Oh, da ging ein Raunen durch den Saal, und die Reporter kratzten mit ihren Bleistiften übers Papier.
»Derartige Beleidigungen werden im Kaukasus mit Blut gesühnt. Daher auch die besondere Grausamkeit des Mordes, das blindwütige Vernichten der Bilder, aller, ohne Ausnahme. Nur ein unbändiges orientalisches Temperament ist zu solcher Raserei fähig. Die unhaltbaren Vermutungen, die wir vom Staatsanwalt bezüglich einer Espe und einer Hacke gehört haben, sind allenfalls für, pardon, Kriminalromane geeignet. Die Staatsanwaltschaft hat versucht, auf einem zufälligen Zusammentreffen von Umständen ein ganzes Gebäude der Anklage zu errichten. Es nimmt nicht wunder, dass diese abstruse Konstruktion beim ersten Anstoß in sich zusammengefallen ist . . . Nun, und bei dem dritten Mord ist alles noch einfacher. Dshurajew hatte den Hauptbeleidiger getötet, doch das stellte ihn nicht zufrieden. Der Rausch verflog, aber der Schmerz der Kränkung, die seinem Herrn zugefügt worden war, peinigte weiterhin sein wildes Herz. Denn die größte Kränkung war seinem Herrn von der Frau angetan worden, die beinahe seine Gattin geworden wäre. Sie hatte ihn nicht nur betrogen, sondern sich wie eine verächtliche Dirne aufgeführt. In der muselmanischen Welt werden solche Frauen bekanntlich gesteinigt. Genau das hat Dshurajew getan. Er nahm einen Stein und tötete Naina Telianowa. Und dass er bei der Gelegenheit auch das völlig unschuldige Hausmädchen umbrachte – kam es diesem Wilden etwa auf eine christliche Seele mehr oder weniger an?«
Lomejko stieß einen tiefen Seufzer aus.
»Nun zum letzten Punkt. Vergessen Sie nicht, dass es Dshurajew war, der bei der Inhaftierung Widerstand leistete. Verständlich, denn er hatte dafür als einziger gewichtige Gründe.«
Lomejko schloss unspektakulär und abrupt, worin sich wahrscheinlich hauptstädtischer Chic äußerte:
»Das wäre meinerseits alles, meine Herren. Wie Sie sehen, habe ich Sie nicht so lange gequält wie der Staatsanwalt. Denn ich habe Argumente, er dagegen Sentiments. Fällen Sie eine Entscheidung, das ist Ihr Recht und Ihre Pflicht. Aber der Fall ist vollkommen klar.«
Ovationen gab es nicht, denn die Reaktion auf das Plädoyer war gemischt: Bubenzows Anhänger frohlockten unverhohlen, seine Gegner waren sichtlich verwirrt.
Der Staatsanwalt hob sogleich die Hand, und es begann der Schlagabtausch der gegnerischen Parteien.
»Dann ist Ihr Mandant also ein Unschuldslamm, das nicht einmal ahnte, was für einen Wolf im Schafpelz es sich herangezogen hatte?«, rief Berditschewski hitzig.
Viele lachten, denn mit einem Lamm hatte Bubenzow nun wirklich keine Ähnlichkeit. Ermutigt fuhr Berditschewski fort:
»Meint der Herr Verteidiger nicht auch, dass die Geschichte mit den Köpfen dem Synodalinspektor sehr gelegen kam? Kaum war Bubenzow zur Ausmerzung des Heidentums bei uns in Sawolshsk eingetroffen, da wurden auch schon Menschen ohne Kopf gefunden, genauso, wie es in der vierhundert Jahre alten Chronik steht.«
Lomejko erwiderte ironisch:
»Vielleicht hat mein Mandant auch die Chronik selbst geschrieben?«
Wieder ertönte Gelächter, lauter als beim vorigen Mal. In der Kunst des Geplänkels war Berditschewski dem schlagfertigen Hauptstädter nicht gewachsen.
