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An dieser Stelle scheint eine Erklärung zu der Gabe angebracht, von der die Generalswitwe schreibt und die einer geistlichen Person im Bischofsrang nicht so recht zu Gesicht steht. Nichtsdestoweniger besaß Mitrofani neben erhabenen Vorzügen auch das selten anzutreffende wertvolle Talent, komplizierte Rätsel zu entwirren, namentlich solche mit verbrecherischem Hintergrund. Man kann sogar sagen, er hatte eine richtige Leidenschaft für solche Akrobatik des Verstandes, und es war mehrmals vorgekommen, dass Polizeibehörden, sogar aus den angrenzenden Gouvernements, bei einer verwickelten Untersuchung respektvoll seinen Rat einholten. Auf diesen seinen Ruhm war der Bischof von Sawolshsk insgeheim sehr stolz, wenngleich nicht ohne Gewissensbisse – erstens weil dieser Stolz zweifellos zur Kategorie der eitlen Ruhmsucht zählte, und zweitens aus noch einem Grund, den nur er selbst kannte und noch eine Person, darum verschweigen wir ihn.

Die Bitte der Tante, zu ihr aufs Gut zu eilen, um die Umstände des Todes von Saguljai aufzuklären, hatte den Bischof am Abend, beim ersten Lesen des Briefes, belustigt. Auch jetzt, beim nochmaligen Lesen, dachte er: Mumpitz, die Grillen einer alten Frau. Sie wird ein paar Tage liegen bleiben und wieder aufstehen.

Er löschte die Kerze und legte sich hin, aber ihm war nicht wohl ums Herz. Er versuchte, für die Genesung der Tante zu beten, denn bekanntlich gelangt ein Gebet bei Nacht leichter zu Gott. Auch der heilige Slatoust (Slatoust – altrussische Sammlung von Texten moralisch-belehrenden Inhalts, hauptsächlich von Werken des Ioann Slatoust (347-407). D.Ü.) schreibt ja, dass Gott der Herr gnädiglich nächtliche Gebete erhört, »wenn du weinst, derweil die meisten Menschen schlummern«.

Aber sein Gebet kam nicht von Herzen, es war wie Papageiengeschwätz, und solche Gebete galten ihm nichts. Er auferlegte auch niemandem Gebete als Buße, das hielt er für Lästerung. Ein Gebet ist kein Gebet, wenn es nur aus dem Munde geht, ohne das Herz zu berühren.

Na schön, soll Pelagia hingehen, beschloss Mitrofani. Soll sie herausfinden, was da mit dem verwünschten Saguljai geschehen ist.

Sogleich wurde ihm leichter ums Herz, die Zikaden quälten ihn nicht mehr mit ihrem vielstimmigen Gesäge, sondern lullten ihn ein, und der Mond stach nicht mehr in die Augen, sondern wusch das Gesicht wie mit warmer Milch. Mitrofani schloss die Lider, die Stirn glättete sich. Er schlief ein.

Am Morgen wurden in der Hauskirche anlässlich des Festes der Verklärung Christi, das auch Apfelweihe genannt wird, die Früchte gesegnet. Dieses Kirchenfest, nicht das größte der zwölf, liebte Mitrofani für seine Frische und gottgefällige Leichtigkeit. Er selbst hielt keinen Gottesdienst ab, sondern stand hinten auf dem bischöflichen Podest, von wo er einen besseren Blick hatte auf die mit Äpfeln geschmückte Kirche, auf die zahlreichen Kirchenbesucher und auf die Priester und die Diakone in ihrem »Apfelornat« – hellblau mit Gold, bestickt mit Früchte-und Laubmotiven. Die Sänger des berühmten bischöflichen Chors gingen von zwei Seiten aufeinander zu und schmetterten ihren Gesang, und zwar so, dass der schwere Kristalllüster unter dem weißen Gewölbe mit seinen bunt schillernden Anhängern klingelnd erbebte. Vater Amfiteatrow begann die Äpfel zu weihen: »Herr unser Gott, du erlaubst denen, so an dich glauben, deine Schöpfungen zu nutzen, so segne denn die hier liegenden Früchte mit deinem Wort. . .«

Der Gottesdienst zum Apfelfest dauert nicht lange und stimmt freudig. Die Kirche duftet frisch und fruchtig, denn alle haben Körbe mitgebracht, um die Äpfel besprengen zu lassen. Neben Mitrofani stand auf einem Tischchen eine Silberschale mir großen roten Ananasäpfeln aus dem Garten des Bischofs – saftig, süß, aromatisch. Und es war eine besondere Auszeichnung und ein Zeichen der Gewogenheit, einen solchen Apfel von ihm geschenkt zu bekommen.

