Die Nonne, an die Gleichnisse des Bischofs längst gewohnt, hörte konzentriert zu. Sie war beim ersten Hinsehen einfach ein junges Mädchen mit einem reinen, hübschen ovalen Gesicht, das für sie einnahm und gar ein bisschen naiv wirkte, doch dieser Eindruck täuschte, er entstand durch ihre Stupsnase und die erstaunt gehobenen Augenbrauen, doch die runden braunen Augen hinter den ebenso runden Brillengläsern blickten prüfend, und es war ihnen anzusehen, dass die junge Frau einiges erlebt und erlitten und über das Durchlebte nachgesonnen hatte. Die jugendliche Frische kam von ihrer weißen Haut, wie Rothaarige sie haben, und von dem unausrottbaren rötlichen] Gesprenkel ihrer Sommersprossen. i
»Also, Pelagia, was will dieses Gleichnis besagen?«
Die Nonne überlegte. Sie ließ sich Zeit mit der Antwort. Ihre kleinen weißen Hände griffen unwillkürlich nach dem Leinenbeutel, der an ihrem Gürtel hing. Der Bischof wusste, dass sie mit dem Strickzeug in der Hand leichter nachdenken konnte, und sagte:
»Du darfst gerne stricken.«
Die spitzen Stahlnadeln klapperten flink drauflos, und Mitrofani verzog das Gesicht, als er daran dachte, welch scheußliche Werke diese scheinbar geschickten Finger hervorbrachten. Zum Heiligen Osterfest hatte die Schwester ihm einen weißen Schal überreicht, auf dem die Buchstaben CE (Christ ist erstanden) so schief eingestickt waren, als hätten sie das Ende der Fasten schon tüchtig gefeiert.
»Für wen wird das?«, fragte er argwöhnisch.
»Für Schwester Emilia. Ein Gürtel. Darauf sticke ich ein Muster aus Schädeln und Knochen.«
»Ach so«, sagte er beruhigt. »Also, was bedeutet das Gleichnis?«
»Ich denke so.« Pelagia seufzte. »Es gilt mir armer Sünderin. Mit dieser Allegorie wollt Ihr sagen, Vater, dass aus mir solch eine Nonne wird wie aus dem Esel ein Rennpferd. Und dieses unbarmherzige Urteil sprecht Ihr über mich, weil ich in der Kirche die Äpfel runtergeworfen habe.«
»Hast du sie mit Absicht runtergeworfen? Um in der Kirche Unruhe zu stiften? Gestehe.« Mitrofani sah ihr in die Augen, schämte sich aber, als er darin den sanften Vorwurf las. »Schon gut, ich mein’s nicht so. Aber mein Gleichnis gilt nicht dir, du hast es nicht erkannt. Wie sind wir Menschen bloß eingerichtet, dass wir jedes Ereignis und jedes gesagte Wort erst mal auf uns selbst beziehen? Das ist Hoffart, meine Tochter. So bedeutsam bist du nicht, dass ich auf dich ein Gleichnis ersinne.«
Mit plötzlichem Verdruss stand er auf, verschränkte die Hände auf dem Rücken und ging auf und ab in der Bibliothek, die es verdient, ihr einige Aufmerksamkeit zu schenken.
Die bischöfliche Bibliothek befand sich in idealer Ordnung, sie wurde geleitet von dem überaus fleißigen Sekretär Usserdow. In der Mitte der längsten Wand, die keine Fenster und Türen hatte, stand ein Schrank mit Arbeiten zur Theologie und Patristik, darin wurden Schriften in Kirchenslawisch, Latein, Griechisch und Althebräisch aufbewahrt. Links davon waren die Schränke der Hagiographie mit den Viten der Heiligen, und zwar sowohl der orthodoxen als auch der römisch-katholischen; rechts Arbeiten zur Kirchengeschichte, Liturgik und Kanonik. Einen besonderen Platz nahm ein geräumiger Schrank mit] Traktaten zur Asketik ein, eine Reminiszenz an die frühere Neigung des Bischofs. Dieser Schrank enthielt auch höchst kostbare Raritäten wie die Erstausgaben der »Seelenburg« der »Theresia von Avila« und der »Zierde der geistlichen Hochzeit« des Jan van Ruysbroeck des Verzückten. Auf einem langen Tisch quer durch den ganzen Raum stapelten sich gebundene Jahrgänge von russischen und ausländischen Zeitungen und Zeitschriften, und den Ehrenplatz nahmen die »Sawolshsker Episkopatsnachrichten« ein, eine Gouvernementszeitung, die der Bischof persönlich redigierte.
