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Während Donat Sawwitsch die zahlreichen Taschen seines Kittels und seines Überrocks abklopfte, warf der Bischof einen Blick in die Reisetasche.

Er zog ein Paar hohe Gummistiefel heraus, eine elektrische Lampe von ungewöhnlicher Konstruktion (sie war mit einer kleinen, durchlöcherten Blechplatte abgedeckt) und ein zusammengedrehtes schwarzes Stück Stoff. Er rollte ihn auseinander – es war eine Kutte mit einer durch einen Zwirnfaden nachlässig zusammengehaltenen Kapuze. An der Brust befand sich ein Einschnitt, damit man die Kapuze Zurückschlagen konnte, die Kapuze selbst war mit den Rändern zusammengenäht und hatte zwei Sehschlitze. Mitrofani steckte befremdet den Finger hinein, zuerst in das eine, dann in das andere Loch.

»Was ist, Doktor, haben Sie den Brief gefunden? Geben Sie her.«

Er setzte das Pincenez auf. Während er den zugeklebten Umschlag öffnete, brummte er:

»Seit dem frühen Morgen machen wir nichts anderes, als die Briefe einer gewissen Person zu lesen . . . Was ist denn das für ein Gekrakel, das sieht ja aus, als wäre ein Huhn über das Papier marschiert. Offenbar hatte sie es sehr eilig . . .«

Noch ein Brief

Ich bin gleich zu Ihnen gestürmt, aber zur Unzeit. Ich habe eine wichtige Nachricht, doch Ihre Beschäftigung ist hundertmal wichtiger. Möge der Herr Ihnen helfen, Matwej Benzionowitsch den verlorenen Verstand zurückzugeben. Wenn Ihnen das gelingt, sind Sie ein wahrer Zauberer und Wundertäter.

Verzeihen Sie, dass ich nicht gewartet habe und wieder eigenmächtig handle, aber ich weiß ja nicht, wie lange sich die Heilung hinzieht. Sie sagten, es könne eine ganze Woche dauern, aber es ist völlig unmöglich, so lange zu warten. Vermutlich darf man gar nicht mehr warten, denn Gott allein weiß, was im Kopf dieses Menschen vorgeht.

Auch wenn ich in Eile bin, bemühe ich mich, alles in der richtigen Reihenfolge zu schreiben.

Während ich auf Sie wartete und mich um den Ausgang dieser schwierigen (und vielleicht gar unmöglichen ?) Angelegenheit sorgte, wusste ich nicht so recht, wohin mit mir. Ich streifte durch das Haus, zunächst nur durch das Laboratorium, dann auch durch die anderen Zimmer, was natürlich sehr ungehörig von mir ist, aber es ließ mir keine Ruhe, dass Donat Sawwitsch gesagt hatte, er habe Ljampe seit mehreren Tagen nicht gesehen. Zwar können sich die Patienten frei bewegen, aber trotzdem ist das eigenartig. Zudem wurde mir klar, dass ich mich zu sehr auf Vater Israil und die Nachbarinsel konzentriert und darüber die Heilanstalt fast völlig aus den Augen verloren hatte – das heißt die Vermutung, jemand von den Insassen könnte der Verbrecher sein. Und wenn man an die Nacht denkt, als der schwarze Mönch mich überfallen hat, liegt gerade dieser Gedanke nicht fern.

Erstens: Wer konnte von den Stelzen des krankhaft reinlichen Patienten wissen und davon, wo man sie sich ausleihen kann? Nur jemand, der mit den Gewohnheiten der Patienten und mit der Lage der Gebäude bestens vertraut ist.

Zweitens: Wer konnte wissen, wo genau Matwej Benzionowitsch untergebracht ist, in der Nacht einen Schreck einjagen? Die Antwort ist dieselbe.

Und drittens: Nur jemand mit unmittelbarem Bezug zur Klinik konnte Lentotschkin ungehindert im Palmenhaus besuchen, so oft er wollte (Alexej Stepanowitschs Worten war deutlich zu entnehmen, dass der schwarze Mönch ihn mehrfach aufgesucht hatte) und den armen Jungen später töten und seine Leiche fortschaffen.

Das heißt, wenn man es ganz genau bedenkt, hätte dies auch ein Außenstehender tun können – ich bin schließlich auch unbemerkt in das Palmenhaus gelangt – doch für jemanden von hier wäre es einfacher gewesen.

Plötzlich machte ich mir Sorgen, ob nicht auch dem Physiker etwas zugestoßen war. Wenn er nun etwas gesehen hat, was er nicht hat sehen sollen, und ebenfalls auf dem Grund des Sees liegt ? Mir fielen Ljampes unzusammenhängende Reden ein, in denen er eindringlich von einer mysteriösen Emanation des Todes sprach, von einer schrecklichen Gefahr.

