Als Erstes machte der Emissär des Heiligen Synods eine Reihe von Besuchen. Er begann mit dem Gouverneur, das verlangten die Höflichkeit und der offizielle Charakter seiner Reise.
Anton von Gaggenau, der das bislang Geschilderte über den Gast aus der Hauptstadt bereits wusste, war gefasst auf einen Neophyten, einen Zöllner Matthäus, eine besonders gefährliche Abart von Glaubenshüter, und wappnete sich mit größter Vorsicht. Dafür war seine Frau Ljudmila, deren Phantasie weniger die geistige Wiedergeburt dieses Kudejar (Kudejar - legendärer Räuberhauptmann des 16. Jahrhunderts. D.Ü.) entflammte als vielmehr dessen früheres Sündenleben, unversöhnlich gestimmt, obwohl sie ein wenig Herzklopfen hatte. Die Gouverneursgattin malte sich aus, wie in ihrem gemütlichen Salon ein infernalisch schöner Mann erschien, ein Verderber unschuldiger Jungfrauen, ein Wolf im Schafpelz, und hielt sich bereit, einerseits nicht seinem satanischen Zauber zu erliegen und andererseits den Unhold in seine Schranken zu weisen, denn Sawolshsk, das ist nicht das lasterhafte Sankt Petersburg, wo die Frauen leicht zugänglich und sittenlos sind.
Es ist ja so, dass mit einer Reputation wie der Bubenzows, noch dazu in der Provinz, wo es wenig Auswahl gab, jeder Mann von leidlichem Aussehen alle Chancen gehabt hätte, als »interessanter Typ« zu erscheinen.
Gleichwohl war die Gouverneursgattin im ersten Moment tief enttäuscht. Den Salon betrat, sich verbeugend, ein feingliedriger, um nicht zu sagen, schwächlicher Herr um die dreißig, ganz außerordentlich beweglich in den Gelenken (»schlenkrig« nannte es Ljudmila Petrowna, die sich gern anschaulich ausdrückte). Um der Gerechtigkeit willen räumte sie ein, dass der Besucher gut gebaut war. Seine schmale Figur hatte die federnde Geschmeidigkeit einer Rapierklinge, aber das verlieh ihm eine unvorteilhafte Ähnlichkeit mit dem Stutzer Dudeval, dem Tanzlehrer am Sawolshsker Pensionat für adlige Fräulein. Auch das Gesicht Bubenzows war nicht schön: scharfe räuberische Züge, Hakennase und helle starre Augen, die etwas Eulenhaftes hatten. Das einzig Attraktive an dieser Physiognomie waren die geschwungenen Brauen und die dichten Wimpern. Ljudmila mutmaßte sogleich, dass er damit seine unglücklichen Opfer verführt hatte. Um aber der Hausherrin der Gouverneursvilla zu gefallen, bedurfte es wesentlicherer Vorzüge, was sie ihm auch zu verstehen gab, indem sie ihm die Hand zum Kuss verweigerte.
Zu Beginn des Gesprächs erregte der Petersburger Fant noch mehr ihr Missfallen. Seine Stimme war leise, träge, und er dehnte die Vokale lässig in die Länge. Auf seinem Gesicht spielte ein gelangweiltes liebenswürdiges Lächeln.
In der Folgezeit, als die Sawolshsker Bubenzow besser] kennen lernen konnten, wurde deutlich, dass er sich beim ersten Gespräch mit Unbekannten immer so gab, es sei denn, er hielt es für notwendig, auf seinen Partner einen besonderen Eindruck zu machen. Umso stärker war der Effekt plötzlicher Metamorphosen, wenn sein Geschwätz unvermutet in Angriffslust umschlug. Diese Methode beherrschte Bubenzow perfekt.
Mit dem Baron und der Baronin unterhielt er sich über allerlei Unwichtiges, das mit dem Ziel seiner Reise nichts zu tun hatte: über die zermürbende Fahrt, über die letzte Mode, über die Vorzüge der englischen Pferde vor denarabischen. Anton von Gaggenau hörte aufmerksam zu, pflichtete bei und überlegte, wie gefährlich dieser Schwätzer sein mochte. Dabei spielte er den wohlmeinenden Einfaltspinsel, was ihm, nebenbei bemerkt, hervorragend gelang. Seine Schlussfolgerung war wenig tröstlich: Bubenzow ist gefährlich, äußerst gefährlich sogar.
Ljudmila beteiligte sich prinzipiell nicht an solchem Geplauder, sie saß finster da, betrachtete feindselig die erstaunlich kleinen, gepflegten Hände des gefährlichen Beamten, die mit einem Spitzenfächer spielten (der Abend war schwül), und dachte: ein schöner Graf Nulin (Graf Nulin - Held des gleichnamigen Poems von Alexander Puschkin. D.Ü.)!
