»Ganz einfach. An dem Abend, an dem der Wald verkauft wurde, hatte Sytnikow zunächst bei den Nachbarn in Drosdowka gesessen, auf der Veranda Tee getrunken und von dem Kaufmann, von dem bevorstehenden Geschäft erzählt. Zu der Zeit war auch Bubenzow dort. Er hatte mit Sytnikow eine Auseinandersetzung über die Bräuche der Altgläubigen, man hat mir davon erzählt. Dann, als Sytnikow beleidigt gegangen war . . .«
»Ja, ja!«, unterbrach der Bischof sie aufgeregt. »Lass mich zu Ende führen! Das verliebte und wahrscheinlich schon verführte Fräulein spazierte nachts durch den Park. Vielleicht konnte sie vor Leidenschaft nicht schlafen, vielleicht wartete sie auf den Angebeteten. Sie sah, wie er die Köpfe vergrub, und dachte, es sei ein satanisches Ritual und Bubenzow der Satan. Und da sie ihn maßlos liebte, beschloss sie, sich in das Heer Satans einzureihen! Sie warf sich dem Dämon an die Brust, schwor ihm . . .«
»Ach, Bischöfliche Gnaden, was Ihr Euch so ausdenkt!« Pelagia fuchtelte mit den Händen. »Ihr solltet Romane für Zeitschriften schreiben. Nichts hat sie ihm geschworen. Es ist sogar anzunehmen, dass sie vor Entsetzen erstarrte und sich nicht zu erkennen gab. Sie hat ihm in meiner Gegenwart mehrmals Andeutungen gemacht, die ich erst jetzt verstehe, aber Bubenzow hat nur gelächelt und die Achseln gezuckt. Er kam offenbar gar nicht auf die Idee, dass sie alles wusste. Und für den Satan hat sie ihn damals, in der Nacht des Verbrechens, wohl kaum gehalten. Sicherlich war sie verwirrt und wusste nicht, was sie denken und tun sollte. Aber die Liebe einer Frau ist fähig, alles zu rechtfertigen. Ich erinnere mich, dass Naina sagte: ›Die Liebe ist auch ein Verbrechens wobei sie das Wort ›auch‹ betonte. Sie hatte beschlossen, ihren Liebsten zu schützen. Darum tat sie den Hunden Gift ins Futter. Ich habe gesehen, mit was für einem Blick sie Bubenzow empfing, als er wieder nach Drosdowka kam: einem sehr eigenartigen, sogar angewiderten Blick. Doch das änderte sich schlagartig, als er von dem Syten-Fall sprach. Ich konnte nur staunen: Naina war wie ausgewechselt. Sie lebte auf, ihre Wangen röteten sich, und sie sah Bubenzow mit ganz anderen Augen an – voll Vergötterung und Begeisterung. Sie hatte begriffen, warum er die Köpfe abgeschnitten hatte. Anstatt voller Entsetzen vor ihm zurückzuschaudern, geriet sie in Verzückung. Ihr Liebster war kein einfacher Räuber, nein, er besaß unglaublichen Ehrgeiz und spielte mit Menschen wie ein wahrer Dämon. Darum ihre Worte: ›Wladimir Lwowitsch, ich habe mich nicht in Ihnen getäuscht.‹ Sie deklamierte aus Lermontows ›Dämon‹, und als er von Bedrohung und einer Leibwache sprach, sagte sie: ›Die beste Wache ist die Liebe.‹ Dann gab sie ihm zu verstehen, dass sie ihm treu zur Seite stehen werde, aber er begriff es nicht.« Pelagia seufzte traurig. »Eine Frau, eine richtige Frau, aufopferungsvoll und blind vor Liebe.«
»Wage nicht, um eine solche Liebe zu seufzen«, unterbrach Mitrofani sie mürrisch. »Eine solche Liebe wird dir nicht mehr werden. Sie ist gestorben, deine Liebe. Statt ihrer ist dir eine andere, höhere Liebe gegeben. Du bist die Braut Christi. Vergiss das nicht.«
Die Nonne lächelte über den strengen Ton des Geistlichen.
