Выбрать главу

Donat Sawwitsch lächelte:

»Ach, Eminenz, das steht nicht in Ihrer bischöflichen Macht, glauben Sie mir. Diesen Teufel kann man nicht mit Gebeten und Weihwasser austreiben. Und in meiner Klinik gestatte ich keine mittelalterlichen Methoden.«

»Ach nein?« Stirnrunzelnd blickte der Bischof sich zum Doktor um. »Aber Sie gestatten den Kranken, unter den Gesunden umherzuspazieren? Was haben Sie hier in Ararat für ein Durcheinander angerichtet! Man kann nicht einmal erkennen, wer überhaupt zurechnungsfähig ist. Ohnehin weiß man auf der Welt nicht immer, wer verrückt ist und wer nicht, aber bei Ihnen auf der Insel ist doch alles Lug und Trug! Da kann auch ein Gesunder Selbstzweifel bekommen. Sie machen besser, was ich Ihnen sage. Andernfalls werde ich den Betrieb Ihrer Institution auf kirchlichem Grund und Boden verbieten.«

Korowin wagte es nicht, weiter zu streiten. Er breitete die Arme aus – bitte sehr, machen Sie, was Sie wollen – , wandte sich um und verließ den Raum.

»Gehen wir, Matjuscha.«

Der Bischof nahm den Kranken liebevoll bei der Hand und führte ihn aus dem dunklen Laboratorium ins Schlafzimmer.

»Pelagia, du kommst nicht mit. Wenn es so weit ist, rufe ich dich.«

»Gut, Vater, ich warte im Laboratorium.« Die Lissizyna verneigte sich.

Der Bischof setzte Berditschewski aufs Bett und zog für sich selbst einen Stuhl heran. Sie schwiegen eine Weile. Mitrofani blickte Matwej Benzionowitsch an, und der blickte die Wand an.

Der Bischof hielt es nicht mehr aus und fragte: »Matwej, hast du mich wahrhaftig nicht erkannt?«

Erst da richtete Berditschewski seinen Blick auf ihn. Er blinzelte und fragte unsicher:

»Sie sind doch eine geistliche Person? Das ist eine Panhagia, was Sie da an der Brust tragen. Ihr Gesicht kommt mir bekannt vor. Ich habe Sie wahrscheinlich im Traum gesehen.«

»Fass mich nur an, das ist kein Traum. Freust du dich denn nicht, mich zu sehen?«

Folgsam berührte Matwej Benzionowitsch ihn am Ärmel. Er antwortete höflich:

»Aber ja, sehr sogar.«

Er blickte den Bischof wieder an und begann plötzlich zu weinen – langsam und lautlos, aber mit einem Strom von Tränen.

Mitrofani freute sich, dass Matwej Benzionowitsch Gefühle zeigte, und sei es auf diese Weise. Er strich dem Ärmsten über den Kopf und sagte immer wieder:

»Weine nur ein wenig, weine nur, mit den Tränen fließt auch das Gift aus der Seele.«

Aber Berditschewski schien sich darauf einzurichten, ausgiebig zu weinen. Die Tränen flössen unaufhörlich und irgendwie sehr eintönig. Es war ein merkwürdiges Weinen, ähnlich einem anhaltenden herbstlichen Sprühregen. Als der Bischof seinem geistlichem Sohn das Gesicht abwischte, war sein Taschentuch auf der Stelle durchnässt, und das Taschentuch war von beträchtlichem Ausmaß, beinahe einen Arschin groß.

Der Bischof runzelte die Stirn.

»Na, na, jetzt hast du aber genug geweint. Ich komme schließlich mit guten, mit sehr guten Nachrichten.«

Matwej Benzionowitsch schlug ergeben die Augen nieder, und sofort versiegten die Tränen.

»Das ist gut, wenn es gute Nachrichten gibt«, bemerkte er.

Mitrofani hatte damit gerechnet, dass Berditschewski nachfragen würde, und konnte es nicht mehr abwarten. Triumphierend verkündete er:

»Du bist in den nächsthöheren Rang befördert! Ich gratuliere. Darauf hast du doch schon lange gewartet. Jetzt bist du Staatsrat.«

»Ich kann gar kein Staatsrat sein.« Berditschewski legte bedachtsam seine Stirn in Falten. »Verrückte können keinen Rang fünfter Klasse bekleiden, das ist gesetzlich verboten.«

»Und ob sie das können«, scherzte der Bischof versuchshalber. »Ich kenne sogar Beamte der vierten und auch – man wagt es kaum zu sagen – der dritten Klasse, die eigentlich in die Irrenanstalt gehören.«

»Ach ja?«, fragte Matwej Benzionowitsch ein wenig verwundert. »Dabei lässt das Reglement für den Staatsdienst so etwas ganz gewiss nicht zu.«

Er schwieg wieder.

