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Pelagia hielt es nicht mehr in dem Büdchen, die unterschiedlichsten Vermutungen rasten ihr durch den Kopf. Warum saß sie hier, wenn sie hingehen und nachsehen konnte?

Sie lief zu der Stelle, wo die Espe stand. Hier im Park war ihr alles vertraut, und alsbald war sie bei dem denkwürdigen englischen Rasen, neben dem das verdorrte Bäumchen aus der Erde ragte.

Was hatte es damit auf sich?

Pelagia hockte sich hin, berührte die vertrockneten Blättchen, fuhr mit der Hand den glatten Stamm hinunter. Nanu, bei den Wurzeln war die Erde aufgewühlt? Ach ja, Sakussai hatte da gescharrt.

Doch nein, das konnte nicht ein Welpe getan haben.

Die Nonne bückte sich tiefer und betrachtete die Grube.

Ihr fiel ein, dass der Gärtner Gerassim gesagt hatte, der unverständige Sakussai hätte von seinem Vater und Großvater gelernt, Erde zu fressen. Etwa hier?

Bei genauerem Hinsehen entdeckte sie, dass das Gras auf dieser Seite der Espe anders war als ringsum – niedriger und dünner.

Was mochte die Hunde hier interessiert haben?

Pelagia nahm ein Stöckchen und stocherte in der Erde, doch die gab nicht recht nach. Sie musste einen Spaten aus dem Büdchen holen.

Gedacht, getan. Aber sie nahm keinen Spaten, sondern eine Hacke, damit ging es noch besser.

Sie spuckte in die Hände, wie sie es bei den Arbeitern gesehen hatte, als die auf dem Klosterhof eine Wasserleitung verlegten, holte aus, schlug zu, scharrte weg. Noch einmal und noch einmal. Sie kam rasch voran. Beim zehnten Schlag zitterte sie nicht mehr, ihr war warm geworden. Der Nebel wölkte über dem Gras, stieg von den Knöcheln hoch zu den Knien.

Das Hackenblatt drang in etwas Knirschendes, wie in einen Kohlkopf. Pelagia zog – an dem Werkzeug hing etwas Rundes, Dunkles, so groß wie ein Kinderkopf. Eine Trübung ihres Verstandes und ein plötzliches Dröhnen in den Ohren ließen sie nicht gleich begreifen, dass es genau das war – ein Kinderkopf: gelb-lila, mit zusammengeklebten hellen Haaren und leidvoll eingesunkenen Augäpfeln.

Pelagia, mit zuckenden Lippen, schleuderte die Hacke mit dem grauenhaften Fund beiseite, doch so heftig, dass sie auf der nassen Erde ausrutschte und in die Grube stürzte, die sie selbst ausgehoben hatte. Aufheulend wollte sie wieder herausklettern und griff nach einer kalten, glitschigen Wurzel, doch die löste sich aus der Erde.

Und da sah Pelagia, dass es keine Wurzel war, sondern eine menschliche Hand – behaart, mit blauen Fingernägeln und ohne Ringfinger.

Der armen Nonne wurde schwarz vor Augen, denn es gibt eine Grenze für die Duldungsfähigkeit des Menschen. Pelagia brauchte Gott sei Dank vor nichts mehr zu erschrecken, denn sie sackte in sich zusammen und rutschte in tiefer Ohnmacht in die Grube.

Kleine Geschenke

Als Pelagia die Augen öffnete, sah sie über sich das Himmelsgewölbe. Es war dunkelblau, niedrig, von trüben unbeweglichen Sternen übersät, und stützte sich, wie in alten Büchern beschrieben, auf vier Säulen. Damit war bestätigt, dass Kopernikus Unrecht gehabt hatte, was die Nonne keineswegs verwunderte, sondern eher erfreute. Über die Liegende beugte sich, einen großen Teil des Himmels verdeckend, Bischof Mitrofani – riesengroß, graubärtig, mit schönem und traurigem Gesicht. Pelagia begriff, dass er in Wirklichkeit der Herr Zebaoth war, und sie freute sich noch mehr, wunderte sich aber zugleich über ihre eigene Blindheit: Wieso hatte sie diese so offenkundige Tatsache nicht schon früher begriffen? Ihr wurde auch klar, dass dies alles ein Traum war, aber ein schöner Traum, vielleicht sogar ein wesentlicher Traum.