»Ja, ich habe mit meiner Liebe mehr Glück als die arme Naina. Dass Bubenzow ein Bösewicht, ein Verbrecher, ein Teufel in Menschengestalt ist, das hat sie ihm alles verziehen. Nicht verziehen hat sie ihm, was keine Frau verzeihen kann: kalte, kränkende Gleichgültigkeit. Ich wundere mich über Bubenzow. Er hat es sich doch bei all seinen Vorhaben zur Gewohnheit gemacht, das schwache Geschlecht auszunutzen, und er kennt sich mit Frauenherzen aus. Wieso hat er die Gefahr, die ihm von Naina drohte, nicht rechtzeitig erkannt und eine solche Unvorsichtigkeit begangen? Anfangs brauchte er sie, vielleicht aus Erwägungen, die mit dem Erbe der Generalswitwe zusammenhingen. Doch dann hatte er wohl eine Möglichkeit gefunden, ohne deren Enkelin auszukommen. Oder Naina war ihm zu ermüdend mit ihrer überspannten Leidenschaft und ihren Gefühlsausbrüchen. So oder anders trieb Bubenzow das Fräulein mit seiner Kälte zum Äußersten. Schon allein daraus wird klar, dass er von ihren Erkenntnissen nichts ahnte und ihre Anspielungen ihrem Hang zu melodramatischen Auftritten zuschrieb. Auf der Soiree bei Olimpiada Schestago sah er ein Photo, das ihn beunruhigte. Das Photo hieß ›Ein regnerischer Morgen‹. Eine Parkecke nach dem Regen: Gras, Gebüsch, eine kleine Espe – nichts Besonderes. Keiner der anderen Gäste beachtete das Bild, zumal es weitaus interessantere Photos gab. Aber wenn sich nun jemand früher oder später dieses gefährliche Photo genauer ansah? Es musste vernichtet werden, und das konnte nur durch ein ablenkendes Manöver geschehen, damit die Ermittlung von Anfang an in eine falsche Richtung ging.«
»Was war denn so Entsetzliches auf diesem Bild?«
»Ich nehme an, darauf war die Espe zu sehen, unter der die Köpfe vergraben lagen. Das Photo wurde wahrscheinlich am Morgen nach dem Doppelmord gemacht. Der Baum, obzwar schon dem Tod geweiht, denn seine Wurzeln waren von der Hacke beschädigt, war noch nicht verdorrt und sah lebendig aus. Das Wichtigste jedoch – am Baum lehnte die Hacke, die der Mörder dort vergessen hatte. Oder sie lag im Gras – das weiß ich nicht. Einer von den Bewohnern Drosdowkas oder von den ständigen Gästen hätte dieses seltsame Detail bemerken, es zu dem unbegreiflichen Welken des Baums in Beziehung setzen, sich an den zertrampelten Rasen und den Tod Sakussais erinnern und dadurch dem Verbrecher auf die Spur kommen können.«
»Ja, ja.« Der Geistliche nickte. »Wo mag die Hacke hingekommen sein?«
»Vielleicht hat der Mörder sie am nächsten Tag weggebracht. Am wahrscheinlichsten aber ist, dass es Naina war.«
»Demnach hat Bubenzow nur wegen dieses Photos Poggio ermordet und die Ausstellung vernichtet?«
»Ja, zweifellos. Denn von allen Bildern und allen Platten ist nur der ›Regnerische Morgen‹ verschwunden. Die skandalösen Bildchen mit der nackten Naina haben den Verbrecher überhaupt nicht interessiert. Aber der Skandal kam Bubenzow zustatten: der Verdacht fiel auf Schirjajew.«
»Ja, so ist es gewesen.« Mitrofani neigte den Kopf, prüfte, ob alles zusammenpasste, und war zufrieden. »Aber mit der Ermordung Nainas ging Bubenzow ein großes Risiko ein. Denn diesen Mord konnte Schirjajew nicht begangen haben – er wurde zu der Zeit bei der Polizei verhört.«
»Schirjajew schied auch als Poggios Mörder aus, nachdem Naina öffentlich erklärt hatte, dass er die Nacht mit ihr verbracht habe. Bubenzow musste das Risiko eingehen, weil Naina ihm während des Untersuchungsexperiments direkt zu verstehen gab, dass sie alles wusste und ihn nicht weiter decken würde. Erinnern Sie sich, dass ich Ihnen sagte, sie habe gedroht, die Schulden zu begleichen? Und das hätte sie getan, weil sie sich von der teuflischen Versuchung freigemacht hatte und dem Dämon nicht länger dienen wollte. Vielleicht war sie mit ihrer Geduld am Ende, oder ihr Stolz war erwacht. Oder sie hatte ihre Wahl getroffen – zu Gunsten von Schirjajew. Allerdings spielte sie mit dem Feuer. Bubenzow konnte sie nicht mehr am Leben lassen, nicht einen Tag. Und er tötete sie. Und ihr Dienstmädchen. Was bedeutet einem solchen verworfenen Geist ein kleines Menschenleben?«
»Auch dich hätte er fast getötet«, sagte Mitrofani mit leiser, drohender Stimme, und sein Blick loderte.
»Ja. Sogar zweimal.«
Pelagia stieß einen Seufzer aus und erzählte, wie in Drosdowka, als sie den Bischof zum Parktor begleitet hatte und auf der Allee zurückging, jemand sie erwürgen wollte.
»Ich habe es damals niemandem erzählt, denn das hätte Bubenzow in den Kram gepasst. Er hätte es wieder auf die Syten geschoben. Welch ein Geschenk für die synodalen Ermittler – Überfall auf eine Nonne! Bubenzow hatte erst am Abend zuvor erzählt, dass die Syten auf einsamen Landstraßen ihren Opfern einen Sack über den Kopf stülpen. Jetzt verstehe ich, wer mich erwürgen wollte und warum. Erinnern Sie sich, als ich Naina vor allen entlarvte, sagte ich, dass ich es dabei nicht bewenden lassen würde.«