»Es ist gar nicht so wichtig, wer die Morde ausgeführt hat«, ließ sich Berditschewski auf ein wesentliches Zugeständnis ein, denn er konnte die Argumente der Verteidigung nicht widerlegen. »Möglich, dass sich Bubenzow nicht selbst die Hände schmutzig gemacht hat. Aber wenn Dshurajew Blut vergoss, handelte er mit Wissen Bubenzows!«
»Haben Sie dafür Beweise?« Der Advokat kniff die Augen ein. »Oder erschüttern Sie nur die Luft, wie gehabt?«
»Der unbedarfte, ungebildete Kaukasier hätte sich eine so raffinierte Intrige nicht ausdenken können«, erregte sich Berditschewski. »Und in den Feinheiten der Photokunst kannte er sich auch schwerlich aus. Immerhin wurden nicht nur die Bilder zerrissen, sondern auch die Platten zerschlagen. Woher dieses Wissen um den photographischen Prozess? Ich erinnere daran, dass der Mörder genau das Bild und die Platte mitgenommen hat, die den Ort preisgaben, wo die Leichen vergraben waren. Wie erklären Sie das?«
Lomejko lächelte herablassend.
»Sehr einfach, Herr Kollege. Als Dshurajew die Ausstellung zertrümmerte, sah er auf einem der Bilder die Stelle, die er nur zu gut kannte. Er blickte genauer hin – da war die von ihm vergessene Hacke. Es ist nicht schwer zu erraten, was für eine Gefahr solch ein Bild für den Mörder darstellte. Das ist das ganze Rätsel. Und dann, Herr Ankläger, möchte ich ganz energisch protestieren gegen die widerwärtige Geringschätzung von Andersstämmigen, die aus Ihren Worten herauszuhören war. ›Der unbedarfte, ungebildete Kaukasier‹. Bei Ihnen kommt es so heraus, als wäre der eigentlich gar kein richtiger Mensch gewesen. Aber er war sehr wohl ein Mensch, der nur andere Traditionen und einen anderen Glauben hatte, aber durchaus eigene Ehrbegriffe, weitaus strengere als unsere. Sehr schade, dass die Polizei Dshurajew getötet hat. Ich hätte gern seine Verteidigung übernommen. Schämen Sie sich, mein Herr. Man sollte nicht jeden mit dem eigenen Maß messen, denn es leben auf der Welt nicht nur Russen.«
Für diese redlichen Worte wurde der Verteidiger belohnt mit dem stürmischen Beifall des fortschrittlichen Teils der Anwesenden, wobei am lautesten die Publizisten klatschten. Berditschewski errötete qualvoll, weil er dieselben Ansichten vertrat.
»Und der Fluchtversuch? Warum wollte Bubenzow fliehen, wenn er unschuldig ist?«, besann er sich.
Lomejko dämpfte die Stimme, als sei es ihm peinlich, auf eine so einfältige Frage zu antworten.
»Erlauben Sie, was blieb ihm denn anderes übrig, als der Tscherkesse das Feuer eröffnete? Ihre trefflichen Polizisten hätten alle drei mit Kugeln durchsiebt. Außerdem konnte Bubenzow nicht auf eine faire Untersuchung hoffen. Und wir sehen nun, wie Recht er hatte.«
Berditschewski sah, wie die Lippen des Angeklagten in einem triumphierenden Lächeln zuckten.
»Es reicht«, sagte der stellvertretende Oberprokuror vernehmlich. »Der Fall ist völlig klar.«
Berditschewski warf Mitrofani einen verzweifelten Blick zu, und der Geistliche machte ihm ein Zeichen.
»Herr Vorsitzender«, erklärte Berditschewski unverzüglich. »Ich bitte darum, einen Zeugen der Anklage anzuhören.«
Als sich herausstellte, dass der Bischof aussagen wollte, sprang der Verteidiger auf und rief:
»Ich protestiere! Der Bischof hatte mit der Ermittlung nichts zu tun, ich habe die Materialien aufmerksam studiert. Folglich beabsichtigt er mit seiner Autorität als hoch geachteter Geistlicher die Meinung der Geschworenen zu beeinflussen.«
Mitrofani lächelte, erheitert von dem Gedanken, das Gericht könnte ihm nicht das Wort erteilen. Der Vorsitzende, tiefrot im Gesicht, antwortete der hauptstädtischen Koryphäe scharf:
»Das stimmt nicht! Obwohl Bischöfliche Gnaden formal nicht an der Ermittlung beteiligt war, wissen alle sehr genau, dass er die Tätigkeit der Ermittler leitete. Überdies ist sein Scharfblick in solchen Fällen weithin bekannt, nicht nur in unserer Provinz.« Das letzte Wort betonte der Richter, um dem Anwalt seine Sticheleien heimzuzahlen. »Sondern darüber hinaus.«