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Der Bischof verharrte etwa eine Minute in dieser Haltung, schlug dann seine blauen Augen auf, in denen ein kleiner Funke blitzte, und sagte in einem Ton, der keine Widerrede duldete:

»Aljoscha Lentotschkin wird fahren.«

Matwej Benzionowitsch und Pelagia seufzten nur.

***

Selbst mit äußerster Anstrengung hätte man schwerlich einen paradoxeren Kandidaten für eine geheime Inspektion in dieser delikaten innerkirchlichen Angelegenheit finden können.

Alexej Stepanowitsch Lentotschkin, der wegen seines jugendlichen Alters und der rosig gerundeten Wangen hinter seinem Rücken nie anders als Aljoscha genannt wurde (viele nannten ihn auch in seiner Gegenwart so, und er war darüber nicht gekränkt), lebte erst seit kurzem in unserer Stadt, doch er war sogleich in den Kreis der besonderen Favoriten des Bischofs aufgenommen worden.

Dafür gab es im Übrigen völlig verzeihliche Gründe, war doch Alexej Stepanowitsch der Sohn eines alten Kameraden des Bischofs, der bekanntlich vor der Mönchsweihe als Kavallerieoffizier gedient hatte. Mitrofanis Dienstkamerad war als Major im letzten Türkenkrieg gefallen und hatte eine nahezu völlig mittellose Witwe mit zwei minderjährigen Kindern, einer Tochter und einem Sohn, hinterlassen.

Der kleine Aljoscha war ein sehr aufgeweckter Knabe, der mit elf Jahren bereits ohne weiteres Integralrechnungen löste und mit zwanzig ein naturwissenschaftliches oder mathematisches Genie zu werden versprach.

Die Lentotschkins lebten nicht in Sawolshsk, sondern in der großen Universitätsstadt K., die ein Stück weiter flussabwärts lag, und als für Aljoscha die Zeit gekommen war, sich für ein Studium zu entscheiden, wurde er nicht nur ohne Studiengebühren an der dortigen Universität aufgenommen, sondern auch noch mit einem Stipendium bedacht, damit er lernen und sein Talent zum Ruhme seiner Heimatstadt entfalten konnte. Ohne Stipendium hätte er trotz Erlasses der Gebühren nicht studieren können, weil seine Familie vollkommen mittellos war.

Mit dreiundzwanzig Jahren, kurz vor dem Abschluss des Studiums, trat Alexej Stepanowitsch endgültig in die Fußstapfen von Wissenschaftlern wie Evariste Galois oder Michael Faraday, was seine Umgebung anerkannte und worüber er selbst ganz unverhüllt sprach. Der junge Mann verfügte indes neben seinen ungemein großen Fähigkeiten auch über eine enorm hohe Meinung von sich selbst, was bei frühreifen Talenten keine Seltenheit ist. Er bezeugte keinen Respekt vor Autoritätspersonen, hatte eine spitze Zunge und war dreist und hochmütig, was bekanntlich Evariste Galois gehindert hatte, ein reifes Alter zu erreichen und die Welt mit dem ganzen Glanz seines viel versprechenden Genies zu verblüffen.

Nein, Alexej Stepanowitsch wurde nicht im Duell erschossen wie der junge Franzose, aber er war in eine Geschichte geraten, die ein übles Ende für ihn nahm.

Eines Tages hatte er die Kühnheit besessen, mit der Beurteilung einer Abhandlung, die er in Chemie oder Physik geschrieben hatte, nicht einverstanden zu sein – einer Beurteilung, die Serafim Wikentjewitsch Nossatschewski selbst verfasst hatte, eine Koryphäe der russischen Wissenschaft, der zudem Geheimrat und Prorektor der Universität von K. war. In dieser Beurteilung zeigte sich der ehrwürdige Gelehrte nicht ausreichend begeistert von den Schlussfolgerungen des begabten Studenten, womit er Lentotschkin in Rage versetzte. Der junge Mann fügte der Beurteilung Nossatschewskis eine überaus freche Bemerkung hinzu und sandte das Heft zurück.

Der Gelehrte war furchtbar gekränkt (in der Bemerkung wurden seine Entdeckungen sowie der Wert des Beitrags Seiner Exzellenz zur Wissenschaft generell in Zweifel gezogen), und unter Aufbietung seiner administrativen Macht ließ er dem unverschämten Studenten das Stipendium streichen.

Alexej Stepanowitsch hatte sich natürlich empörend aufgeführt, aber mit Rücksicht auf das jugendliche Alter und die unzweifelhafte Begabung des Studenten hätte Nossatschewski sich auch mit einer weniger drakonischen Strafe begnügen können. Der Entzug des Stipendiums bedeutete, dass Lentotschkin die Universität verlassen und unverzüglich eine Stellung antreten musste – und sei es als Buchhalter in der Dampfschifffahrt – , womit er all seine großen Träume würde begraben können.

