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»Pierrot – himbeerroter Kopf«, fiel Ljampe ein. »Unangenehm. Mascha schön dumm. Besser alte Jungfer. Aber Toto Becquerel klug, himmelblau. Ich sage doch immer: Mascha und Toto! Ignoranten! Korowin auch! Schöne Insel! Zum Anleger gegangen, ins Spektroskop geschaut. Vielleicht plötzlich jemand Kluges. Hilft. Ihnen erklären. Ich überhaupt nicht. Gut jetzt Sie. Verstanden, ja?«

Er sah den Bischof voller Furcht und Hoffnung an.

»Verstanden?«

Mitrofani trat zum Tisch, nahm behutsam den Glaskolben und betrachtete die mattglänzenden Feilspäne.

»Der Klumpen ist also mit schädlichen Strahlen verseucht?«

»Durch und durch. Und ganze Höhle. Achthundert Jahre! Auch wenn nur sechshundert, egal. Nicht Insel – Schafott!« Sergej Nikolajewitsch packte den Bischof bei den Ärmeln seines Gewands. »Sie sind ihr Oberhaupt! Verbieten! Niemand! Kein Einziger! Und die zurück. Wenn nicht zu spät. Obwohl, für sie zu spät. Ich hörte, kürzlich ein Neuer. Wenn er noch nicht in der runden, oder nicht lange, dann vielleicht, vielleicht. Retten. Die zwei anderen – nein. Aber diesen noch möglich. Wie lange? Fünf Tage? Sechs?«

»Er meint den neuen Eremiten, von dem Schwester Pelagia fälschlich annahm, es sei Ljampe«, erklärte Berditschewski dem Bischof, der bestürzt die Stirn runzelte. »So etwas, mir wäre nie in den Sinn gekommen, dass Ihre Nonne und Frau Lissizyna ein und dieselbe Person sind.«

»Ich erkläre dir das später«, sagte Mitrofani verlegen. »Verstehst du, Matwej, nach den Ordensregeln ist das natürlich eine unzulässige, ja empörende Sache, aber . . .«

»Genug Dummheiten.« Ljampe zerrte rücksichtslos am Gewand des Bischofs. »Die wegbringen. Keine Neuen hinlassen. Bloß mich. Zuerst abschirmendes Material notwendig. Ich suche. Noch nichts. Kupfer nicht, Stahl nicht, Blech nicht. Vielleicht Blei. Oder Silber. Sie klug. Ich zeige.«

Er zog den Bischof zum Tisch, blätterte sein Heft durch, fuhr mit dem Finger über die Berechnungen und Formeln. Mitrofani sah mit Interesse zu, nickte hin und wieder sogar – entweder aus Höflichkeit, oder weil er tatsächlich etwas davon verstand.

Berditschewski warf über Sergej Nikolajewitschs schmale Schulter hinweg ebenfalls einen Blick in das Heft. Er seufzte. In seiner Westentasche klingelte es viermal.

»Meine Güte, Eminenz!«, rief der stellvertretende Staatsanwalt. »Es ist vier Uhr nachts! Und Polina Andrejewna, Pelagia, ist immer noch nicht da! Es wird doch nicht etwas . . .«

Er verschluckte den Rest der Frage, weil Mitrofanis Gesicht sich mit einem Mal zu einer erschrockenen, schuldbewussten Grimasse verzerrte.

Der Bischof stieß das interessante Heft von sich, raffte ungnädig sein Gewand zusammen und stürmte polternd die Kellertreppe hinauf.

Die Höhle

In der »Keuschen Jungfrau«, wohin Polina Andrejewna aus der Klinik gefahren war, um die für ihre Expedition notwendigen Sachen zu holen, erwartete die Dame eine Unannehmlichkeit.

Alle Vorsichtsmaßnahmen, die sie getroffen hatte, um Lagranges gefährliche Hinterlassenschaft vor der übergroßen Neugier des Hotelpersonals zu schützen, hatten nicht geholfen. Schon im Vestibül bemerkte die Lissizyna, dass die Angestellte an der Rezeption sie irgendwie seltsam musterte – entweder misstrauisch oder furchtsam. Und als sie einen Blick in die Reisetasche warf, entdeckte sie, dass jemand sich daran zu schaffen gemacht hatte: Der Handschuh mit dem Schussloch lag anders da als vorher, und der Revolver war irgendwie anders in die Spitzenunterhosen gewickelt.

Das macht auch nichts mehr, sagte sich Polina Andrejewna. Mochte es nun gehen, wie es wollte. Wenn bei dem nächtlichen Ausflug alles gut gehen sollte, dann würde auch die Sache mit der Waffe glimpflich abgehen. Der Bischof würde es schon richten.

