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Wladimir Lwowitsch Bubenzow entpuppte sich als eine höchst interessante Figur. Bis zum Skandal des vorigen Jahres, der nicht nur in Privatbriefen aus Petersburg, sondern auch in der Presse aufs eingehendste beschrieben wurde, hatte er in der Garde gedient und im Ruf eines liederlichen und gefährlichen Menschen gestanden, keine Seltenheit bei unseren glänzenden Gardisten. Er hatte früh sein Erbe angetreten, hatte es früh mit Gelagen durchgebracht, war dann abermals reich geworden, und zwar im Kartenspiel, mit dem er so erfolgreich war, dass es sogar auf Duelle hinauslief, jedoch ohne Folgen. Unsere Oberen üben ja Nachsicht gegenüber Offiziersduellen, wenn die nicht tödlich enden und keine schweren Verletzungen zur Folge haben, sie fördern sie sogar in gewissem Grade, da sie darin eine Festigung des ritterlichen Geistes und der militärischen Ehre sehen. Aber der Krug geht bekanntlich so lange zum Brunnen, bis er bricht.

Außer den Karten hatte Bubenzow eine weitere Leidenschaft – die Frauen, er galt als einer der verwegensten Schürzenjäger der Hauptstadt. Aber nun hatte er ein Mädchen aus einer zwar nicht vornehmen, doch angesehenen Familie verführt und war zudem so grausam mit ihr umgegangen, dass die Ärmste versucht hatte, sich aufzuhängen. Solche Geschichten wurden Bubenzow reichlich nachgesagt, doch diesmal kam er nicht so ohne weiteres davon. Das Mädchen hatte zwei Brüder, der eine Offizier, der andere Student. Von Bubenzow wussten alle, dass er ein begnadeter, genauer, ein teuflischer Schütze war und Duelle nicht fürchtete, denn er konnte seinem Gegner mit einer Kugel die Waffe aus der Hand schießen und hatte das schon mehr als einmal getan. Für einen Raufbold, der vom Kartenspiel lebt, ist solch eine Reputation unumgänglich, denn sie schützt ihn zuverlässig vor dem Verdacht des Falschspiels und vor überflüssigen Skandalen.

Die Brüder des Mädchens wussten, dass nur mit einer Herausforderung keine Satisfaktion zu bekommen war, und beschlossen, auf ihre Weise mit dem Beleidiger abzurechnen. Beide waren kühne junge Männer von hünenhaftem Körperbau, die mit dem Jagdspieß auf den Bären losgingen. Eines Morgens lauerten sie Bubenzow vor seiner Haustür auf, als er wieder einmal vom Kartenspiel kam. Sie hatten sich vorher vergewissert, dass er in Zivil war, sonst wären sie nicht um eine Anklage wegen Beleidigung der Uniform herumgekommen. Der eine Bruder, der Student, umklammerte Bubenzow von hinten und hob ihn hoch, und der andere, der Dragoner, schlug ihn mit der Reitpeitsche mehrmals ins Gesicht. Und all das auf offener Straße, vor den Augen der Passanten. Bubenzow setzte sich anfangs zur Wehr, wollte sich losreißen, trat um sich, doch als er die Vergeblichkeit erkannte, kniff er nur noch die Augen zu, damit die nicht verletzt würden. Als die Brüder ihr Mütchen gekühlt hatten, schleuderten sie ihn zu Boden, da sagte der Verprügelte leise, aber es wurde gehört: »Ich schwöre beim Teufel, dass ich euer ganzes Geschlecht auslöschen werde.« Genau so sagte er.

Tags darauf im Morgengrauen duellierte er sich gleich mit beiden, was bei uns in Russland unüblich ist, doch dies war ein besonderer Fall, und die Sekundanten stimmten zu.

Die Bedingungen besagten, dass Bubenzow sich zuerst mit dem älteren Bruder schießen sollte. Dreißig Schritte Distanz, mit Vorgehen zur Barriere. Bubenzow ließ seinen Gegner keinen Fußbreit näher kommen, er schoss sofort. Die Kugel traf eine Stelle, die man gar nicht benennen mag. Der Dragoner war kein Jammerlappen, aber er wälzte sich brüllend und tränenüberströmt auf der Erde. Und es war klar, dass die Kugel genau dort getroffen hatte, wohin Bubenzow mit teuflischer Treffsicherheit gezielt hatte.

Nun war der jüngere Bruder an der Reihe. Er zitterte und war bleich wie Leinwand, denn der Bruder schrie und ließ den Arzt nicht an sich heran. Nervös schoss der Student als Erster, ohne richtig zu zielen, und fehlte natürlich. Und nun trieb Bubenzow mit ihm ein böses Spiel. Er ließ ihn bis zur Barriere vorgehen und zielte lange auf zehn Schritt Distanz. Die Sekundanten glaubten schon, er wolle den Jungen schonen, ihn ein wenig einschüchtern und dann in die Luft schießen. Aber Bubenzow führte Eigenes im Schilde.

