»Ber bi bi?«, lallte Pelagia durch Mitrofanis Hand, sie meinte: Wer sind sie?
Der Bischof verstand.
»Der Kaufmann Awwakum Wonifatjew aus dem Landkreis Gluchow und sein neunjähriger Sohn Sawwa. Der Kaufmann war bei Donat Sytnikow gewesen und hatte ihm den Wald verkauft. Danach verschwand er. Zu Hause vermisste man ihn nicht, denn er hatte zu seiner Frau gesagt, dass er sie für immer verlasse und nicht zurückkehren werde. Die beiden kamen nicht gut miteinander aus, sie war bedeutend älter als er. Offensichtlich wollte sich Wonifatjew mit dem Erlös irgendwo ein neues Leben aufbauen. Daraus ist nichts geworden. Fest steht, dass Sytnikow den Wald für fünfunddreißigtausend gekauft und das Geld Wonifatjew sofort in bar gegeben hat, wonach dieser sogleich mit seinem Sohn aufgebrochen ist, obwohl es schon spät war. Sytnikow sagt, er habe ihm eine Kalesche angeboten, aber der Kaufmann habe abgelehnt. Er wollte sich im Ausspannhof im nahen Dorf Schelkowo eine Troika nehmen, aber dort ist er nie angekommen. Die Polizei hat Sytnikow natürlich zum Verhör mitgenommen, ich denke jedoch, er ist unschuldig. Er ist zu reich, um sich wegen fünfunddreißigtausend eine solche Sünde auf die Seele zu laden. Aber vielleicht hat ihn doch der Teufel der Habgier verwirrt – alles kann sein. Es geht jedoch um etwas anderes . . .« Mitrofanis Augen funkelten verwegen. »Wichtig ist, dass . . .«
Er nahm die Hand von Pelagias Lippen, um den Finger triumphierend zu heben, und die Nonne nutzte umgehend die gewonnene Freiheit zu einem Zwischenruf: ». . . sich Inspektor Bubenzow in die Nesseln gesetzt hat.«
Der Bischof schmunzelte.
»Ich wollte sagen, dass die teuflischen Ränke entlarvt sind, aber du, meine Tochter, hast dich genauer ausgedrückt. Es hat sich herausgestellt, dass die Wonifatjews aus Geldgier umgebracht wurden, dass es kein Menschenopfer gab und auch keinen Götzentempel für Schischiga. Bubenzow hat die unglücklichen Syten umsonst drangsaliert. Seine ganze Untersuchung und seine Außerordentliche Kommission sind keinen Pfifferling wert. Dieses Geschenk haben wir von Gott erhalten. Deine Talente und dein Mut haben es zu uns gebracht. Unser kleiner Dämon hat jetzt das Nachsehen. Er muss unverrichteter Dinge abfahren und wird obendrein von seinem Gönner einen Rüffel bekommen für dieses Durcheinander.«
»Er wird nicht abfahren«, erklärte Schwester Pelagia leise und bestimmt. »Und auch keinen Rüffel bekommen.«
Mitrofani griff nach dem Kreuz auf seiner Brust.
»Nicht abfahren? Keinen Rüffel? Wieso nicht? Was soll er denn jetzt noch hier?«
»Im Gefängnis sitzen«, entgegnete Pelagia. »Mit einem Rüffel wird er nicht davonkommen. Darauf steht Katorga, Vater. Zwanzig Jahre. Für den Doppelmord aus Habgier wird das Gericht nicht weniger verhängen.«
»Rachsucht ist eine schwere Sünde«, sprach der Bischof belehrend, »diesem Gefühl darf man nicht nachgeben. Bubenzow ist natürlich ein Schurke, aber ein solches Verbrechen wäre selbst für ihn zu ungeheuerlich: zwei unschuldige Menschen töten, davon ein Kind, ihnen den Kopf abschneiden, und alles nur, um seine Karriere voranzubringen? Das geht zu weit, meine Tochter. Auch ich habe mich anfangs an diesem Gedanken berauscht, aber dann habe ich mich besonnen. Nein, Pelagia, unser Aufschneider hat niemanden getötet, er hat sich dieses Ereignis nur zu Nutze gemacht. In der alten Chronik werden auch ein abgeschnittener Kopf und der Gott Schischiga erwähnt. Klingt doch glaubwürdig. Also, was wissen wir von dem Mord? Sehr wenig. Die beiden wurden unweit von Drosdowka getötet. Sind von Sytnikows Landhaus nicht weit gekommen. Der oder die Mörder haben das Geld genommen und die Leichen vom Steilufer in den Fluss geworfen, der sie weiter stromab an Land gespült hat. Die Köpfe, die Hand und die Kleidung wurden im Park vergraben, unter der Espe. Jetzt wird man den Verbrecher nicht mehr finden. Es ist zu viel Zeit vergangen.«
Pelagia hörte nicht mehr zu, sondern rief:
»Ach, darum hat sie die Hunde getötet!«
