Den würdevollen Beamten ließ man ungehindert durch zum Mittelpunkt der Ansammlung, und da zeigte sich, dass alle auf Bubenzows Kaukasier starrten.
Der Tscherkesse war sturzbetrunken und vollführte einen wahnwitzigen Tanz, wobei er ab und zu einen kehligen Schrei ausstieß. Er trappelte auf der Stelle, trippelte graziös mit seinen großen Füßen in abgetragenen Mokassins, sprang von Zeit zu Zeit höchst geschickt auf die Zehenspitzen und beschrieb über seinem kahl rasierten Schädel blitzende Kreise mit seinem Dolch von ungeheurer Größe. Es war zu sehen, dass er schon lange so tanzte und noch lange weiterzutanzen vorhatte.
»Was ist denn das?«, fragte Berditschewski stirnrunzelnd den Reviervorsteher.
»Sie sehen ja selbst, Euer Hochwohlgeboren. Es geht schon fast eine Stunde, dass er hier herumtobt. Davor hat er in der Schänke ›Zum Spiegel‹ die Spiegel zerschlagen und die Kellner mit Fußtritten traktiert, noch früher war er in der Schänke ›Samson‹, wo er auch randaliert hat, aber auch da ist er auch schon betrunken hingekommen.«
»Warum haben Sie das nicht unterbunden?«
»Wir haben’s versucht, Euer Hochwohlgeboren. Aber er hat dem Polizisten Karassjuk die Fresse blutig geschlagen, und mich hätte er beinahe mit dem Schwert da massakriert.«
»Erschießen muss man ihn«, sagte böse ein Polizist, der sich ein blutiges Taschentuch vors Gesicht hielt, das war wohl Karassjuk. »Es bleibt nichts anderes übrig, sonst bringt er noch jemanden um.«
»Von wegen erschießen!«, zischte der Reviervorsteher. »Das ist doch der Diener von Wladimir Bubenzow.«
»Und wo haben Sie Ihre Augen?«, wandte sich Berditschewski an Tichon Selig, der verlegen in den ersten Reihen stand. »Schaffen Sie Ihren Wilden hier weg.«
»Ich bin ja schon seit der Nacht hinter ihm her«, versetzte Selig kläglich. »Halte ein mit dem Trinken, hab ich ihm gesagt. Aber er hört ja nicht. Er darf keinen Schnaps trinken, überhaupt nicht. Er ist ja kein russischer Mensch, was will man da erwarten. Entweder er trinkt keinen Tropfen, oder er macht einen halben Eimer (Eimer – russisches Flüssigkeitsmaß, etwa 12 Liter. D. Ü.) nieder und wird zum Tier. Irgendein schlechter Mensch hat ihn zum Trinken verleitet. Jetzt wird er tanzen, bis er umfällt.«
Berditschewski, der die Blicke der Menge auf sich gerichtet sah, sprach mit unanfechtbarer Autorität:
»Das gehört sich nicht. Schließlich ist das hier der Kirchplatz. Gleich kommt der Bischof, um die Predigt zu halten. Schaffen Sie ihn sofort weg!«
Aus der Menge kamen Rufe:
»Ein ganz Schlauer! Schaff ihn doch selber weg, wenn du dich traust!«
Da begriff Berditschewski, dass er in eine Falle getappt war, die er sich selbst gestellt hatte. Warum nur hatte er die Kutsche anhalten lassen? Aber zurückweichen war unmöglich.
Und von dem Reviervorsteher und dem verprügelten Polizisten war Hilfe nicht zu erwarten.
Mit den Kaumuskeln spielend, um sich zu ermutigen, machte Berditschewski einen Schritt und noch einen und näherte sich dem Furcht einflößenden Tänzer. Der stimmte plötzlich ein wildes, doch auf seine Art melodisches Lied an und fuchtelte blitzschnell mit dem Dolch.
»Sofort aufhören!«, schnauzte Berditschewski, so laut er konnte.
Der Tscherkesse richtete den blutunterlaufenen Blick auf ihn.
»Hast du gehört!«
Berditschewski machte einen Schritt und noch einen.
»Der arme Kerl«, sagte jemand in der Menge.
Ob der Tscherkesse oder Berditschewski gemeint war, blieb ungewiss, aber der Staatsanwalt bezog es auf sich, fasste sich ein Herz und streckte die Hand aus, um den Kaukasier am Ärmel zu packen, doch da beschrieb die Stahlklinge – sssst – einen Bogen haarscharf an Berditschewskis Fingern vorbei, und vom Revers des Beamten flogen, glatt abgetrennt, zwei Wappenknöpfe.
