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»Gott wird es vergeben. Das weiß ich. Vielleicht hat er mir schon vergeben«, erwiderte Israil ungeduldig. »Aber sag du mir, als Frau: Kannst du mir vergeben? Sag die Wahrheit!«

Sie versuchte auszuweichen:

»Ist denn meine Vergebung so viel wert? Schließlich haben Sie mir nichts Böses angetan.«

»Sehr viel«, versetzte der Abt entschlossen, als habe er lange darüber nachgedacht. »Wenn du mir verzeihst, dann würden auch sie mir verzeihen.«

Polina Andrejewna wollte ihm tröstende Worte sagen, doch sie konnte nicht. Das heißt, es wäre nicht einmal schwierig gewesen, sie auszusprechen, doch sie wusste, der Mönch würde ihre Unaufrichtigkeit spüren, und das wäre noch schlimmer.

Als sie schwieg, verdüsterte sich das Gesicht des Einsiedlers. Leise sprach er:

»Ich wusste es . . .« Er legte ihr die Hand auf die Schulter. »Steh auf und geh. Kehre zurück in die Welt. Du darfst nicht hier bleiben. Und ich möchte mich entschuldigen, schließlich habe ich dich absichtlich hierher in die Einsiedelei gelockt. Nicht Feognosts wegen und auch nicht Ilaris wegen. Es ist nichtig, wer getötet hat und warum. Der Herr wird jedermann Gerechtigkeit widerfahren lassen, und keine einzige gute Tat wird ohne Belohnung, keine einzige böse Tat ohne Bestrafung bleiben. Die geheimnisvollen Worte sollten dich hierher locken, weil ich vor meinem Tod noch einmal eine Frau sehen und um Verzeihung bitten wollte . . . Das habe ich getan, aber mir ist nicht verziehen worden. So sei es also. Geh.«

Er konnte es kaum abwarten, dass die Besucherin wegging, ihn in seiner Einsamkeit zurückließ, und stieß die Tür auf.

Frau Lissizyna trat hinaus in den Stollen und hörte von neuem das kaum vernehmliche, widerliche Kreischen.

»Was ist das?«, fragte sie erschauernd. »Fledermäuse?«

Israil erwiderte gleichgültig:

»Fledermäuse gibt es hier nicht. Und was nachts in der Höhle vor sich geht, weiß ich nicht. Es ist ein Ort, an dem alles Mögliche geschehen kann. Es ist schließlich nicht irgendwas, sondern ein Stück der Himmelskugel.«

»Was?«, fragte Polina Andrejewna erstaunt. »Ein Stück der Himmelskugel ?«

Der Mönch verzog das Gesicht und schien sich zu ärgern, dass er zu viel gesagt hatte.

»Du darfst davon gar nichts wissen. Geh jetzt. Erzähle niemandem, was du hier gesehen hast. Aber das wirst du nicht tun, du bist klug. Verlauf dich nur nicht. Zum Ausgang musst du nach rechts gehen.«

Die Tür schlug zu, und Polina Andrejewna stand in völliger Finsternis.

Sie entzündete eine Kerze und lauschte auf das unbegreifliche Geräusch. Dann ging sie los.

Allerdings nicht nach rechts, sondern nach links.

Wassilisk

Der Stollen, den der Mönch Israil als Zugang bezeichnet hatte, führte allmählich ansteigend immer höher. Nun waren zu beiden Seiten nackte Wände, und Polina Andrejewna überlegte, dass hier noch Platz für viele Hunderte von Leichen war.

Das Geräusch wurde immer lauter und unerträglicher, die eiserne Kralle schien nicht über Glas zu fahren, sondern über ein wehrloses, entblößtes Herz. Einmal konnte die Lissizyna es nicht mehr ertragen, sie blieb stehen, stellte die Reisetasche auf die Erde und hielt sich die Ohren zu, auch wenn so die Gefahr bestand, dass ihre Haare an der Kerze, die sie zwischen die Finger geklemmt hatte, Feuer fingen.

Das geschah nicht, doch ihr tropfte Wachs auf die Schläfe, und diese glühende, lebendige Berührung stärkte Polina Andrejewnas Nerven.

Sie ging weiter.

Der Stollen, der bis jetzt fast gerade oder wenigstens nicht merklich gekrümmt verlaufen war, machte plötzlich eine Biegung um neunzig Grad.

Frau Lissizyna spähte um die Ecke und erstarrte.

Weiter vorn schimmerte mattes Licht. Die Erklärung für das eigenartige kreischende Geräusch war ganz nah.

Polina Andrejewna blies die Kerze aus und schlich, eng an die Wand gepresst, vorsichtig um die Ecke.

Auf Zehenspitzen huschte sie lautlos voran.

Der Stollen verbreiterte sich zu einer runden Höhle, deren Gewölbe sich hoch oben in der Finsternis verlor.

Aber Polina Andrejewna blickte gar nicht empor – so sehr fesselte sie das Bild, das sich ihren Augen bot.

Mitten in der Höhle lag eine ebenmäßige runde Kugel, die zu einem Drittel in der Erde versunken war. Vom Umfang her entsprach sie in etwa einem dicken Schneeball, wie ihn Kinder als Rumpf für einen Schneemann nehmen. Die Oberfläche schillerte in allen Regenbogenfarben – violett, grün, rosa. Dieses Schauspiel war so wunderbar, so unerwartet nach dem langen Umherirren im Dunkel, dass die Lissizyna einen Seufzer ausstieß.

