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»Wie Sie wünschen.« Lomejko neigte den Kopf, doch bevor er sich setzte, sagte er:

»Ich bitte Sie inständig, Bischöfliche Gnaden, missbrauchen Sie nicht Ihr Wort als Geistlicher. Es wiegt schwer, umso größer ist daher die Verantwortung.«

Der Auftritt eines solchen Zeugen stellte eine umwerfende Sensation dar, und einer der Zeichner kroch vor Eifer sogar auf dem Fußboden näher an den Geistlichen heran, um dessen majestätische Haltung beim Eid einzufangen.

Mitrofani wandte sich nicht an die Geschworenen, sondern direkt an den Verteidiger, als sehe er in ihm die Schlüsselfigur dieser erbitterten juristischen Schlacht.

»Sie sprachen von Verantwortung«, sagte er klar und laut. »Und wahrlich, Sie haben Recht. Auf jedem, der vor einem menschlichen Gericht aussagt, liegt eine große Verantwortung. Doch unvergleichlich größer ist unsere Verantwortung vor dem Jüngsten Gericht. Das scheinen Sie vergessen zu haben.«

Lomejko senkte demütig den Kopf, als wage er einem so respektablen Opponenten nicht zu widersprechen, bleibe aber bei seiner Meinung.

»Sie sind doch ein begabter Mensch und verfügen über einen scharfen Verstand«, fuhr Mitrofani vorwurfsvoll fort. »Wozu die Rabulistik? Der Kaufmann und sein Sohn, die drei armen Syten, der Künstler, die beiden jungen Frauen, der Polizist und dann noch der Kaukasier – sie alle mussten ihr Leben lassen. Und sie alle hatten irgendwie mit Bubenzow zu tun. Das werden Sie doch nicht bestreiten? Bei uns in Sawolshsk ging es still und friedlich zu. Dann erschien dieser Mann, und es war, als hätte jemand unsere gesegnete Gegend mit dem bösen Blick verhext. Plötzlich gab es Morde, gegenseitige Verdächtigungen, Hass, Gemeinheit, Zuträgerei, Zwistigkeiten in den Familien, Angst. Was ich jetzt sage, werden viele Freidenker und Gottlose für Aberglauben und Rückständigkeit halten, aber es ist die reine Wahrheit. Unter uns sind Menschen, die das Böse in sich tragen. Es gibt viele solcher Menschen, und sie sehen genauso aus wie alle übrigen. Darum haben wir keine Angst vor ihnen und gehen vertrauensvoll, mit offenen Herzen und Armen, auf sie zu.« Hier umfing der Geistliche mit einem viel sagenden Blick die Galerie, wo unsere Sawolshsker Damen saßen. »Und wir erkennen die Träger des Bösen erst, wenn es ihnen aus eigensüchtigen Gründen in den Sinn kommt, uns zu verletzen oder zu vernichten. Dann heulen und wehklagen wir, sind aber kaum mehr zu retten, denn diese bösen Menschen haben Zähne aus Stahl, Krallen aus Eisen und Herzen aus Stein.«

Der Geistliche glich jetzt einem alttestamentarischen Propheten, und seine Stimme dröhnte, als führe er im Tal des Todes von Balaklawa (Stadt auf der Krim, wo 1854 ein Gefecht zwischen Russen und Engländern stattfand. D.Ü.) eine Schwadron in den Kampf gegen englische Husaren.

»Wissen Sie, was für eine Plage unser Gouvernement heimgesucht hat? Das Böse ist zu uns gekommen. Und wir, die wir hier leben, haben das alle gefühlt, der eine früher, der andere später. Ihr Mandant ist nicht einfach ein böser Mensch, er ist ein Diener des Bösen. Sein ganzes Leben, sein ganzes Benehmen legt davon Zeugnis ab. Ein gefährlicher Diener, denn er ist klug, gerissen, wendig, verwegen und schön. Ja, ja, schön. Der Teufel hat ihn mit einer honigsüßen Sprache, einer einlullenden Stimme, mit Macht über die Schwachen und vielen anderen Gaben ausgestattet.«

Hier leistete sich Bubenzow ein starkes Stück: Er formte mit den Fingern hinter dem Rücken des Geistlichen zwei Hörner und streckte die Zunge heraus. Der eine und andere prustete, doch auf die meisten Anwesenden machte dieser Ausfall einen äußerst unangenehmen Eindruck.