»Aber das ist noch nicht die wichtigste Nachricht.« Der Bischof klopfte Berditschewski aufs Knie, woraufhin der zusammenzuckte und weinerlich das Gesicht verzog. »Du hast einen Jungen bekommen, einen Sohn! Er ist gesund und munter, und Mascha geht es gut.«

»Es ist sehr schön«, nickte der stellvertretende Staatsanwalt, »wenn alle gesund sind. Ohne Gesundheit kein Glück – da nützen auch Ruhm und Reichtum nichts.«

»Sie haben auch schon einen Namen ausgesucht. Sie haben hin und her überlegt, und jetzt heißt er . . .« Mitrofani machte eine Pause »Akaki. Er heißt nun Akaki Matwejewitsch. Ist das nicht ein schöner Name?«

Matwej Benzionowitsch hieß auch den Namen gut.

Wieder trat Stille ein. Dieses Mal schwiegen sie mindestens eine halbe Stunde. Berditschewski machte das offensichtlich nichts aus. Er rührte sich kaum und starrte nur vor sich hin. Vielleicht zweimal, als Mitrofani sich regte, richtete Berditschewski seinen Blick auf ihn und lächelte wohlwollend.

Weil er nicht wusste, wie er die undurchdringliche Mauer durchbrechen sollte, knüpfte der Bischof ein Gespräch über die Familie an – zu diesem Zweck hatte er aus Sineosjorsk Fotografien mitgebracht. Matwej Benzionowitsch betrachtete die Aufnahmen mit höflichem Interesse. Uber seine Frau sagte er:

»Ein hübsches Gesicht, aber sie lächelt gar nicht.«

Auch die Kinder gefielen ihm.

»Ganz bezaubernde Knirpse haben Sie, Vater«, bemerkte er. »Und so viele. Ich wusste gar nicht, dass Personen von klösterlichem Stand Kinder haben dürfen. Leider darf ich keine Kinder haben, weil ich verrückt bin. Laut Gesetz dürfen Verrückte keine Ehe eingehen, und wenn so jemand bereits verheiratet ist, wird die Ehe für ungültig erklärt. Mir scheint, ich war früher auch verheiratet. Ich meine mich daran zu erin. . .«

In diesem Moment klopfte es vorsichtig, und das sommersprossige Gesicht von Polina Andrejewna lugte durch die Tür – im denkbar ungünstigsten Augenblick. Der Bischof bedeutete seiner geistlichen Tochter mit einer Gebärde: geh weg, störe uns nicht, und die Tür wurde wieder geschlossen. Doch der Augenblick war verpasst, Berditschewski erging sich nicht mehr in Erinnerungen, er war abgelenkt von einer Kakerlake, die langsam über den Nachttisch krabbelte.

Es vergingen Minuten, Stunden. Das Tageslicht wurde schwächer und erlosch. Im Zimmer wurde es dunkel. Niemand klopfte mehr an die Tür, niemand wagte den Bischof und seinen geistesverwirrten Schützling zu stören.

»Nun denn«, sagte Mitrofani, während er sich ächzend erhob. »Ich bin müde. Ich werde mich für die Nacht einrichten. Dein Physiker ist ohnehin nicht da, und wenn er auftaucht, kann der Doktor ihn woanders unterbringen.«

Er legte sich auf das zweite Bett und streckte seine tauben Glieder.

Matwej Benzionowitsch ließ zum ersten Mal Anzeichen von Unruhe erkennen. Er entzündete die Lampe und drehte sich zum Bischof um.

»Sie dürfen hier nicht bleiben«, sagte er nervös. »Dies ist ein Haus für Verrückte, und Sie sind gesund.«

Mitrofani gähnte und machte ein Kreuzzeichen über dem Mund, damit der böse Geist nicht hereinflöge.

»Wieso bist du verrückt? Du brüllst nicht herum und wälzt dich nicht auf dem Boden.«

»Ich wälze mich nicht auf dem Boden, aber dass ich gebrüllt habe, ist schon vorgekommen«, bekannte Berditschewski. »Wenn ich große Angst hatte.«

»Na, dann brüllen wir eben zusammen.« Die Stimme des Bischofs klang ungerührt. »Ich werde dich jetzt nie mehr allein lassen, Matjuscha. Wir werden immer zusammen sein. Denn du bist mein geistlicher Sohn, und ich liebe dich. Weißt du, was das ist – Liebe?«