Neben der Kugel stand eine Lampe. Sie beleuchtete die glitzernde Oberfläche, ließ sie Lichtflecken und Funken sprühen.

Zwischen der Lampe und der Kugel kauerte ein schwarzer, gebückter Schatten, der mit gleichmäßigen Bewegungen hin und herwippte. Das widerliche Kreischen erscholl genau im Takt dieser Bewegungen.

Polina Andrejewna machte noch einen kleinen Schritt, doch im selben Augenblick brach das Geräusch unvermittelt ab, und in der eintretenden Stille klang das Tappen ihrer Schuhsohle plötzlich ohrenbetäubend laut.

Die gebückte Gestalt erstarrte, als würde sie lauschen. Sie machte eine vorsichtige Bewegung, als streiche sie über die Kugel oder als streife sie behutsam etwas ab.

Was tun? Sollte sie still stehen bleiben, in der Hoffnung, dass alles gut gehen würde, oder Reißaus nehmen?

Frau Lissizyna stand in einer äußerst unbequemen Position da: Der eine Fuß war vorgestellt und trug ihr ganzes Körpergewicht, der andere stand auf Zehenspitzen.

Und nun kitzelte es sie auch noch unbändig in der Nase. Das Niesen konnte sie unterdrücken, indem sie einen Finger heftig auf die Nasenwurzel presste, doch einen krampfhaften Atemzug konnte sie nicht zurückhalten.

Der schwarze Mensch (wenn es denn ein Mensch war) machte eine hastige Bewegung, deren Sinn Polina Andrejewna nicht sogleich erfasste. Erst als der obere, runde Teil der Silhouette plötzlich spitz zulief, verstand sie: Er hatte eine Kapuze über den Kopf gezogen.

Es hatte keinen Sinn, sich noch zu verstecken. Weglaufen aber wollte Frau Lissizyna nicht.

Sie ging geradewegs auf den Mönch zu (jetzt konnte man sehen, dass es ein Mönch war), der sich zu voller Größe aufgerichtet hatte; er wich zurück.

Wenige Schritte vor dem schmalen, schwarzen Schatten blieb Polina Andrejewna stehen – so unheimlich glitzerten die Augen in den Sehschlitzen der Kapuze. Genau so musste Wassilisks Blick funkeln, nicht der des heiligen gerechten Wassilisk, sondern der des schrecklichen Abgesandten der Hölle mit dem Krötenkörper, dem Schlangenschwanz und dem Hahnenkopf. Der todbringende Blick des Ungeheuers, der Steine zerspringen, Blumen verdorren und Menschen tot umfallen lässt.

»So einer sind Sie also, Alexej Stepanowitsch«, sagte Polina Andrejewna erschauernd.

Der schwarze Mönch regte sich nicht, und da fuhr sie fort – leise und bedächtig:

»Ja, Sie sind es, Sie. Es kann niemand anders sein. Zunächst dachte ich an Sergej Nikolajewitsch Ljampe, doch jetzt, während ich allein in der Finsternis durch den Stollen ging, wurde mir alles klar. Das ist häufig so: Wenn die Augen blind sind, sehen Verstand und Seele besser, und sie lassen sich nicht durch Sinnestäuschungen ablenken. Sergej Nikolajewitsch hätte Sie niemals vom Palmenhaus bis zum See schleppen können. Er ist viel zu schwach dazu, seine Kräfte hätten nicht ausgereicht, und es ist ein weiter Weg. Dann wieder ließ mir Galileis Spruch von der Messbarkeit des Unmessbaren, den ich in Ljampes Heft mit den Formeln gesehen hatte, keine Ruhe. Wo hatte ich ihn vorher gehört? Erst jetzt erinnerte ich mich, wo das war. Das stand in Ihrem dritten Brief. Folglich mussten Sie damals schon in Ljampes Laboratorium gewesen sein und einen Blick in sein Heft geworfen haben. Plötzlich passte alles zusammen, und mir wurde alles klar. Nur schade, dass das nicht früher geschah.« Polina Andrejewna wartete, ob der Mönch etwas darauf sagen würde, doch dieser schwieg. »Am ersten Tag fanden Sie die unterhalb der Wasserlinie verborgene Bank, und in Ihrem Brief machten Sie eine Anspielung auf diesen pikanten Umstand und versprachen, am folgenden Tag wirkungsvoll des Rätsels Lösung zu liefern. In der Nacht machten Sie sich auf, den schwarzen Mönch aufzuspüren, und Sie hatten Erfolg. Sie verfolgten den Mystifikator bis zur Heilanstalt, um herauszubekommen, wer sich dahinter verbirgt. Sie steckten Ihre Nase in seine Aufzeichnungen . . . Ich habe keine Ahnung von diesen Formeln, aber Sie kennen sich damit aus. Nicht umsonst hat man Sie auf der Universität zum künftigen Faraday auserkoren. Dort haben Sie etwas über die Höhle und diese Kugel gelesen, was alle Ihre Pläne umgeworfen hat, woraufhin Sie Ihr eigenes Spiel zu spielen begonnen haben.« Misstrauisch blickte sie auf die geheimnisvoll funkelnde Kugel. »Was ist denn an dieser Kugel so Besonderes, dass Sie ihretwegen ein solches Risiko eingegangen sind und so viele Menschen zugrunde gerichtet haben?«