Sie setzte sich mit einem Ruck im Bett auf, aber von der heftigen Bewegung drehte sich alles vor ihren Augen, und sie legte sich wieder hin. Als der Schwindel vorüber war, fuhr sie fort:
»Jetzt ist alles klar. Natürlich ging es nicht ums Erbe. Es ging um die Bulldoggen selbst. Sie konnten frei herumlaufen und stromerten durch den Park. Unter der Espe witterten sie einen interessanten Geruch und begannen zu buddeln. Naina Telianowa hat das beobachtet. Zuerst hat sie die Hunde wohl einfach davongejagt, aber sie kamen immer wieder. Da hat sie beschlossen, sie zu vergiften . . .«
»Moment mal . . .« Mitrofani runzelte die Stirn. »Demnach müsste ja Naina den Kaufmann und seinen Sohn getötet und ihnen die Köpfe abgeschnitten haben. Unsinn!«
»Nein, getötet hat sie sie nicht. Aber sie wusste, wer es getan hat, und sie wusste von den Köpfen.«
»Die Fürstin als Mittäterin? Aber weshalb?«
»Nicht Mittäterin, eher Augenzeugin. Zufällig. Wie konnte das geschehen?« Pelagia blickte den Geistlichen nicht an. Sie bewegte die Brauen, krauste die sommersprossige Nase, kurzum, sie dachte nach. »Sie ging abends und sogar nachts oft allein im Park spazieren. Nicht außergewöhnlich bei einem romantischen Mädchen. Offenbar hat sie gesehen, wie der Mörder die Köpfe vergrub.«
Mitrofani schüttelte ungläubig den Kopf.
»Sie hat es gesehen und verschwiegen? Das ist doch ein teuflischer Frevel.«
»Genau!«, rief die Nonne. »Teuflisch! Darum geht es! ›Liebe ist immer ein Frevels das waren ihre Worte.«
»Was denn, war sie Diabolus verfallen?«, wunderte sich der Bischof.
»Aber nicht doch, Vater, nicht Diabolus, der Liebe war sie verfallen.«
»Ich verstehe nicht . . .«
»Natürlich.« Pelagia machte eine abwehrende Handbewegung und tat, als spreche sie mit sich selbst. »Ein leidenschaftliches junges Mädchen, mit Phantasie, voll unverbrauchter Gefühle. Von Kind an verwöhnt, exzentrisch, auch grausam. Sie lebte wie im Traum dahin und liebte den einzigen passablen Mann ihrer Umgebung, Schirjajew, sprach mit ihm über das Schöne und Ewige, träumte davon, Schauspielerin zu werden. Darüber wäre sie eine alte Jungfer geworden, denn Marja Tatistschewa ist eine Dame von robuster Gesundheit, und bis zu ihrem Tode hätte sich Schirjajew nicht von Drosdowka weggerührt und auch nicht um Nainas Hand angehalten. Aus seiner Sicht wäre es wohl unsittlich gewesen, jemanden zu nötigen, der von ihm abhängig war. Das Dilemma besteht darin, dass er voller Skrupel ist. Er liebt Naina leidenschaftlich, aber an ihrer Keuschheit hat er sich nicht vergriffen. Was er aber hätte tun sollen«, fügte Pelagia halblaut hinzu. »Dann würde sie vielleicht noch leben.«
»Hör auf, der Unzucht das Wort zu reden«, rief der Bischof seine geistliche Tochter zur Ordnung. »Und schweife nicht ab. Sprich zur Sache.«
»Dann ist plötzlich Poggio aufgetaucht, ein Mann aus der großen weiten Welt. Und der hatte keine Skrupel. Er verdrehte der Fürstin den Kopf, verführte sie. Obwohl das nicht schwer war, denn sie war schon überreif. Sie vergaß ihre Theaterträume und wollte nun Malerin werden. Aber zu der Zeit, als ich nach Drosdowka kam, waren Paris und Palette bereits Vergangenheit, und auch Poggio war abgetan. Naina ging mürrisch und schweigsam umher, benahm sich geheimnisvoll und sprach in Rätseln. Ich hatte sogar den Eindruck, dass sie nicht ganz bei Sinnen war. Und so muss es auch gewesen sein. Dass sie nicht davor zurückschreckte, die Hunde zu töten, dass sie das Leben ihrer Großmutter aufs Spiel setzte und sie auch wirklich beinahe ins Grab gebracht hätte, kann nur eins bedeuten – sie hatte sich besinnungslos verliebt und alle anderen Gefühle ausgeschaltet.«
»In wen, in Bubenzow?«, fragte der Bischof, der Pelagias Gedankengängen kaum folgen konnte. »Er war doch nur zu einem kurzen Besuch in Drosdowka. Allerdings versteht er sich meisterlich auf Frauen. Natürlich, er kann sie verlockt haben, ganz bestimmt sogar. Aber was hat Wonifatjew damit zu tun?«