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Als ich davon erfuhr, war ich natürlich betrübt, aber nicht allzu stark, denn zu der Zeit hatte ich mich bereits für ein neues Objekt begeistet, das unerreichbarste von allen.

Dieses Objekt war niemand anders als Madame Posdnjajewa, die Eigentümerin des Etablissements. Als ich wegen der Japanerin mit ihr verhandelt hatte, hatte sie einen großen Eindruck auf mich gemacht. Sie war nicht mehr jung, etwa vierzig Jahre alt, aber sie hatte zarte Haut und war sehr gepflegt, und an ihren Augen war zu erkennen, dass sie viel von der Welt gesehen hatte. Sie durchschaute jeden Mann und verachtete sie alle. Ihr Herz war ein Stein, ihre Seele eine Brandstätte, ihr Verstand eine arithmetische Maschine.

Nachdem ich diese abschreckende Person kennen gelernt hatte, wurde ich allmählich von heftiger Leidenschaft für sie erfasst. Alle möglichen Frauen hatten mich geliebt, aber eine wie sie, kalt und grausam, noch niemals. Oder war sie etwa gar nicht fähig zur Liebe? Umso verlockender, in dieser Asche zu graben, ein nicht ganz heruntergebranntes Stück Kohle zu finden, sachte und behutsam zu blasen und eine alles verschlingende Flamme zu entfachen. Wahrhaftig die Tat eines Herkules, wenn es gelänge.

Ich brauchte weniger als einen Monat für die Belagerung von Troja. Zunächst einmal würde Frau Posdnjajewa mich mit anderen Augen ansehen müssen als die anderen Männer, beschloss ich. Für sie gab es zwei Kategorien von Vertretern unserer Gattung: diejenigen, an denen man sich infolge von Alter, Armut oder Krankheit nicht bereichern konnte, und diejenigen, die für das Laster zahlen wollten und konnten. Erstere existierten für sie überhaupt nicht, Letztere verachtete sie und plünderte sie schonungslos aus. Wie ich später herausfand, schreckte sie auch vor Erpressung nicht zurück (in ihrem Etablissement gab es allerlei ausgeklügelte Vorrichtungen, mittels derer die Besucher heimlich beobachtet und fotografiert werden konnten).

Ich musste also einen Platz zwischen diesen beiden Kategorien von Männern einnehmen und ihr zeigen, dass man sich zwar an mir bereichern konnte, ich aber keine käufliche Liebe brauchte. Zudem sind Frauen wie sie, die mit allen Wassern gewaschen sind und alles durch eigene Kraft erreicht haben, erpicht auf raffinierte Schmeicheleien.

Also gewöhnte ich mir an, beinahe täglich ihre Lasterhöhle aufzusuchen. Doch ging ich nicht zu den jungen Damen, sondern ich saß bei der Gastgeberin, führte kluge, zynische Gespräche von der Art, wie sie ihr gefallen mochten. Und jedes Mal ließ ich Geld da – eine großzügig bemessene Summe, doppelt so viel wie die übliche Bezahlung.

Sie war unschlüssig und konnte mich keiner bestimmten Kategorie Mann zuordnen. Dann bildete sie sich ein, ich sei in sie verliebt, und sogleich wurde sie mir gegenüber von noch größerer Verachtung erfüllt als gegenüber ihren übrigen Kunden. Einmal sagte sie lachend zu mir: ›Was raspeln Sie Süßholz? Ich wundere mich über Sie. Sie sind doch sonst nicht so schüchtern. Gott sei Dank bin ich keine ingénue. Wenn Sie mit mir ins Bett wollen, sagen Sie es. Sie haben so viel Geld bezahlt, dass ich mich Ihnen schon aus Anstand nicht verweigern werde.‹ Ich dankte ihr höflich, nahm ihre Einladung an, und wir gingen in ihr Schlafzimmer.

Es war eine merkwürdige Liebesnacht: Wir wollten einander mit unserer Kunst beeindrucken und blieben beide völlig kalt dabei. Sie, weil sie schon seit langem ausgebrannt war. Ich, weil ich etwas anderes von ihr wollte. Zum Schluss sagte sie erschöpft: ›Ich begreife Sie nicht‹. Und das war der erste Schritt zum Sieg.

Ich besuchte sie auch weiterhin, aber ich drängte mich nicht ins Schlafzimmer, und sie lud mich nicht ein. Sie beobachtete mich, starrte mich an, als suche sie etwas lange Vergessenes herauszufinden.

Ich begann, sie über ihre Vergangenheit auszufragen. Nicht über ihr Leben als erwachsene Frau, Gott bewahre. Über die Kindheit, die Eltern, die Freundinnen auf dem Gymnasium. Das war notwendig, damit sie an eine andere Zeit erinnert wurde, als ihre Seele und ihre Gefühle noch nicht abgestorben waren. Madame Posdnjajewa antwortete zunächst kurz angebunden und unwillig, aber dann wurde sie gesprächiger – man brauchte nur zuhören. Und zuhören konnte ich.

