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Vor langer Zeit, in ihrem früheren Leben, war Pelagia eine gute Reiterin gewesen und war gern in aller Frühe über die Wiesen galoppiert, hatte so ihr Inneres betäubt. Etwas Ähnliches empfand sie auch jetzt, doch plötzlich wurde die Strömung ruhiger, Pelagia und der Fluss waren ein Ganzes, sie war ein Teil von ihm. Sie saß einfach auf einer unbequemen Holzbank, die nirgends mehr hinjagte, sondern sich nur leicht auf der Stelle drehte.

Jetzt war nicht nur die Zeit entschwunden, sondern auch der Raum. Dafür kam die Kälte, die sie vorher nicht wahrgenommen hatte. Sie spürte auch wieder den Sturzregen, schwere Tropfen prasselten ihr auf die Stirn und gegen die Wangen.

Ihre Zähne fingen an zu klappern, dann erzitterten die Schultern, und es wurde ganz schlimm, als sie kein Gefühl mehr in den Händen hatte. Wie es weitergehen würde, war leicht zu erraten: Die Finger würden sich öffnen und den Ast loslassen, dann würde sie in den Fluss stürzen und keine Kraft mehr haben, um gegen die Strömung zu kämpfen.

Genauso würde es kommen, nicht anders, denn einen anderen Ausweg konnte es nicht geben.

Ein Entschluss blieb ihr noch, aber der machte ihr Angst. Sie konnte selber ins Wasser springen und versuchen, ans Ufer zu gelangen. Aber wohin sollte sie schwimmen, nach rechts oder links? Sie war vom linken Steilufer in den Fluss gestürzt, und wie viel Zeit seitdem verstrichen war, wusste sie nicht. Es konnte sie durchaus zur Strommitte treiben, vielleicht gar ans rechte Ufer. Lange zu schwimmen vermochte sie nicht mehr. Wenn sie sich in der Richtung irrte, war Schluss, dann hatte die liebe Seele Ruhe.

Nun, wenn es so war, hatte Gott der Herr wohl beschlossen, seine Magd Pelagia zu sich zu rufen. Eine Nonne soll sich vor dem Tod nicht fürchten. Wenn der Sensenmann urplötzlich um die Ecke gesprungen kommt und einem seinen heißen stinkenden Atem ins Gesicht bläst, dann ist Erschrecken verzeihlich. Wenn man aber Zeit hat, sich bereit zu machen und Mut zu fassen, ist die Furcht vor dem Tode dumm und sündhaft.

Entschlossen ließ sich die Schwester links vom Stamm ins Wasser gleiten und stieß sich mit den Füßen kräftig von ihm ab. Die Strömung war hier nicht mehr gar so wild, die Einengung war vorbei, und der Fluss hatte die Ebene gewonnen. Bei völliger Dunkelheit ins Ungewisse zu schwimmen war unheimlich, und Pelagia wusste schon bald nicht mehr, ob sie noch die Richtung hielt. Arme und Beine taten rhythmisch ihre Arbeit, aber das lange Hemd, das ihr an den Knien klebte, behinderte sie sehr. Ob sie es abwarf? Pelagia malte sich aus, wie der Fluss ihre Leiche an Land spülte: nackt, mit aufgelösten Haaren. Also nein, wenn schon ertrinken, dann im Hemd.

Und das Ertrinken war offenbar unvermeidlich. Die Hände gehorchten ihr kaum noch, und das Ufer war noch immer nicht in Sicht. Vergib mir, Herr, dachte Pelagia müde. Ich habe getan, was ich vermochte. Sie drehte sich auf den Rücken und überließ sich dem Willen der Strömung. Schade nur, dass der Himmel nicht zu sehen war – gern hätte sie ein letztes Mal einen Stern geschaut, doch nein.

Als sie mit Kopf und Schultern an etwas Unnachgiebiges stieß, begriff sie nicht sofort, dass es Sand war.

Das Ufer war nicht zu sehen, aber Pelagia konnte es mit den Händen berühren.

Das tat sie denn auch: ließ sich auf die Knie nieder und streichelte mit beiden Händen den kalten, durchweichten Sand. Nachdem sie für ihre wunderbare Rettung ein Dankgebet gesprochen hatte, wrang sie ihr Hemd aus, setzte sich hin und umgriff ihre Schultern. Sie hatte keine Ahnung, wo sie war und wohin sie gehen musste. Es regnete noch eine Zeit lang und hörte dann auf. Pelagia wrang wieder ihr Hemd aus; um warm zu werden, hüpfte sie mal auf dem einen Fuß, mal auf dem anderen. Dann saß sie ein Weilchen, hüpfte, saß wieder, hüpfte, und ihr Hemd, über einen angeschwemmten Baumknorren gebreitet, schimmerte trübweiß.

