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»Wofür?«, wunderte sich die Lissizyna, die dachte, sie habe sich verhört.

»Sobald ich von Schwester Christina erfuhr, dass du dich auf mich berufen hattest und weggefahren warst, sobald ich begriff, was du vorhattest, ging es aufwärts mit meiner Gesundheit. Ich schämte mich, Pelagijuschka«, sagte der Bischof leise, und es wurde deutlich, dass er ihr überhaupt nicht zürnte. »Ich schämte mich für meine Schwäche. Da lag ich wie ein greinendes altes Weib im Bett und löffelte den Absud vom Doktor! Meine unglücklichen Kinder hatte ich in der Not fallen gelassen, alles auf weibliche Schultern abgewälzt. Ich schämte mich so sehr, dass ich am zweiten Tag wieder aufrecht sitzen, am vierten Tag gehen und am fünften Tag ein wenig in der Kutsche durch die Stadt fahren konnte, und am achten Tag machte ich mich auf den Weg – hierher, zu Euch. Professor Schmidt, der aus Petersburg gekommen war, um mich zu begraben, sagt, eine so schnelle Heilung eines gerissenen Herzmuskels habe er noch nie erlebt. Der Professor ist wieder in die Hauptstadt zurückgefahren und war sehr stolz auf sich. Jetzt wird man ihm für seine Visiten und Konsultationen noch mehr Geld zahlen. Dabei hast du mich geheilt, nicht er.«

Schluchzend bedeckte Polina Andrejewna die ausgemergelte, bleiche Hand des Bischofs mit Küssen. Er küsste sie auf den Scheitel.

»Sieh mal an, parfümiert hat sie sich auch«, brummte der Bischof, der nun nicht mehr so tat, als sei er verärgert. »Nun gut, lass uns jetzt aber zur Sache kommen.«

Die Lissizyna zog den Brief aus dem Ausschnitt und streckte ihn dem Bischof hin.

»Lesen Sie besser das hier, da steht das Wichtigste drin. Jeden Abend habe ich etwas hinzugeschrieben. So ist es ist kürzer und klarer, als wenn ich es erzähle. Oder möchten Sie es hören?«

Mitrofani setzte sein Pincenez auf.

»Lass mich nur lesen. Wenn ich etwas nicht verstehe, frage ich dich.«

Es war ein langer Brief, mit alldem, was sie in fast einer Woche hinzugeschrieben hatte, waren es fast zehn Seiten. Hier und da war das Papier feucht geworden, einige Zeilen waren verwischt.

Die Kutsche hielt an. Der Mönch auf dem Kutschbock nahm die Kappe ab und fragte:

»Wohin möchten Sie fahren? Wir sind schon aus der Stadt heraus.«

»Zur Heilanstalt von Doktor Korowin«, sagte Polina Andrejewna halb laut, um den Bischof nicht beim Lesen zu stören.

Sie fuhren weiter.

Voller Mitleid registrierte sie die Veränderungen, die die Krankheit im Antlitz des Bischofs hinterlassen hatte. Ach, er war zu früh aufgestanden. Wenn nur kein neues Unglück geschehen würde. Doch untätig im Bett zu liegen, wäre noch schlimmer gewesen.

Einmal schrie der Bischof auf wie im Schmerz. Sie erriet, dass er die Stelle las, wo es um Aljoscha ging.

Schließlich legte der Bischof die Blätter beiseite und versank in düstere Gedanken. Er hatte keine Fragen gestellt – offenbar war alles klar dargelegt.

Dann brummte er:

»Und ich nichtsnutziger alter Mann habe Pillen geschluckt und wieder gehen gelernt. . . Ach, es ist beschämend.«

Polina Andrejewna konnte es nicht ab warten, wieder zur Sache zu kommen.

»Die rätselhaften Aussprüche von Vater Israil lassen mir keine Ruhe, Eminenz. Das heißt doch . . .«

»Warte noch mit deinen Rätseln.« Mitrofani winkte ab. »Darüber reden wir später. Zuerst die Hauptsache: Ich will Matjuscha sehen. Steht es schlecht um ihn?«