Also beschloss ich, in der Garderobe zu schauen, ob sein Mantel da war. Zuvor fragte ich den Pfleger, was Herr Ljampe üblicherweise anzieht, wenn er das Haus verlässt. Ich fand heraus, dass er immer dasselbe trägt: eine schwarze Baskenmütze, einen karierten Mantel mit Pelerine, Gummistiefel und auf jeden Fall einen großen Regenschirm, unabhängig vom Wetter.

Stellen Sie sich meine Aufregung vor, als ich all diese Dinge an ihrem Platz in der Garderobe fand! Ich ging in die Hocke, um die Gummistiefel genauer zu betrachten – manchmal kann man an getrockneten Dreckklümpchen sehr vieles ablesen: ob es lange her ist, dass die Schuhe das letzte Mal außerhalb des Hauses getragen wurden, über welche Art von Boden sie gegangen sind und dergleichen mehr. Dabei fiel mir die Tasche aus Wachstuch ins Auge, die in eine dunkle Ecke hinter dem Schuhschrank gestopft war.

Wenn Sie noch keinen Blick in die Tasche werfen konnten, tun Sie es jetzt. Sie werden darin alle nötigen Beweismittel entdecken: das Gewand des schwarzen Mönchs, die Stiefel, in denen man bequem »auf dem Wasser wandeln« kann, und die Lampe, die ein grelles Licht wirft, das nach oben und zu den Seiten hin streut. Wie Sie sich gewiss erinnern, hatte ich etwas in der Art vermutet.

Im ersten Moment dachte ich: Das hat jemand heimlich da versteckt. Der Verbrecher hat es da versteckt. Doch dann hielt ich einen von Ljampes Gummistiefeln gegen die Sohle eines Lederstiefels und überzeugte mich – dieselbe Größe. Der Physiker hat kleine Füße, fast wie eine Frau, sodass ein Irrtum ausgeschlossen ist. Da gingen mir sozusagen die Augen auf.

Natürlich, der schwarze Mönch – das ist Ljampe, der verrückte Physiker. Es kann eigentlich niemand anders sein. Ich hätte viel früher darauf kommen müssen.

Ich nehme an, es war so:

Im Bann seiner manischen Idee von einer »Emanation des Todes«, die angeblich von der Nachbarinsel ausgeht, fasste Ljampe den Plan, alle Menschen von diesem »verfluchten« Ort zu vertreiben. Bekanntlich kommt es bei Geisteskranken häufig vor, dass sie bei der Umsetzung ihrer wahnhaften Ideen wahre Wunder an Geschicklichkeit und List vollbringen.

Zuerst dachte der Physiker sich den Trick mit Wassilisk aus, der über das Wasser wandelt – die im Wasser verborgene Bank, die Kapuze, die raffinierte Lampe, die Grabesstimme, mit der er dem entsetzten Augenzeugen befahclass="underline" »Geh hin und sage es allen. Dieser Ort soll veröden« und anderes mehr. Dieser Einfall zeigte zwar eine Wirkung, aber keine ausreichende.

Da führte Ljampe sein Spektakel auch auf dem Festland auf, wobei es zu einem echten Verbrechen kam – zum Tod der schwangeren Frau des Bakenwärters und später zum Tod des Bakenwärters selbst. Wahnsinn dieser Art hat die Eigenschaft, immer größere Kreise zu ziehen, den Wahnsinnigen zu immer ungeheuerlicheren Taten anzustacheln.

Wie die Übergriffe auf Aljoscha, Felix Stanislawowitsch und Matwej Benzionowitsch ausgeführt wurden, habe ich Ihnen bereits beschrieben. Ich bin sicher, dass es genau so gewesen ist.

Ljampe fürchtete jedoch, dass Lentotschkin oder Berditschewski sich von dem fürchterlichen Schock erholen und sich an irgendein Detail erinnern könnten, das zum Verbrecher führt. Daher verfolgte und erschreckte er sie in der Klinik weiterhin. Lentotschkin war in einem erbärmlichen Zustand, bei ihm brauchte es nicht viel. Aber Berditschewski, dessen Gedächtnis und Verstand weitgehend funktionierten, widmete Ljampe besondere Aufmerksamkeit. Er wusste es einzurichten, dass Matwej Benzionowitsch in seinem Cottage untergebracht wurde, sodass Wassilisks Opfer sich unter ständiger Beobachtung des schwarzen Mönchs selbst befand. Und Berditschewski in der Nacht einen Schrecken einzujagen, war für den Physiker mehr als einfach. Er ging nach draußen, stellte sich auf die Stelzen und klopfte im ersten Stock ans Fenster – das war alles.