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Sie blickte den Bischof ängstlich, fast verzweifelt an. Mitrofani stieß einen Stoßseufzer aus und strich seiner geistlichen Tochter über den Kopf.

»Dass du mich als eitlen Dummkopf vorgeführt hast, geschieht mir ganz recht. Damit ich mir nicht zu viel einbilde. Und mir keinen fremden Lorbeer aneigne. Ich kenne diese sündhafte Schwäche an mir, und ich bin dafür gestraft worden. Aber das wäre halb so schlimm. Du beschämst mich, Pelagia, beschämst mich sehr. Und erschreckst mich. Wie gefällig alles aussieht, wenn man die Welt durch gefärbtes Glas betrachtet. Und man wählt die Farbe, die einem gefällt. Und dann erscheint dir dein persönlicher Feind plötzlich als Verbrecher und Feind des ganzen Menschengeschlechts, und dein Freund, auch wenn er noch so sündig ist, als lichter Engel. Mögen die Politiker die Welt durch gefärbte Gläser betrachten, ein Geistlicher darf das nicht. Für ihn muss das Glas farblos sein, und am besten wäre gar kein Glas . . .« Der Bischof wiegte bekümmert den Kopf. »Und dass man Böses nicht mit Bösem ausrotten kann, auch damit hast du Recht. Man würde nur das eine Übel durch ein anderes, noch größeres, ersetzen. Aber das Bubenzowsche Böse ist von ganz besonderer Art. Es vergeht sich nicht am Gesetz, sondern an der menschlichen Seele. Auf dem Gerichtsweg ist diesem Bösen nicht beizukommen, das vermag nur Gottes Kirche. Es ist die Pflicht der Kirche, über das Böse zu wachen und es zu entlarven.«

Die Nonne fuhr zusammen und sagte hastig:

»Aber ich denke, Vater, dass Gottes Kirche eine ganz andere Bestimmung hat. Dass es nicht notwendig ist, über das Böse zu wachen und es zu entlarven. Denn daraus entsteht nur Angst. Wir sollten uns nicht mit dem Bösen beschäftigen, sondern mit dem Guten. Sanftheit und Liebe sind vonnöten. Aus Angst erwächst niemals Gutes.«

»So urteilst du über die Gottesfurcht?«, fragte der Bischof drohend. »Besinne dich, Pelagia!«

»Gott soll man nicht fürchten, sondern lieben. Und die Menschen sollten auch die Kirche nicht fürchten, sondern lieben. Die Kirche mit irdischer Macht zu verflechten ist erst recht Sünde.«

»Was ist daran Sünde?«, fragte Mitrofani weniger verärgert als verwundert. »Geht es Sawolshsk schlechter, wenn der Gouverneur auf mich hört?«

Leider konnten sie nicht zu Ende sprechen, denn der aufgeregte Berditschewski schaute herein und verkündete:

»Bischöfliche Gnaden, alles vorbei! Die Geschworenen sind gleich wiedergekommen. Selig ist schuldig – einstimmig. Bubenzow nicht schuldig – auch einstimmig. Die Reporter haben nicht einmal das Urteil abgewartet. Sie drängen sich hier im Korridor und warten auf Sie.«

»Auf uns?« Die Stimme des Geistlichen vibrierte. »Nun ja, dann werde ich den bitteren Kelch bis zur Neige leeren, geschieht mir recht.« Er stand entschlossen auf und fasste Pelagia bei der Hand. »Geh du als Erste hinaus. Das ist deine Stunde. Aber spreize dich nicht zu sehr. Denke daran, dass du Christi Braut bist.«

Kaum trat Pelagia in den Korridor, wurde sie von Magnesiumblitzen geblendet, sie machte zwei Schritte und blieb ratlos stehen. Vor sich sah sie viele aufgelebte Männergesichter, die meisten glatt rasiert, aber mit gezwirbeltem Schnurrbart.

Kräftige Schultern schubsten die Nonne zur Seite. Gehröcke und Jacketts umringten den gebeugten Bischof.

Ein unschöner Mann mit vorstehenden Backenknochen, Zarenko persönlich, der berühmte Petersburger Publizist, sagte respektvolclass="underline"

»Bischöfliche Gnaden, Ihre erhabene Weisheit hat das Publikum tief beeindruckt. Sie haben eine fulminante Rede gehalten und das Böse in Gestalt von Inspektor Bubenzow entlarvt. Zwar kann er sich dem Gericht der Menschen entziehen, doch vor dem Gericht Gottes ist er schuldig. Den unbedeutenden Mörder, den gewöhnlichen Verbrecher zu entlarven haben Sie Ihrer Gehilfin überlassen, was sie auch trefflich getan hat, zweifellos nach Ihren Weisungen.«

»Nein, nein, von sich aus!«, rief Mitrofani erschrocken. »Es war Pelagia!«

Diese rührende Bekundung von Bescheidenheit wurde mit verstehendem Lächeln aufgenommen, und etliche Reporter notierten sogleich die Worte des Bischofs, in denen sie bewundernswerte Demut und eine Absage an die Eitelkeit sahen.

»Selbstverständlich.« Auch Zarenko lächelte. »Sie haben nichts damit zu tun. Ebenso wie in allen vorangegangenen Fällen, die mit Ihrer Beteiligung gelöst wurden, gebührt das Verdienst Ihrer Schwester Polixena.«

»Pelagia«, berichtigte der Geistliche verwirrt und suchte mit den Augen seine Gehilfin.

Pelagia stand am geöffneten Fenster, mit dem Rücken zu den Journalisten. War sie verstimmt? Gekränkt?

Wir können den Leser beruhigen. Sie war keineswegs gekränkt. Sie stand einfach da und blickte hinaus, weil draußen der Vorfall seinen Anfang nahm, den wir schon erwähnten.

Der Platz, auf den die Fenster des Bezirksgerichts gingen, war zu dieser vorabendlichen Stunde fast menschenleer. An der Laterne strichen träge zwei Hofhunde herum, ein kleiner Junge, angetan mit einem langen Kittel und Stiefeln, hüpfte auf einem Bein über eine Pfütze. Doch am anderen Ende, wo die Kleine Kupetscheskaja in den Platz mündete, klapperten Hufe über das Pflaster, rumpelten Räder, klirrte Pferdegeschirr. Das Getöse kam geschwind näher, und schon bald waren zwei schaumbedeckte Schimmel zu erkennen, die eine gefederte Kutsche zogen. Auf dem Bock stand peitschenschwingend ein eingestaubter Mönch in einer schwarzen, im Wind wehenden Kutte, barhäuptig und mit langen zerzausten Zotteln, und etwas später war zu sehen, dass seine Stirn voller Blut war und die Augen herausquollen. Die wenigen Passanten, die dieses Bild sahen, blieben wie angewurzelt stehen.

Vor dem Gerichtsgebäude zog der Mönch die Zügel an, brachte die Pferde zum Stehen, sprang auf die Erde und rief Pelagia zu . . .

Doch wir wollen nicht verraten, was er rief, denn das ist der Beginn einer ganz anderen Geschichte, die noch erstaunlicher ist als die Geschichte der weißen Bulldogge.

Pelagia drehte sich rasch zu dem Geistlichen um. Der sah den seltsamen Mönch nicht und hörte nicht seinen Ruf, spürte aber sofort Ungutes. Sanft, doch energisch schob er den Korrespondenten beiseite und . . .