»Ja.«

Der letzte Tag. Mittag

»Sehr schlecht«, bestätigte Doktor Korowin. »Mit jedem Tag wird es schwieriger, an ihn heranzukommen. Die Entropose schreitet fort. Von Tag zu Tag wird der Kranke hinfälliger und teilnahmsloser. Die nächtlichen Halluzinationen haben aufgehört, doch ich sehe darin keine Verbesserung, sondern eine Verschlechterung: Die Psyche braucht keine Anreize mehr, Berditschewski hat die Fähigkeit verloren, solche starken Gefühle wie Furcht zu empfinden, sein Selbsterhaltungsinstinkt ist geschwächt. Gestern habe ich ein Experiment gemacht: Ich habe befohlen, ihm kein Essen zu bringen, bis er selbst danach verlangt. Er hat nichts gesagt, einfach den ganzen Tag hungrig dagesessen . . . Inzwischen erkennt er die Leute nicht mehr, wenn er sie nicht tags zuvor gesehen hat. Der Einzige, der ein wenigstens einigermaßen zusammenhängendes Gespräch mit ihm führen kann, ist sein Nachbar Ljampe, aber auch der ist ein ganz besonderes Subjekt und kein Meister an Beredsamkeit – Polina Andrejewna hat es erlebt, sie kennt ihn. Meine ganze Erfahrung sagt mir, dass es nur noch schlimmer wird. Wenn Sie wollen, können Sie den Kranken mitnehmen, aber sogar in der allermodernsten Schweizer Klinik, auch bei Schwanger selbst, wird das Ergebnis dasselbe sein. Leider ist die moderne Psychiatrie in derartigen Fällen hilflos.«

Zu dritt – der Doktor, der Bischof und die Lissizyna – betraten sie das Cottage Nummer sieben. Sie warfen einen Blick ins Schlafzimmer. Zwei leere Betten, davon eines – Berditschewskis – mit zerknülltem Bettzeug, das zweite ordentlich zugedeckt.

Sie gingen ins Laboratorium. Obwohl es heller Tag war, waren die Vorhänge zugezogen, und es brannte kein Licht. Es war still.

Über der Rückenlehne des Sessels ragte Matwej Benzionowitschs Scheitel hervor, dessen zunehmende Kahlheit, die früher immer mit kunstvoll zurückgekämmten Haaren überdeckt gewesen war, schutzlos und nackt vor ihnen lag. Auf das Geräusch der Schritte hin drehte der Kranke sich nicht um.

»Wo ist denn Ljampe?«, fragte Polina Andrejewna flüsternd.

Korowin senkte seine Stimme nicht:

»Ich habe keine Ahnung. Wann immer ich komme, nie ist er da. Ich habe ihn schon einige Tage nicht mehr gesehen. Sergej Nikolajewitsch ist eine selbstständige Person. Vielleicht hat er irgendeine andere Emanation entdeckt und ist mit seinen ›Feldforschungen‹ beschäftigt – diesen Ausdruck verwendet er immer.«

Der Bischof war an der Schwelle stehen geblieben. Er betrachtete den Hinterkopf seines geistlichen Kindes und blinzelte heftig.

»Matwej Benzionowitsch!«, rief Frau Lissizyna.

»Sprechen Sie lauter«, riet Donat Sawwitsch. »Er reagiert nur noch auf starke Reize.«

Sie rief aus vollem Halse:

»Matwej Benzionowitsch! Sehen Sie, wen ich Ihnen mitgebracht habe!«

Polina Andrejewna hegte die leise Hoffnung, dass Berdi-tschewski beim Anblick seines geliebten Mentors aufgerüttelt werden und zum Leben erwachen würde.

Auf das Rufen hin blickte der stellvertretende Staatsanwalt sich suchend nach der Quelle des Geräuschs um. Als er sie fand, sah er nur die Frau an. Ihre Begleiter würdigte er keines Blickes.

»Ja?«, fragte er langsam. »Was wünschen Sie, gnädige Frau?«

»Früher hat er die ganze Zeit nach Ihnen gefragt!« flüsterte sie Mitrofani verzweifelt zu. »Und jetzt sieht er Sie nicht einmal an . . . Wo ist denn Herr Ljampe?«, fragte sie behutsam und trat ein Stückchen näher.

Berditschewski sagte ausdruckslos und gleichgültig:

»Unter der Erde.«

»Sehen Sie?« Korowin zuckte die Schultern. »Er reagiert nur noch auf die Intonation und die grammatische Konstruktion einer Frage, aber die Antworten sind völlig sinnlos. Das ist ein neues Stadium der seelischen Krankheit.«

Der Bischof trat einen Schritt vor und schob den Doktor energisch zur Seite.

»Lassen Sie mich nur machen. Physische Verletzungen des Gehirns sind zweifellos Sache der Medizin, aber wenn es um die Krankheit einer Seele geht, in der sich, wie man in alter Zeit sagte, der Teufel eingenistet hat, dann fällt dies in meine Zuständigkeit, Doktor.« Mit machtvoll erhobener Stimme befahl er: »Lassen Sie mich mit Herrn Berditschewski allein. Und kommen Sie nicht eher wieder herein, als bis ich Sie rufe. Wenn ich mich eine Woche lang nicht melde, heißt das, Sie kommen eine Woche lang nicht herein. Und zwar niemand, kein Mensch. Haben Sie das verstanden?«