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Mir fiel ein, dass Ljampes Bett leer war, als ich mich zu Matwej Benzionowitsch ins Schlafzimmer schlich. Ich dachte, er sei im Laboratorium bei der Arbeit, tatsächlich aber befand Ljampe sich zu der Zeit draußen, wo er sich, als Wassilik verkleidet, auf seinen Auftritt vorbereitete. Als ich plötzlich durch das Lüftungsfenster kletterte und auf den Boden sprang, blieb ihm nichts anderes übrig, als mich durch einen Schlag mit seiner Stelze zu betäuben.

Das wollte ich Ihnen mitteilen, als ich einen Blick ins Zimmer riskierte. Sie haben mich weggeschickt, und ganz zu Recht. Es ist besser so.

Ich überlegte also weiter. Wo steckte Ljampe? Und warum hatte er seinen Mantel nicht angezogen? Man hatte ihn schon mehrere Tage nicht gesehen – vielleicht seit jener Nacht nicht mehr, in der Alexej Stepanowitsch getötet wurde?

Das entsetzliche Bild stand mir wieder vor Augen: das Boot, die Silhouette des schwarzen Mönchs, der magere, nackte Körper, der über Bord geworfen wurde. Und plötzlich schoss es mir durch den Kopf: Ein Boot! Ljampe hatte ein Boot!

Wozu? Vielleicht, um damit heimlich zur Nachbarinsel zu fahren?

Ich setzte mich an den Tisch und schrieb schnell alle Aussprüche von Vater Israil auf sechs insgesamt. Im vorigen Brief habe ich Ihnen geschrieben, dass ich meine, in diesen seltsamen Worten verbirgt sich eine geheime Botschaft, deren Sinn ich einfach nicht enträtseln kann.

Hier sind sie, diese kurzen Sätze, jeden Tag einer.

»Jetzt lassest du deinen Knecht in Frieden dahingehen – Tod.«

»Dein ist der Himmel – Feognost.«

»Und David erbebte das Herz – dunkel.«

»Wer Ohren hat zu hören, der höre – cucullus.«

»Und der Chrisambereiter mischt das Salböl – non facit.«

»Gräme dich nicht, er ist gesund – monachum.«

Das letzte Wort eines jeden Satzes habe ich mit einem Gedankenstrich ab getrennt, weil es immer das Wort ist, das der Abt dem Zitat aus der Heiligen Schrift hinzugefügt hat. Ich überlegte mir, ob es sein könnte, dass die geheime Botschaft immer nur in diesem letzten Wort enthalten ist. Also schrieb ich die letzten Worte jedes Ausspruchs nacheinander auf. Dabei kommt Folgendes heraus:

»Tod – Feognost – dunkel – cucullus – non facit – monachum.«

Zuerst dachte ich, das ist Unsinn, doch dann las ich die Zeile ein zweites Mal, ein drittes Mal, und schließlich dämmerte es mir.

Diese Zeile enthält nicht nur eine, sondern zwei Botschaften, die aus je drei Wörtern bestehen!

Der Sinn der ersten Botschaft ist vollkommen klar!

Der Tod von Feognost ist dunkel.

Das wollte der alte Mönch dem Klostervorsteher mitteilen! Die Umstände, unter denen der Eremit Feognost vor sechs Tagen gestorben ist, sind verdächtig. Außerdem hat er noch ein Zitat aus der Apokalypse hinzugefügt: »Wer Ohren hat zu hören, der höre.« Aber die Mönche haben es nicht gehört, nicht verstanden.

Was bedeutet das: »Der Tod ist dunkel«? Geht es vielleicht um Mord? Wenn ja, wer hat dann den heiligen Mönch umgebracht und zu welchem Zweck?

Die Antwort gab mir die zweite Botschaft, über die ich mir nicht lange den Kopf zerbrechen musste. Der Schlüssel ist das Wort »monachum«, was auf Lateinisch »Mönch« heißt – der Abt hat Latein gesprochen. »Cucullus« bedeutet »Kapuze«. Dann ergibt sich »cucullus non facit monachum«, also: »Eine Kapuze macht noch keinen Mönch« oder »Nicht jeder, der eine Kapuze trägt, ist ein Mönch!«

Warum auf Lateinisch, fragte ich mich, als ich die volle Bedeutung dieser Worte noch nicht erkannt hatte. Der Vater Wirtschafter, dem man alle Worte des Abtes überbrachte, konnte die fremde Sprache wohl kaum verstehen, außerdem würde der nicht besonders gebildete Bruder Kleopa dieses Kauderwelsch falsch wiedergeben. Der Mönch Israil muss das gewusst haben.

Das bedeutet, der lateinische Spruch war nicht für die Bruderschaft, sondern für mich gedacht. Zudem hatte der Eremit an den letzten drei Tagen nur noch mich angesehen, wie um das besonders zu betonen.