»Was klapperst du mit den Augen, skandalöse Person?«, fragte Herr Zebaoth, wie es sich für Gott gehörte, scheinbar streng, aber auch liebevoll. »Du hast das hochheilige Lager des Bischofs mit deinem Frauenkörper besudelt, was hier noch nie vorgekommen ist, und lächelst auch noch. Wie soll ich fortan darin schlafen? Ich werde ärgere Qualen fleischlicher Anfechtung leiden als der Heilige Antonius. Pelagia, ich werde dich dem geistlichen Gericht übergeben wegen unzüchtigen Benehmens, damit du’s weißt. Eine schöne Braut Christi: liegt schmutzig, nass und fast nackt in dieser scheußlichen Grube. Sei bitte so gut und erkläre mir, dem unverständigen Priester, wie du dort hinein geraten bist. Wie bist du darauf gekommen, dass die Köpfe der Ermordeten dort vergraben sind?« Mitrofani beugte sich noch tiefer herab und legte Pelagia besorgt die angenehm kühle Hand auf die Stirn. »Wenn dir das Reden schwer fällt, dann schweige lieber. Deine Stirn ist ganz schwitzig. Der Doktor sagt, das Fieber kommt von einer starken Erschütterung. Du warst über einen Tag bewusstlos. Man hat dich getragen und in einer Kutsche hergebracht, und du hast ausgesehen wie Dornröschen. Was ist passiert? Du schweigst? Na, dann schweig nur, schweige.«

Erst jetzt begriff die Nonne das Rätsel der Säulen und des Himmelsgewölbes. Es war der Baldachin über dem altertümlichen Bett im Schlafgemach des Bischofs; auf dunkelblauen Samt waren brokatene Sterne gestickt.

Pelagia fühlte sich sehr schwach, aber keineswegs krank, eher angenehm ermattet, wie nach langem Schwimmen.

Ich bin ja auch geschwommen, erinnerte sie sich, und so lange.

Sie bewegte die Lippen, erprobte ihre Stimme. Es kam ein heiseres »A-a-a« heraus.

Der Bischof schreckte hoch. »Brauchst du etwas? Soll ich dir etwas bringen? Oder den Doktor rufen?«

Er sprang auf, bereit, Hilfe zu holen.

»Setzt Euch, Vater«, sagte Pelagia und betastete behutsam die schmerzenden Schultermuskeln. »Setzt euch und hört zu.«

Und sie erzählte dem Bischof alle Begebenheiten, von dem »Untersuchungsexperiment« bis zu den schrecklichen Ausgrabungen. Bei der bloßen Erinnerung daran zitterte ihre Stimme, und Tränen traten ihr in die Augen.

Mitrofani hörte zu, ohne sie zu unterbrechen, nur an den kritischsten Stellen murmelte er leise »Himmlischer Vater« oder »Jesus« und bekreuzigte sich.

Als Pelagia ihre Erzählung beendet hatte, kniete der Bischof vor der in der Ecke hängenden Ikone des Erlösers nieder und sprach ein kurzes, aber gefühlvolles Dankgebet.

Dann setzte er sich ans Bett und sagte, häufig blinzelnd:

»Vergib mir, liebe Pelagia, um Christi willen, dass ich dich auf solchen Leidensweg geschickt habe. Ich selbst werde es mir herrschsüchtigem Unhold bis zur Todesstunde nicht verzeihen. Kein noch so gemeinnütziges Ziel eines Bischofs ist es wert, dass einer Christenseele, noch dazu schwachen Frauenschultern, eine solche Last aufgebürdet wird.«

»Das mit den schwachen Frauenschultern will ich nicht gehört haben«, sagte Pelagia gekränkt. »Ich möchte mal sehen, welcher Mann bei solchem Sturm, noch dazu nachts, so lange im Fluss geschwommen wäre. Und mit dem gemeinnützigen Ziel sollte man auch nicht so achtlos umgehen. Wo steht in der Heiligen Schrift geschrieben, dass man dem bösen Geist kampflos weichen soll? Etwas Schlimmeres gibt es wohl nicht. Erzählt mir lieber, was hier inzwischen geschehen ist, während ich bewusstlos lag. Ihr spracht von den ›Köpfen‹? Sind es die nämlichen, die angeblich dem Gott Schischiga zum Opfer dargebracht wurden? Ich habe allerdings nur einen Kopf gesehen, von einem Kind, außerdem noch eine abgehackte Hand. Wo kommt die her?«

»Warte, warte, nicht alles auf einmal.« Mitrofani verschloss ihr den Mund mit der Hand. Seine Finger rochen anheimelnd nach Buchrücken und Weihrauch. »In der Grube war noch ein zweiter Kopf, du bist nicht ganz bis zu ihm vorgedrungen. Auch Kleidung lag in der Grube. Ja, die Köpfe gehören zu den Leichen, die im vorigen Monat vom Fluss angespült wurden. Die Identität des Mannes ist jetzt festgestellt, anhand des fehlenden Fingers. Erinnerst du dich, dass einer Leiche die Hand abgehackt war? Wahrscheinlich wurde sie abgehackt, um die Identifizierung zu erschweren, denn das ist ja ein auffälliges Merkmal.«