Viele verurteilten die Grausamkeit des prorektoralen Verdikts, einige drängten Alexej Stepanowitsch, sich schuldig zu bekennen, und sagten, Nossatschewski sei streng, aber nicht nachtragend, doch sein Stolz ließ das nicht zu. Der junge Mann wählte einen anderen Weg; er sah sich als Ritter, der einen Zweikampf mit dem Drachen aufnimmt – und streckte die Schlange mit einem tödlichen Schlag nieder. Er rächte sich so, dass der Herr Geheimrat gezwungen war . . .

Aber wir wollen nicht vorgreifen. Die Geschichte verdient es, der Reihe nach erzählt zu werden.

Serafim Wikentjewitsch Nossatschewski hatte eine Schwäche, die der ganzen Stadt bekannt war – seine krankhafte Wollust. Dieser Diener der Wissenschaft konnte, obgleich er bereits ein stattliches Alter erreicht hatte, kein hübsches Frätzchen, keine gelockte Strähne über einem zarten Ohr sehen, ohne sich in einen bocksbeinigen Satyr zu verwandeln, wobei er obendrein keinen Unterschied zwischen anständigen Damen und Kokotten der allerübelsten Sorte machte. Wenn dieses unsittliche Verhalten von der Gesellschaft verziehen wurde, dann nur aus Achtung vor einer Koryphäe der Universität von K. und weil Nossatschewski seine Eskapaden nicht zur Schau stellte, sondern kluge Diskretion wahrte.

Und auf ebendiesem Fuß erwischte ihn unser junger Paris.

Aljoscha selbst war sehr gut aussehend, aber er war nicht von männlicher, sondern eher von mädchenhafter Schönheit: Mit seinem Lockenkopf, den dichten Augenbrauen, den seidigen, elegant geschwungenen Wimpern und dem Pfirsichflaum auf den rosigen Wangen gehörte er zu jenen schönen Menschen, die lange nicht altern und noch mit vierzig ihre frische Gesichtsfarbe und den Glanz ihrer Haut bewahrt haben, danach aber schnell Runzeln und Falten bekommen, wie ein angebissener und dann vergessener Apfel.

Bei all seiner Jugend wirkte Aljoscha noch jünger als er war – der reinste Cherub. Als er das Festtagskleid seiner Schwester anzog, eine üppige Perücke überstülpte, ein Schönheitspflästerchen anklebte und sich die Lippen rot anmalte, verwandelte er sich in eine so überzeugende Kokotte, dass der wollüstige Serafim Wikentjewitsch nicht umhin konnte, sie zu beachten, umso mehr, als das verführerische Mädchen wie mit Absicht immerzu in der Nähe des Anwesens Seiner Exzellenz spazieren ging.

Nossatschewski schickte seinen Kammerdiener zu der Flaneurin hinaus. Dieser berichtete, die Mademoiselle sei zwar ein leichtes Mädchen, doch sie könne sich ihre Kavaliere aussuchen und promeniere nicht des Geldverdienens wegen über die Pariser Straße, sondern um sich zu erquicken. Der Satyr befahl dem Diener, er möge ihn in das Korsett einschnüren, zog seine Atlasweste und den samtenen Gehrock mit den goldenen Pailletten über und schickte sich an, die Verhandlungen höchstselbst zu führen.

Die Zauberin lachte und kokettierte über ihren Fächer hinweg mit funkelnden Blicken, weigerte sich aber, Serafim Wikentjewitsch zu begleiten, und entfernte sich alsbald, nachdem sie dem gelehrten Mann vollkommen den Kopf verdreht hatte.

Zwei Tage verließ er das Haus nicht und sah immerzu aus dem Fenster, ob die Nymphe sich nicht von neuem zeigen würde.

Das tat sie – am dritten Tag. Dieses Mal ließ sie sich auf eine Übereinkunft ein, nachdem er ihr zweihundert Rubel und einen Saphirring als Zugabe versprochen hatte. Doch sie stellte eine Bedingung: Der Kavalier sollte im Hotel Sanssouci, einem luxuriösen, aber hinsichtlich der Reputation leicht zweifelhaften Etablissement, das beste Zimmer nehmen und sich um zehn Uhr abends dort zum Rendezvous einfinden. Der glückliche Nossatschewski erklärte sich mit allem einverstanden und klopfte bereits um fünf vor zehn mit einem über die Maßen großen Rosenbukett in der Hand an die Tür der im Voraus bestellten Suite.