Berditschewski stieß unwillkürlich einen Schrei aus und sprang beiseite. Wutentbrannt über diese Demütigung rief er dem Reviervorsteher zu:
»Bubenzow herholen, schnell! Wenn er seinen Kaukasier nicht zur Ruhe bringt, lasse ich dem in die Beine schießen.«
»Wladimir Lwowitsch schläft noch und hat verboten, ihn zu wecken«, erklärte Selig.
»Ich warte genau zehn Minuten.« Berditschewski schwenkte ärgerlich seine silberne Uhr. »Dann lasse ich schießen.«
Tichon Selig trippelte zu dem Hotel, und auf dem Platz trat interessiertes Schweigen ein.
Der Tscherkesse setzte seinen unvergleichlichen Tanz fort, wie aufgezogen. Berditschewski stand mit der Uhr in der Hand da und kam sich idiotisch vor. Karassjuk schob mit sichtlichem Vergnügen Patronen in die Revolvertrommel.
Als bis zum Ablauf des Ultimatums nur noch eine Minute blieb, sagte der Reviervorsteher nervös:
»Euer Hochwohlgeboren, Sie werden bezeugen, dass ich in keiner Beziehung . . .«
»Er kommt, er kommt!«, lärmte die Menge.
Aus dem Hotel trat gemächlich Bubenzow in einem seidenen Hausmantel, einen Türkenfes mit Quaste auf dem Kopf. Man machte ihm Platz. Er blieb stehen, stemmte die Hände in die Hüften und blickte eine Weile auf seinen übergeschnappten Janitscharen. Dann gähnte er und bewegte sich sacht auf ihn zu. Eine Frau ächzte auf. Der Tscherkesse schien seinen Herrn nicht zu sehen, er tanzte weiter, wich aber dabei langsam zurück zum Hotel. Bubenzow ging noch immer sacht auf ihn zu, ohne ein Wort zu sagen, bis der Tscherkesse stehen blieb. Seine Augen waren starr wie bei einem Toten.
»Genug getanzt, du Dummkopf?«, sagte Bubenzow in die Stille hinein. »Komm, schlaf dich aus.«
Er drehte sich um und ging zurück ins Hotel, ohne zurückzuschauen. Murad folgte ihm gehorsam, und neben ihm trippelte Selig.
Alle sahen dem malerischen Dreigespann schweigend hinterher.
Ein Kirchendiener bekreuzigte sich und sagte im Bass:
»Ihm ist Macht gegeben über die bösen Geister.«
Auch Pelagia bekreuzigte sich, die, wie wir schon wissen, niemals grundlos das Kreuz schlug.
Vor der Tür der Wohnung, die bis vor kurzem der arme Poggio bewohnt hatte, drängte sich ebenfalls ein dichter Ring von Gaffern, und bei der Vortreppe stand mit rollenden Augen ein Wachtmeister. Pelagia, bevor sie hineinging, bekreuzigte sich noch einmal, und wieder nicht ohne Grund.
Das Besuchszimmer sah fast genauso aus wie am Tag zuvor, nur waren die Tische jetzt leer. Umso schrecklicher war das Bild, das sich der Nonne im Salon bot. Sämtliche Photographien waren nicht nur von der Wand gerissen, sondern auch in winzige Schnipsel zerfetzt, die den Fußboden bedeckten. Ein Tobsüchtiger hatte nicht wenig Zeit darauf verwendet, Poggios Ausstellung in nichts zu verwandeln.
Die Treppe von der oberen Etage herab kam Polizeimeister Lagrange gelaufen. Als er Berditschewski sah, lächelte er beflissen.
»Matwej Benzionowitsch, Sie kommen selbst? Ist ja auch richtig.«
Er verbeugte sich und drückte Berditschewski die Hand, warf einen verwunderten Blick auf Pelagia, gab sich jedoch mit Berditschewskis Erklärung zufrieden und ließ von da an die Nonne gänzlich unbeachtet. Es war zu sehen, dass er glänzender Laune war.
»Was gibt’s hier schon zu sehen«, sagte er und zeigte mit einer lässigen Handbewegung auf den Salon. »Kommen Sie mit nach oben. Das ist ein Anblick.«
Oben gab es nur zwei Zimmer, das Schlafzimmer und das andere, in dem Poggio, wie erwähnt, sein Photolabor eingerichtet hatte. Da es näher lag, schauten sie zuerst da hinein.
»Bitte«, sagte Lagrange stolz. »Total zertrümmert.«
Und wirklich, das Labor sah noch schlimmer aus als die Ausstellung. Mitten im Raum lag, mit großem Schwung hingeschmettert oder mit den Füßen zertrampelt, der Kodak-Apparat, und drum herum blinkten wie winzige Eisschollen die Scherben der photographischen Platten.
»Keine Einzige ist heil geblieben, alles zersplittert«, erklärte der Polizeimeister forsch, wie um die Fähigkeiten des unbekannten Verbrechers herauszustreichen.