Der Besucher hatte binnen fünf Minuten erkannt, wer von den beiden die Hauptperson war, und sah den Gouverneur kaum noch an, sondern wandte sich im Gespräch nur noch an dessen Gattin. Sie gewann den Eindruck, dass er es darauf anlegte, sie zu ärgern mit seinem herablassenden Blick unter dichten Wimpern. Das empörende Angestarrtwerden schaffte ihr großes Unbehagen, als wäre sie nicht ganz angezogen.
Gegen Ende der halbstündigen Visite geschah Folgendes: Der Sekretär schaute herein, der Baron entschuldigte sich und ging zum Schreibtisch, um ein wichtiges Papier zu unterschreiben (man weiß sogar, was für eines – Freistellung des Buchhandels von der Akzise). Da fragte Bubenzow, ohne den Ton noch den Gesichtsausdruck zu ändern, so träge wie zuvor:
»Ich habe gehört, liebenswürdige Ljudmila Petrowna, Sie widmen sich mit großem Eifer der Wohltätigkeit? Löblich, löblich.«
Die Gouverneursgattin, unangenehm berührt von seinem Ton, antwortete abweisend, ja, giftig:
»Gibt es denn einen würdigeren Zeitvertreib für eine Frau in meiner Stellung?«
Die eine fein gezeichnete Braue hob sich verwundert, das eine Auge bohrte sich in Ljudmilas Seele, das andere wurde ganz schmal und war kaum noch zu sehen.
»Was für eine Frage! Man sieht sogleich, dass Sie noch nie geliebt haben und wohl gar nicht wissen, was Liebe ist.«
Die Dame des Hauses lief rot an, fand keine Antwort und glaubte sogar, sich verhört zu haben, denn die sonderbare Bemerkung war ohne jeden Ausdruck gefallen. Und da kam schon der Gouverneur zurück, so dass die Gelegenheit einer Abfuhr verpasst war.
Danach schwatzte der Besucher noch ein paar Minuten über allerlei Unsinn, aber Ljudmila betrachtete ihn schon mit anderen Augen – ängstlich und zugleich irgendwie erwartungsvoll.
Beim Abschied beugte sich der Inspektor über ihre Hand, die sie ihm diesmal nicht verweigerte, und raunte:
»So zerrinnt das Leben. Schade.«
Der Mann war geschickt – er nutzte aus, dass der Gouverneur gerade selbstvergessen, kieferknackend gähnte, dabei taktvoll die Hand vor den Mund hielt und so die frechen Worte nicht hören konnte.
Das war alles gewesen. Aber zur allgemeinen Verwunderung, am meisten derjenigen ihres Gatten, begann Ljudmila Platonowna von diesem Tag an, den Petersburger Abgesandten auszuzeichnen, man kann sagen, sie nahm ihn unter ihre Fittiche. Er besuchte sie häufig in ihren Gemächern, einfach so, ohne besonderes Anliegen. Dann hörte man im Hause Klavierspiel, zweistimmigen Gesang und fröhliches Gelächter. Der Gouverneur hatte anfangs versucht, an dem Frohsinn teilzuhaben, doch er wurde sich alsbald leidvoll bewusst, überflüssig zu sein, entfernte sich unter dem Vorwand unaufschiebbarer Pflichten und litt dann noch mehr in der Stille seines Kabinetts. Es gab auch Picknickausflüge im kleinen Kreis und Bootsfahrten und sonstige schickliche Zerstreuungen. Bubenzow hegte möglicherweise aufrichtige Sympathien für die Baronin, die, wie schon erwähnt, mit Schönheit und mit seelischen Qualitäten gesegnet war, doch ihn leitete zweifellos auch etwas anderes: die enge Freundschaft mit der einflussreichsten Frau des Gouvernements, die der Kommissar des Synods für seine Pläne brauchte.
Von dem Ehepaar von Gaggenau führte den Neuankömmling die nächste Visite direkt zur Frau des Postmeisters, Olimpiada Saweljewna Schestago, deren Salon in Konkurrenz zu dem der Gouverneursgattin stand. Die Gesellschaft von Sawolshsk war damals in zwei heimliche Parteien gespalten, die man als konservativ und progressiv bezeichnen könnte (letztere wurde manchmal noch aus alter Gewohnheit liberal genannt, dabei kommt dieses Wort im heutigen Russland immer mehr aus der Mode). Beide Lager wurden von Frauen angeführt. Die konservative Partei war, wie es sich gehört, die herrschende, und ihre wahre Führerin war Ljudmila von Gaggenau. Die meisten Beamten und ihre Frauen scharten sich entsprechend ihrer Stellung, Tätigkeit und natürlicher Überzeugung um diese Standarte.