Der Student kehrte ihm die Seite zu und hielt noch für alle Fälle die Pistole vor die Leibesmitte. Seine Knie zitterten, über sein Gesicht rann kalter Schweiß. Sein Kopf ruckte hin und her, er blickte mal in die schwarze Mündung, mal zur Seite auf den verwundeten Bruder. Bubenzow passte einen Moment ab, da der junge Mann ihm das Profil zukehrte, und schoss ihm mit einer schweren Kugel das Kinn weg.

Getötet hatte er die Brüder nicht, aber, wie angedroht, ihr Geschlecht ausgelöscht. Der Ältere konnte keine Nachkommen mehr haben, und den Jüngeren würde keine Frau nehmen – seine untere Gesichtshälfte war mit einem Tuch verdeckt, hinter dem der Speichel in ein Gefäß lief, und er sprach so undeutlich, dass man ihn ohne Übung nicht verstehen konnte.

Die Geschichte mit dem Doppelduell wirbelte viel Staub auf, und Bubenzow wurde hart bestraft – zehn Jahre Festung. Dort wäre der grausame Rächer in seinem steinernen Loch verfault, aber irgendwas an ihm interessierte den Oberprokuror Konstantin Petrowitsch. Nicht ein-, nicht zwei – und nicht zehnmal, sondern viel öfter besuchte er den Häftling in seiner Kasematte und führte leise, gefühlvolle Gespräche mit ihm über die menschliche Seele, über den wahren Sinn des rechten Glaubens und über den Kreuzweg Russlands. Diese Gespräche hatten auf Bubenzow eine solche Wirkung, dass er sein sündiges Leben in ganz anderem Licht zu sehen begann und erschrak. Wie erzählt wurde, brachte ihm diese Erleuchtung die Gabe des Weinens, und es geschah nicht selten, dass er und Konstantin Petrowitsch sich gar nicht unterhielten, sondern nur weinten und beteten. Der Arrestant neigte schon dazu, das Mönchsgewand anzustreben und später wohl auch das Bußkleid der strengsten Klosterregel, aber davon wollte Konstantin Petrowitsch nichts wissen. Das sei noch zu früh, Bubenzow sei nicht würdig, dem Himmlischen Herrscher zu dienen, ehe er seine Schuld vor der irdischen Macht gesühnt habe. Er solle erst mal einen unauffälligen, bescheidenen, uneigennützigen Dienst leisten, solle sich üben in Demut und Frömmigkeit. Bubenzow war auch dazu bereit, wenn er es nur seinem Lehrvater recht machte. Und siehe da, der Oberprokuror erwirkte beim Zaren einen Allerhöchsten Gnadenerlass für den Verurteilten und übernahm ihn als Beamten in seine Dienste.

Bekanntlich sind uns nicht diejenigen die liebsten Menschen, die uns Gutes getan, sondern diejenigen, denen wir Wohltaten erwiesen haben und von denen wir dafür – unser ewiger Irrtum – unendliche Dankbarkeit erwarten. Offenbar war das der Grund dafür, dass Konstantin Petrowitsch den Sünder, den er gerettet hatte, von ganzem Herzen lieb gewann und große Hoffnungen auf ihn setzte, zumal Bubenzow, wie allgemein anerkannt wurde, sich als talentierte und unermüdliche Arbeitskraft erwies. Es wurde erzählt, dass er tatsächlich ein anderer geworden sei, der Rauflust gänzlich entsagt habe und dem weiblichen Geschlecht gegenüber äußerste Vorsicht walten lasse. Seine erste verantwortungsvolle Mission, die Ausrottung der Skopzensekte (Skopzen – Selbstverstümmler, religiöse Sekte in Russland. D.Ü.) in einem der nördlichen Gouvernements, habe er so entschlossen und energisch bewältigt, dass er von seinem Wohltäter größtes Lob erntete und sogar einer Allerhöchsten Audienz gewürdigt wurde. Selbstredend finden sich für jeden Liebling Fortunas böse Zungen. Von dem neuen Günstling des Oberprokurors hieß es, er sei weniger um die große Zukunft Russlands besorgt als um seine eigene Zukunft in diesem zukünftigen Russland, aber erheben wir diesen Vorwurf nicht gegen jeden Staatsmann mit ganz wenigen Ausnahmen?

Einen so ungewöhnlichen Abgesandten also hatte die oberste Kirchenbehörde in das verschlafene Sawolshsker Reich geschickt, um daselbst Verwirrung und einen Umschwung herbeizuführen. Die Methode, deren sich Bubenzow bediente, um seine noch nicht ganz klaren Ziele zu erreichen, war so originell, dass sie verdient, ausführlich beschrieben zu werden.