Aber sie konnte es auch einfacher haben. Sie würde sich umziehen, den Revolver aus der Reisetasche nehmen und im Pavillon verstecken, und wenn die Friedenswächter kommen sollten, würde sie sagen, das dumme Zimmermädchen hätte geträumt. Ich bitte Sie, was soll denn eine Pilgerin mit einer Waffe?

Jedenfalls würde sie die Reisetasche so oder so mitnehmen müssen.

Sie legte ein paar Kerzen und Streichhölzer hinein. Was noch? Das war wohl alles.

Sie setzte sich kurz hin, um noch einmal innezuhalten, bekreuzigte sich – und los ging es, hinaus in die dichter werdende Dämmerung.

Auf der Uferstraße beim Pavillon musste sie lange warten. Der Abend war klar und windstill, und es waren so viele Spaziergänger unterwegs, dass sie nicht hinter den Bretterverschlag schlüpfen konnte, ohne Aufmerksamkeit zu erregen.

Polina Andrejewna spazierte auf und ab, wickelte sich fest in ihren langen Mantel und verging fast vor Ungeduld, aber das Publikum wollte sich noch immer nicht zerstreuen. Direkt neben dem Pavillon hatte sich eine Gesellschaft nicht mehr junger Damen versammelt, die darüber diskutierten, dass der Bischof des Gouvernements eingetroffen war – ein nach Ararater Maßstäben kolossales Ereignis. Die Pilgerinnen ergingen sich in allerlei Mutmaßungen, und es war offensichtlich, dass sie so bald nicht wieder aufhören würden.

War es überhaupt nötig, sich umzuziehen, überlegte Polina Andrejewna plötzlich. Der Zutritt zur Nachbarinsel war für Frauen wie Klosterbrüder gleichermaßen verboten. Und wenn sie sich würde rechtfertigen müssen, dann umso mehr für die Maskerade. Eine Frau in Mönchskleidung – das war nicht nur eine lästerliche, sondern gewiss auch eine kriminelle Handlung.

Also wartete sie nicht länger, sondern ging, wie sie war, im Damenkleid und mit Reisetasche.

Wie bereits gesagt, war es ein mondheller, klarer Abend, und bald hatte Frau Lissizyna Bruder Kleopas Boot gefunden.

Sie ließ ihren Blick über das Ufer schweifen – es war alles ruhig, keine Menschenseele weit und breit.

Sie setzte sich ins Boot, flüsterte ein Gebet vor sich hin und griff zu den Rudern.

Aus der Dunkelheit kam die Nachbarinsel auf sie zu; sie war rund und mit Kiefern bewachsen, wodurch sie aussah wie ein Igel, der die Stacheln aufgestellt hatte. Mit einem widerlichen Knirschen lief der Kiel auf Grund, der Bug bohrte sich in das Geröll am Ufer.

Polina Andrejewna hockte sich hin und lauschte. Außer dem Plätschern des Wassers und dem verschlafenen Rauschen der Kiefern war kein Laut zu hören.

Sie klemmte die Bootskette unter einen schweren Stein. Dann umrundete sie die kleine Insel, wobei sie in Spiralen höher stieg. Wäre der Mond nicht gewesen, hätte sie den Eingang zur Einsiedelei wohl kaum gefunden: eine kleine dunkle Eichentür, eingefasst von ungleichmäßigen, bemoosten Steinen.

Die kleine Tür war direkt in den Abhang eingelassen und blickte nicht in Richtung Kanaan, sondern in Richtung des Sees, dahin, wo am Abend die Sonne unterging.

Auch wenn sie nicht besonders furchtsam war, musste sie ihren ganzen Mut zusammennehmen, bevor sie den kupfernen Türklopfer packte.

Sie zog sachte daran und rechnete damit, dass die Einsiedelei zur Nacht mit einem Riegel versperrt wäre. Aber nein, die Tür gab leicht nach. Vor wem hätte man hier auch die Tür zusperren sollen?

Das Quietschen war nicht laut, aber in der vollkommenen Stille ertönte es so klar und deutlich, dass Polina Andrejewna zusammenzuckte. Doch sie hielt nur für einen Augenblick inne, bevor sie erneut am Türklopfer zog.

Drinnen herrschte Finsternis. Keine von silbrigem Licht übergossene Finsternis wie draußen, sondern echte, undurchdringliche Finsternis, die modrig und irgendwie eigenartig roch – nach Wachs vielleicht, nach Mäusen oder nach altem Holz. Oder vielleicht einfach nach dem Staub, der sich über die Jahrhunderte hinweg hier angehäuft hatte?

Als die Kundschafterin einen Schritt weiterging und die Tür hinter sich zuzog, war es, als sei Gottes Welt verschwunden, von Finsternis und Tonlosigkeit verschluckt, nur durch den eigenartigen Geruch und sonst nichts erkennbar.