Die nichtreligiöse Literatur der verschiedensten Richtungen, von Mathematik und Numismatik bis zu Botanik und Mechanik, stand in festen Eichenregalen, welche diel drei übrigen Wände des Bibliotheksraums füllten. Das Einzige, was zu lesen der Bischof vermied, weil er es für nutzlos hielt, war die Belletristik. Der himmlische Schöpfer habe hienieden hinlänglich Wunder, Rätsel und einzigartige Geschichten ersonnen, pflegte der Bischof zu sagen, und so stehe es einem Sterblichen nicht an, sich eigene Welten und Spielzeugmenschen auszudenken, denn gegen Gottes Erfindungen sei ohnehin alles ärmlich und langweilig. Schwester Pelagia freilich widersprach dem Bischof und berief sich darauf, dass Gott der Herr dem Menschen den Wunsch nach Schöpfertum in die Seele gesenkt habe, und ER wisse am besten, ob das Schreiben von Romanen sinnvoll und nützlich sei. Allein, dieser theologische Disput hatte schon lange vor Mitrofani und seiner geistlichen Tochter begonnen, würde auch nicht bei ihnen enden.
Der Bischof blieb vor Pelagia stehen, die demütig darauf wartete, dass die nicht ganz begreifliche Gereiztheit ihres geistlichen Lehrers schwände, und fragte plötzlich:
»Warum glänzt deine Nase? Hast du wieder deine Sommersprossen mit Löwenzahnauszug bekämpft? Ziemt es wohl einer Braut Christi, sich mit solchen Eitelkeiten abzugeben? Du bist doch eine kluge Frau. Der heilige Diadochos lehrt: ›Eine die ihr Fleisch schmückt ist schuldig der Körperliebe, welche ist ein Zeichen der Ungläubigkeit. ‹«
Aus dem scherzhaften Ton des Bischofs schloss Pelagia, dass das Wölkchen verflogen sei, und antwortete beherzt: »Euer Diadochos, Bischöfliche Gnaden, ist ein bekannter Dunkelmann. Er will sogar verbieten, sich zu waschen. Wie heißt es doch in einer seiner Schriften? ›Dem Bade bleibe man fern um der Enthaltsamkeit willen, denn unser Körper erschlafft wohlig in der Feuchte.‹«
Mitrofani zog die Brauen zusammen.
»Ich auferlege dir hundert Verneigungen bis zum Erdboden, damit du nicht wieder unehrerbietig über den alten Märtyrer sprichst. Und mit dem Schmücken des Fleisches hat er Recht.«
Pelagia, verlegen geworden, begann sich wortreich zu rechtfertigen: Sie bekämpfe die Sommersprossen, Gott behüte, nicht wegen der körperlichen Schönheit, sondern einzig aus Anstandsgründen – eine Nonne mit Sommersprossen auf der Nase, wie sehe denn das aus?
»Na, na.« Der Bischof schüttelte ungläubig den Kopf und zauderte noch immer, auf die Hauptsache zu kommen.
Der Übergang von Keckheit zu Demut und umgekehrt vollzog sich bei Schwester Pelagia stets blitzartig. So auch jetzt – mit funkelnden Augen fragte sie nun schon ganz kühn:
»Euer Bischöfliche Gnaden, Ihr habt mich doch wohl nicht wegen der Sommersprossen herbestellt?«
Und wieder konnte sich Mitrofani nicht entschließen, zur Sache zu kommen. Er räusperte sich, ging wieder auf und ab. Fragte nach den Mädchen in der Schule. Ob sie fleißig seien, ob sie gerne lernten, ob die Schwestern ihnen auch nichts Überflüssiges beibrächten, was ihnen im Leben nicht helfe, sondern nur hinderlich sei.
»Man hat mir erzählt, dass du sie das Schwimmen lehren willst. Wozu? Du sollst am Fluss ein Badehäuschen haben und mit ihnen im Wasser herumplätschern? Ist das wohl gut?«
»Das Schwimmen ist für sie notwendig, weil es erstens die Gesundheit kräftigt und die Glieder biegsam hält und weil es zweitens zum Ebenmaß beiträgt«, erwiderte die Schwester. »Sie kommen ja aus armen Familien und werden keine Mitgift erhalten. Wenn sie groß sind, müssen sie einen Bräutigam finden . . . Aber, Vater, Ihr habt mich doch auch nicht wegen der Schule herbestellt. Wir haben doch schon vor drei Tagen über die Schule und das Schwimmen gesprochen.«
Pelagia gehörte nicht zu denen, die sich lange an der Nase herumführen lassen, darum kam Mitrofani nun endlich auf das zu sprechen, was er sich letzte Nacht vor dem Ein schlafen ausgedacht hatte.