich. »Gleich nach der Ankunft streiten – das kann nichts Gutes geben. Ich wollte Ihre berühmte Insel ansehen, Vater Witali. Ich träume seit langem davon.«

Der Archimandrit neigte ehrerbietig den Kopf.

»Ich habe mich schon gewundert, womit ich Eure Eminenz erzürnt habe, dass Sie Ararat nie mit Ihrem Besuch beehren. Wenn Sie geruht hätten, mir frühzeitig Bescheid zu geben, hätte ich Ihnen einen würdigeren Empfang bereitet. So aber – seien Sie nachsichtig.«

»Ich bin kein Freund von großem Prunk«, sagte der Bischof gutmütig, wobei er tat, als bemerke er den versteckten Vorwurf in den Worten des Klostervorstehers nicht. »Ich möchte alles so sehen, wie es tagtäglich aussieht. Ich fange gleich jetzt damit an.«

»Wollen Sie denn nicht tafeln?«, fragte der Vater Kellermeister beunruhigt. »Unseren Sineosjorsker Fisch probieren, die gefüllten Pasteten, das Eingesalzene, den Honig und die Pfefferkuchen?«

»Feierlichen Dank, aber die Ärzte gestatten es nicht.« Mitrofani klopfte sich auf die linke Brustseite und erhob sich. »Ich trinke Brühe, esse langweiligen dünnen Brei, das reicht mir.«

»Nun denn, ich bin bereit, Sie zu geleiten, wohin Sie befehlen.« Auch Witali erhob sich und nach ihm die Übrigen. »Die Kutsche ist angespannt.«

Der Bischof sagte freundlich:

»Mir ist bekannt, wie viel Eure Hochehrwürden zu tun haben. Vergeuden Sie nicht Ihre Zeit mit leeren Ehrenbezeigungen, das schmeichelt mir nicht, und für Sie ist es kein Vergnügen.«

Der Archimandrit runzelte die Stirn:

»Dann werde ich Eurer Eminenz Vater Silvan oder Vater Triadi zur Begleitung geben. Sie können nicht ganz allein gehen.«

»Das ist nicht nötig. Ich führe hier schließlich keine Inspektion durch, wie Sie anzunehmen scheinen. Es ist ein lang gehegter Traum von mir, die Insel als einfacher Pilger zu besuchen. Ganz ohne Arg und ohne Vorgesetzten-Allüren.«

Die Stimme des Bischofs war in der Tat ohne Arg, doch Witali schaute noch mürrischer drein – er glaubte nicht an Mitrofanis Aufrichtigkeit. Er meinte sicher, der Bischof wolle die Klosterbesitzungen ohne Einflüsterer und Beobachter besichtigen. Und damit hatte er ganz Recht.

Erst jetzt sah der Bischof Polina Andrejewna an.

»Frau . . . Lissizyna wird mit mir fahren, sie ist eine alte Bekannte von mir. Leisten Sie einem alten Mann Gesellschaft, Polina Andrejewna, sagen Sie nicht Nein.« Als er sie unter seinen dichten Brauen hervor ansah, sprang die Lissizyna sofort auf. »Wir werden über alte Zeiten plaudern, Sie erzählen mir, wie es Ihnen geht, und wir können unsere Eindrücke über das heilige Kloster austauschen.«

Der Tonfall verhieß nichts Gutes, zumindest schien es Polina Andrejewna so.

»Gut, Vater«, stammelte sie mit gesenktem Blick.

Der Klostervorsteher starrte sie misstrauisch an. Mit einem bösen Lächeln erkundigte er sich:

»Was macht das Krokodil, Mütterchen, hat es von Ihnen abgelassen?«

Die Lissizyna schwieg und senkte den Kopf noch tiefer.

Sie fuhren in derselben Kutsche durch das Tor, die Polina Andrejewna aus dem Hotel abgeholt hatte. Noch war nichts gesprochen worden. Die Verbrecherin war aufgeregt und wusste nicht, was sie zuerst machen sollte: ihr Handeln bereuen, sich rechtfertigen oder gleich zur Sache kommen. Mitrofani hingegen schwieg mit Bedacht, damit ihr der volle Umfang ihrer Schuld zu Bewusstsein käme.

Er sah aus dem Fenster auf die adretten Straßen von Neu-Ararat und schnalzte beifällig mit der Zunge. Dann begann er so unvermittelt zu sprechen, dass Frau Lissizyna sogar zusammenzuckte.

»Nun, und dieses Krokodil – was ist das wieder für ein Schabernack?«

»Ich habe gesündigt, Vater. Ich habe den Hochehrwürdigen belogen«, bekannte Polina Andrejewna demütig.

»Du hast gesündigt, Pelagijuschka. Was hast du alles angestellt . . .«

Jetzt ging es los. Sie seufzte reuevoll und schlug beschämt die Augen nieder.

Mitrofani aber zählte jede ihrer Sünden auf und nahm dabei die Finger zu Hilfe:

»Du hast den Schwur gebrochen, den du deinem geistlichen Vater gegeben hast, als er krank und dem Tode nahe daniederlag.«

»Ich habe nicht geschworen!«, sagte sie flink.

»Keine Ausflüchte! Du hast meine unausgesprochene Bitte – nicht nach Ararat zu fahren – ausgezeichnet verstanden, du hast genickt und mir die Hand geküsst. Ist das etwa kein Schwur, du treulose Schlange?«

»Eine Schlange, wie sie im Buche steht«, stimmte Polina Andrejewna zu.

»Du hast verbotene Kleidung angezogen, dem Stand der Nonnen Schande bereitet. Du läufst mit bloßem Hals herum, ein schändlicher Anblick!«

Hastig bedeckte die Lissizyna ihren Hals mit einem Tuch, doch sie versuchte, diesen Anklagepunkt zurückzuweisen:

»Zu anderer Zeit haben Sie selbst mir dazu Ihren Segen gegeben.«

»Aber dieses Mal habe ich dir nicht nur keinen Segen dazu gegeben – ich habe es rundheraus verboten«, versetzte Mitrofani. »Stimmt das oder nicht?«

»Das stimmt. . .«

»Ich wollte dich bei der Polizei anzeigen. Es ist unentschuldbar, dass ich das nicht getan habe. Du hast deinem Seelenhirten Geld gestohlen! Tiefer kann man nicht mehr fallen! Zur Zwangsarbeit müsste man dich schicken, das ist der richtige Ort für eine Diebin.«

Polina Andrejewna hatte keine Einwände – es gab keine.

»Und wenn ich dich, eine entlaufene Nonne und Räuberin, nicht zur polizeilichen Fahndung im ganzen Reich ausgeschrieben habe – mit deinen roten Haaren und den Sommersprossen hätte man dich schnell gefunden – , dann allein aus Dankbarkeit für meine Genesung.«