»Sehen wir uns diejenigen seiner Taten an, die nicht einmal Sie bestreiten können«, fuhr der Bischof fort, nach wie vor nur an den Anwalt gewandt. »Sie sagten, den Kaufmann Wonifatjew und seinen Sohn habe nicht er getötet, sondern sein Bedienter. Nehmen wir an, nehmen wir nur einmal an, dass es wirklich so ist. Dieses schlimme Verbrechen hat Bubenzow zum Vorwand genommen, um ein noch schlimmeres zu begehen: Er erhob eine falsche Anschuldigung gegen ein ganzes Volk, löste eine Welle des Hasses und der Intoleranz aus und veranstaltete eine schändliche und widerliche Jagd auf Andersgläubige. Und wie behandelte er Naina Telianowa? Er verführte sie, zerstörte ihr Leben und verhöhnte ihr zwar sündhaftes, doch aufrichtiges Gefühl. Und er hat sie nicht aus Liebe verführt, nicht einmal aus Leidenschaft, sondern aus einer flüchtigen Laune heraus oder, schlimmer noch, aus Eigennutz. Bubenzow hat Naina Telianowa willentlich oder unwillentlich zu widerwärtigen Taten und zur Mittäterschaft an einem ungeheuerlichen Mord angestiftet. Danach hat er sie getötet. Ja, ja, er hat Naina Telianowa, ihr Hausmädchen und den Künstler auf dem Gewissen.«

Das konnte Lomejko nicht mehr dulden, denn er sah, was für eine Wirkung die Rede des Bischofs auf die Geschworenen hatte.

»Aber erlauben Sie!«, schrie er und erhob sich. »Das meinen Sie im übertragenen Sinn, aber das Gesetz erkennt so etwas nicht an! Herr Vorsitzender, das ist eine Verletzung der Verfahrensregeln! Ich protestiere!«

»Man kann es auch im direkten Sinne verstehen«, sagte Mitrofani bedeutend leiser. »Was hatten Sie denn für Argumente, mit denen Sie die Anklage zu entkräften versuchten? Der schmächtige Bubenzow hätte gar nicht die Kraft gehabt, Poggios Brust mit dem schweren Stativ zu durchbohren? Sie sprachen, wenn ich mich recht entsinne, von satanischer Kraft‹? Ein sehr passender Ausdruck. Denn auch ich denke an satanische Kraft, wenn ich sehe, welch böse Energie und teuflische Unersättlichkeit Herr Bubenzow hier in unserem Gouvernement an den Tag gelegt hat. Ja, er ist feingliedrig und hager, aber Menschen von solcher Beschaffenheit verfügen bekanntlich über einen besonderen Vorrat an nervlicher Energie. Wut oder Raserei befähigt sie zu wahren Wundern an Kraft, was auch die medizinische Wissenschaft bestätigt. Aber warum in die Ferne schweifen.« Der Bischof tat, als sei ihm gerade erst ein treffendes Beispiel eingefallen. »Sie selbst haben das im vergangenen Jahr im Prozess gegen die Kleinbürgerin Baranowa sehr anschaulich beschrieben. Ihre Mandantin, eine siebzehnjährige Näherin, hatte mit bloßen Händen ihren Peiniger erwürgt und in der Hitze des Gefechts die achtundneunzig Kilogramm schwere Leiche sogar noch zum Teich geschleift. Ich habe in der Presse Ihr Plädoyer gelesen, das der Baranowa ein mildes Urteil eintrug. Erinnern Sie sich, dass Sie von ›nervlicher Raserei‹ sprachen?«

Das war ein vernichtender Schlag, vor allem deshalb, weil er Lomejko völlig unverhofft traf. Wer hätte gedacht, dass ein Provinzgeistlicher so gut informiert war?

Aber Mitrofani war schon weiter.

»Da Sie die Materialien des Falls gelesen haben, ist Ihnen bekannt, dass jemand versuchte, die Nonne Pelagia Lissizyna zu ermorden, nachdem sie Naina Telianowas Anschlag auf die weißen Bulldoggen aufgedeckt hatte. Unter den Sachbeweisen sind ein Sack und ein Strick, die Tatwaffen. Bubenzow war bei der Entlarvung der Fürstin Telianowa zugegen, Murad Dshurajew jedoch nicht. Wenn Dshurajew der alleinige Mörder war, woher wusste er, dass Schwester Pelagia ihm gefährlich werden konnte?«

Der Anwalt warf einen fragenden Blick auf Bubenzow – der zuckte nur die Achseln.

»Und dann . . .« Mitrofani machte eine Pause, womit er zu verstehen gab, dass gleich das Wichtigste folgen würde. »Sagen Sie, Herr Verteidiger, in wen war Naina Telianowa verliebt, in Dshurajew oder in Bubenzow?«

Das Publikum erfasste den Sinn der Frage nicht sofort, aber Lomejko erbleichte und zupfte sich den Bart.

»Die Toten, Herr Advokat, vermögen auch Zeugnis abzulegen. Gott der Herr hat ihnen eine solche Kraft verliehen. Über all Ihren Wortspielen haben Sie das Wesentliche außer Acht gelassen: Naina Telianowa hätte so Aberwitziges – Stillschweigen über die vergrabenen Köpfe, Tötung der Hunde – nur für den Mann getan, den sie von ganzem Herzen liebte. Aber nicht für den unkultivierten Tscherkessen, den Sie uns so hartnäckig als den Mörder präsentieren. Was sagen Sie dazu? Wer sieht hier den Wald vor lauter Bäumen nicht?«