Mitrofani schickte einen Klosterdiener zum linkem Chor, wo sittsam in einer Reihe die Nonnen standen, denen auferlegt worden war, in der bischöflichen Mädchenschule zu unterrichten. Der Abgesandte flüsterte der Vorsteherin, der langen hageren Schwester Christina, ins Ohr, der Bischof wolle den Nonnen Äpfel schenken, worauf sie sich umdrehte und sich dankbar verneigte. Zu ihrer Rechten (von hinten nicht gleich zu erkennen) stand Schwester Emilia, die Arithmetik, Geographie und weitere Wissenschaften unterrichtete. Die nächste war die hüftlahme Schwester Olimpiada, zuständig für Religion. Dann folgten zwei gleich aussehende krummrückige Schwestern, Amwrossia und Apollinaria, die niemand auseinander halten konnte; die eine lehrte Grammatik und Geschichte, die andere Handarbeiten. Die letzte in der Reihe, schon an der Wand, war die kleine, zierliche Schwester Pelagia (Literatur und Gymnastik). Diese nun war mit niemandem verwechselbar: Ihr Schleier war ein wenig verrutscht, eine rötliche Haarsträhne schaute heraus, für eine Nonne schändlich und unzulässig, und schimmerte in einem Sonnenstrahl wie Bronze.

Mitrofani seufzte und fragte sich wieder einmal, ob er sich nicht geirrt hatte, als er Pelagia seinerzeit zur Nonnenweihe seinen Segen erteilt hatte. Er hatte gar nicht anders gekonnt, denn das Mädchen war hindurchgegangen durch großes Leid und schwere Prüfungen, denen nicht jede Seele standgehalten hätte, aber gar zu wenig nonnenhaft war ihr Benehmen: übermäßig lebhaft, quirlig, neugierig und nicht eben sittsam in ihren Bewegungen. Du alter Esel bist doch genauso, schalt sich der Bischof und seufzte wieder, noch betrübter.

Als die Nonnen sich aufstellten, um vom Bischof je einen Apfel zu empfangen, machte er feine Unterschiede: Der einen reichte er die Hand zum Kusse, der anderen strich er sacht über den Kopf, der dritten lächelte er einfach zu, doch mit der letzten, Pelagia, kam es zu einem Zwischenfall. Ungeschickt, wie sie war, trat sie dem Bischof auf den Fuß, prallte mit einer Entschuldigung zurück, warf dabei die Hand hoch und stieß mit dem Ellbogen gegen die Silberschale. Es polterte, die Schale klirrte gegen den Steinfußboden, die roten Äpfel kullerten erfreut nach allen Seiten, und die Bengels aus der geistlichen Schule, denen gar nichts zustand, weil sie Frechdachse und Wildfänge waren, schnappten sich die Ananasäpfel und ließen nichts übrig für die Würdigen, Verdienten, die hinter Pelagia warteten, dass sie an die Reihe kämen. So ging das immer mit ihr, sie war keine Nonne, sondern ein sommersprossiges Missverständnis.

Mitrofani mümmelte, verzichtete aber auf einen Verweis, denn es war im Gotteshaus und an einem Kirchenfest.

Er sagte nur, indes er sie segnete:

»Bedeck die Strähne, das gehört sich nicht. Und komm in die Bibliothek, ich will mit dir sprechen.«

»Ein Esel bildete sich ein, er wäre ein Traber – er blähte die Nüstern und schlug mit dem Huf die Erde.« (So begann der Bischof das Gespräch.) »›Ich überhole alle!‹, schrie er. ›Ich bin der Schnellste, der Feurigste!‹ Und er schrie es so überzeugend, dass alle ringsum ihm glaubten und sprachen: ›Unser Esel ist gar kein Esel, sondern ein Argamak, ein reinblütiger Traber. Wir müssen ihn zum Rennen schicken, damit er alle Preise gewinnt.‹ Fortan hatte der Esel kein Leben mehr, denn kaum gab es irgendwo ein Rennen, bekam er sogleich den Zügel um und musste laufen. ›Los, Langohr, lasse uns nicht im Stich!‹ So ein Leben hatte der Esel.«