Woher wusste er, dass ein bescheidener junger Mönch mit einem blauen Auge Latein kann? Das ist mir ein Rätsel! Aber so oder so ist es offensichtlich: Israil wollte, dass nur ich allein ihn verstehe. Offenbar hat er sich darauf verlassen, dass der Vater Wirtschafter nicht besonders aufgeweckt ist.

An dieser Stelle kehrten meine Gedanken wieder zur Hauptsache zurück, und mir ging die Bedeutung des lateinischen Spruchs auf. Ich begriff nun, was der Mönch hatte sagen wollen! Der neue Träger der Eremitenkapuze ist nicht Vater Ilari, sondern ein Verbrecher – Ljampe! Dort ist er, deshalb sieht man ihn hier nicht mehr, deshalb sind alle seine Kleider an ihrem Platz!

Dem Physiker ist es gelungen, auf die Nachbarinsel zu kommen! Und wenn das so ist, dann hat er in jener Nacht folglich nicht nur einen Mord begangen, sondern zwei! Und es gab zwei Leichen. Bloß hat der Mond nicht lange genug hinter den Wolken hervorgelugt, sodass ich nur die Hälfte des schrecklichen Rituals gesehen habe. Der Übeltäter hat Lentotschkin für immer den Mund gestopft, aber warum er Berditschewski verschont hat, weiß Gott. Vielleicht sind auch in einem verhärteten, wahnsinnigen Herzen nicht alle Gefühle abgestorben, und Ljampe hat in den Tagen, die er unter einem Dach mit Matwej Benzionowitsch verbracht hat, eine Zuneigung zu seinem sanftmütigen Mitbewohner gefasst.

In der Nacht schlich der Wahnsinnige sich in die Abdankungskapelle, wo Vater Ilari sich allein auf die Askese vorbereitete, betete und die Kapuze zunähte. Dann beging er den Mord, und am Morgen trat nicht der Mönch, sondern der Verbrecher im schwarzen Gewand hinaus zum Boot.

Ich weiß nicht, ich kann nicht einmal vermuten, welche ungeheuerlichen Fantasien diesen getrübten Verstand beherrschen. Er wird doch nicht Vorhaben, auch die beiden anderen Eremiten zu töten ?

Als ich so weit gekommen war, wäre ich beinahe erneut zu Ihnen ins Zimmer gestürmt. Es ging schließlich um Menschenleben, Sie hätten mir sicher verziehen! Es war höchste Zeit, zur Einsiedelei aufzubrechen und den Usurpator zu entlarven!

Ich hielt schon die Türklinke in der Hand, aber da befielen mich Zweifel

Und was wäre, wenn ich mich täusche? Plötzlich ist Ljampe gar nicht auf der Nachbarinsel, und ich veranlasse Sie, die Abgeschiedenheit der heiligen Einsiedelei zu stören! Die Folgen einer solchen Schmähung würden entsetzlich sein. Seit achthundert Jahren hat kein Fremder seinen Fuß dahin gesetzt! Diese Schmähung würde dem Bischof nicht verziehen werden. Man würde über Sie herfallen, Sie in Stücke reißen, entehren – Vater Witali gäbe sich sicher alle Mühe. Welch ein Verlust wäre das für das Gouvernement. Was heißt für das Gouvernement – für die ganze orthodoxe Kirche!

Was hingegen könnte einer törichten, neugierigen Frau passieren? Nun, man würde sie mit Schimpf und Schande mit dem nächsten Schiff zurückschicken, mehr nicht.

Daher habe ich mir Folgendes überlegt: Ich gehe jetzt in die Stadt und verkleide mich als Klosterbruder. Dann gehe ich zur Landzunge, dort ist Bruder Kleopas Boot vertäut. Sobald es dunkel wird (und es wird jetzt schon früh dunkel), fahre ich zur Nachbarinsel – gebe Gott, dass niemand mich vom Ufer aus sieht.

In der Einsiedelei werde ich meinen Verdacht überprüfen und dann zurückkommen. Wenn ich mich getäuscht habe, ist es nicht weiter schlimm. Selbst mit der ganzen Heiligen Schrift wird es Vater Israil nicht gelingen, den Mönchen in Neu-Ararat meine unerhörte Dreistigkeit zu verraten – mit einem Wort pro Tag! Und selbst wenn, bei ihrer langen Leitung würden sie es ohnehin nicht begreifen.

Es ist sehr gut möglich, dass ich wieder zurück bin, bevor Sie Matwej Benzionowitschs Zimmer verlassen, der bis dahin hoffentlich durch Gottes Gnade und Ihre Herzensweisheit wiedererstanden ist.

Tadeln Sie mich nicht,