Als sie wieder umhersprang und sich schallend gegen die Hüften klatschte, bemerkte sie auf einmal, dass die Dunkelheit ausdünnte. Da war der Wasserrand, auf dem Sand lag eine tote Möwe, und wenn vor ihr alles zu einer Masse verschwamm, lag das nicht an der Nacht, sondern daran, dass über dem schmalen Streifen Sand das Steilufer aufragte. Bei genauerem Hinsehen erkannte sie auch die obere Kante und den grauen Himmel darüber.

Pelagia hockte sich erschrocken hin. Wenn, Gott behüte, ein schlafloser Mensch in der Morgenfrische spazieren ging und herunterblickte, würde er ein schönes Bild sehen: Da sprang eine barhäuptige Hexe splitternackt herum und schwenkte die Arme. Schrecklich!

Sie zog das nasskalte Hemd über und dachte zum ersten Mal über ihre Lage nach. Erstens hatte die Strömung sie vielleicht irgendwo angetrieben, wo es keine menschliche Behausung gab. Und zweitens, wenn es eine gab, war es auch nicht einfach. Schickte es sich etwa für eine Nonne, in solchem Aufzug vor Menschen zu erscheinen?

Sie ging das Ufer entlang und entdeckte einen kaum erkennbaren Pfad, der nach oben führte. Der Aufstieg war steil, und die Füße traten immer wieder auf spitze Steine, darum blickte Pelagia nur nach unten, und als sie dann doch einmal den Kopf hob, um zu sehen, ob es noch weit war, ächzte sie auf. Oberhalb der Kante schimmerte weiß ein wunderliches Gebilde. Die Umrisse kamen ihr bekannt vor. Sie stieg noch etwas höher und blickte nur noch nach oben.

Eine Laube. Weiße Säulchen, Gitterwerk, ein rundes Dach. Es war die wohl bekannte Laube im Park von Drosdowka, von der aus man einen so schönen Blick auf den Fluss hatte.

Pelagia war sich nicht im Klaren, ob es gut oder schlecht war, dass die Strömung sie ausgerechnet nach Drosdowka getragen hatte. Natürlich waren Bekannte eher hilfsbereit als Fremde, aber ihnen gegenüber war auch die Scham größer.

Die Bäume im Park waren nass und sahen trübsinnig aus. Von der Erde stieg weißlicher Dunst auf, durchscheinend noch, doch schon sich verdichtend. Pelagia fror erbärmlich. Bis zum Tagesanbruch war es noch eine Weile hin. Was tun?

Hüpfend, mit den Zähnen klappernd, lief sie die Allee entlang zum Haus. Sie wollte den Morgen abwarten, sich irgendwo verstecken, und wenn Tanja oder eine andere Bedienstete heraussähe, sie leise rufen. Etwas anderes blieb ihr nicht übrig. Sie konnte ja nicht mitten in der Nacht in solch unanständigem Aufzug, mit nassen roten Zotteln bei der Generalswitwe eindringen.

Bei dem Badehäuschen blieb sie stehen. Sie rüttelte an der Tür, schade, abgeschlossen, drinnen wär’s ein bisschen wärmer gewesen. Im Freien ging die Kälte durch und durch, und das Hüpfen half nicht.

Doch da entsann sich Pelagia des Gärtnerbüdchens. Das war bestimmt nicht abgeschlossen.

Sie lief die Allee zurück. Das nasse Hemd klebte ekelhaft an den Beinen.

Da war das Büdchen. Tatsächlich, die Tür war offen.

Pelagia betrat die dunkle Hütte. Vorsichtig, um nicht auf etwas Spitzes zu treten, ging sie in eine Ecke und setzte sich hin. Wenigstens war es trocken, Gott sei Dank.

Allmählich wurde es hell. Die Ritzen in den Bretterwänden wurden sichtbar, auch das Inventar: Harken, Spaten, Messer, Beile, Hacken.

Hacken? Wie hatte Naina Telianowa gesagt? Eine lebendige Espe und eine Hacke?

Was mochte das bedeuten?

Da Pelagia nichts zu tun hatte, drehte und wendete sie diese Worte im Geiste. Auf dem Photo mit dem Titel »Ein regnerischer Morgen« waren also eine Hacke und eine Espe zu sehen. Eine lebendige Espe. Was gab es denn noch für Espen, tote etwa?

Die sterbende Fürstin hatte also phantasiert? Nein, sie hatte auf Pelagias Frage geantwortet.

Espen gab es im Park reichlich, eine lebendiger als die andere.

Nein! Die Schwester fuhr hoch. Eine Espe war tatsächlich tot – neben der hatte der arme erschlagene Sakussai gelegen. Ob die Fürstin dieses Bäumchen gemeint hatte? Auf dem Photo war es wohl noch lebendig? Doch was war daran Besonderes, und was war mit der Hacke?