So überwand ich die zweite Stufe, ich gewann ihr Vertrauen, und das allein war keine geringe Tat.

Als sie mich einige Wochen später zum zweiten Mal in ihr Boudoir einlud, verhielt sie sich schon ganz anders, nicht so mechanisch. Am Ende brach sie unvermittelt in Tränen aus. Sie war selbst furchtbar erstaunt – dreizehn Jahre lang habe ich keine einzige Träne vergießen können, sagte sie, und mit dir fange ich plötzlich an zu weinen.

Eine Liebe wie die, mit der die Posdnjajewa mich beschenkte, hatte ich nie zuvor gekannt. Als sei ein Damm gebrochen, als würde ich von der Strömung ergriffen und mitgerissen. Es war ein wahres Wunder – zu beobachten, wie eine tote Seele zum Leben erwacht. Wie wenn in der Wüste plötzlich ein klarer Quell aus dem Sand, aus der aufgesprungenen Erde sprudelt, üppiges Grün wuchert und Blumen von unerhörter Schönheit erblühen.

Sie schloss ihr Bordell. Das Geld, das sie durch ihre Kuppelei angehäuft hatte, verteilte sie an die Mädchen, die sie in alle vier Winde ziehen ließ. Ihre verhängnisvolle Fotosammlung vernichtete sie. Und sie selbst veränderte sich so, dass sie nicht wiederzuerkennen war. Sie wurde jünger und frischer, geradezu mädchenhaft. Vom frühen Morgen an sang und lachte sie. Zwar weinte sie auch oft, aber ohne Bitterkeit – sie vergoss einfach die über all die Jahre nicht geweinten Tränen.

Und ich liebte sie. Ich konnte mich gar nicht genug erfreuen am Resultat meiner Arbeit.

Einen Monat lang, vielleicht zwei, freute ich mich.

Im dritten Monat nicht mehr.

Eines Morgens (sie schlief noch) verließ ich das Haus, setzte mich in einen Fiaker, fuhr zum Bahnhof und reiste nach Paris ab. Ich hinterließ ihr eine Nachricht: Die Wohnung ist bis Ende des Jahres bezahlt, in der Schatulle ist Geld, verzeih, leb wohl.

Später erzählte man mir, als sie beim Aufwachen meine Nachricht gelesen habe, sei sie nur mit einem Hemd bekleidet aus dem Haus gelaufen, die Straße hinuntergerannt und nie mehr in die Wohnung zurückgekehrt.

Nach einem halben Jahr kehrte ich aus dem Ausland zurück. Es war schon Winter. Ich mietete ein Haus und nahm mein früheres Leben wieder auf, doch irgendetwas ging mit mir vor, ich empfand keine Freude mehr an den früheren Lustbarkeiten.

Eines Tages fuhr ich auf dem Weg zu einer außerhalb der Stadt gelegenen Villa über den Ligowski-Prospekt, als ich sie, die Posdnjajewa, in der Gosse entdeckte, schmutzig, räudig, mit grauen Haaren, fast zahnlos. Sie konnte mich nicht sehen, weil sie völlig betrunken umhertorkelte.

Im selben Moment war der unsichtbare Becher zum Überlaufen gefüllt. Ich zitterte am ganzen Körper, war über und über mit kaltem Schweiß bedeckt und sah, wie sich vor mir die Hölle auftat. Ich erschrak und war zutiefst beschämt.

Ich ließ die Streunerin mitnehmen und in einem ordentlichen Zimmer unterbringen. Ich fuhr zu ihr, bat sie um Vergebung. Doch meine frühere Geliebte hatte sich erneut verändert. In ihr war keine Liebe mehr, nur Feindseligkeit und Habsucht. Der blühende Garten war vertrocknet, die wunderbare Quelle versiegt. Und mir wurde klar – die schlimmste Freveltat ist nicht, eine lebendige Seele zugrunde zu richten, sondern eine tote Seele zum Leben zu erwecken, um sie dann von neuem und endgültig zu vernichten.

Ich vermachte der Unglücklichen mein gesamtes Vermögen und ging ins Kloster, um mich zu fangen und vom Schmutz zu reinigen. Das ist meine ganze Geschichte.

Und nun sag mir, meine Schwester, gibt es Vergebung für meine Verbrechen oder nicht?«

Polina Andrejewna, erschüttert von der Erzählung, schwieg.

»Das weiß allein der Herr . . .«, sagte sie schließlich, wobei sie vermied, den reuigen Sünder anzusehen.