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Jedenfalls beschmiss Nancy Bobofit ihn mit Brotklumpen, die in seinen braunen Locken kleben blieben, und sie wusste, dass ich ihr nichts tun würde, weil ich ohnehin auf Bewährung war. Der Rektor hatte mir mit sofortigem Rausschmiss gedroht, wenn auf diesem Schulausflug irgendetwas Schlimmes, Peinliches oder auch nur leicht Amüsantes passierte.

»Ich bring sie um«, murmelte ich.

Grover versuchte mich zu beruhigen. »Ist schon gut. Ich ess gern Erdnussbutter.«

Er wich einem weiteren Brocken von Nancys Mittagessen aus.

»Das reicht.« Ich wollte aufstehen, aber Grover zog mich zurück auf meinen Sitz.

»Du bist auf Bewährung«, mahnte er. »Und du weißt, wem sie die Schuld zuschieben werden, wenn irgendwas schiefgeht.«

Im Nachhinein wünschte ich, ich hätte Nancy Bobofit an Ort und Stelle eine reingesemmelt. Von der Schule zu fliegen wäre noch gar nichts gewesen im Vergleich zu den Scherereien, die ich nun bald haben würde.

Mr Brunner führte uns durch das Museum.

Er fuhr in seinem Rollstuhl vor uns her durch weite Galerien mit lautem Echo, vorbei an Marmorstatuen und Glaskästen voller uralter schwarzer und orangefarbener Töpfersachen.

Ich konnte es einfach nicht fassen, dass dieser Kram zwei-oder dreitausend Jahre überlebt hatte.

Mr Brunner versammelte uns vor einer fast vier Meter hohen Steinsäule, auf der eine Sphinx saß, und erzählte uns, dass das eine Grabsäule sei, eine Stele, für ein Mädchen in ungefähr unserem Alter. Er erzählte uns, was an den Seiten in den Stein geritzt war. Ich versuchte, mir das alles anzuhören, weil es ja irgendwie doch interessant war, aber alle um mich herum quasselten, und immer, wenn ich »Haltet doch mal die Klappe« sagte, starrte die andere Lehrerin, Mrs Dodds, mich wütend an.

Mrs Dodds war eine kleine Mathelehrerin aus Georgia und trug immer eine schwarze Lederjacke, obwohl sie schon fünfzig war. Sie sah fies genug aus, um auf einer Harley voll in deinen Schrank zu brettern. Sie war mitten im Schuljahr nach Yancy gekommen, als unsere letzte Mathelehrerin einen Nervenzusammenbruch erlitten hatte.

Vom ersten Tag an war Mrs Dodds hin und weg von Nancy Bobofit, mich dagegen hielt sie für die reine Teufelsbrut. Sie zeigte immer wieder mit ihrem krummen Finger auf mich und sagte honigsüß: »So, mein Herzchen«, und dann wusste ich, dass mir ein Monat Nachsitzen bevorstand.

Einmal, nachdem ich bis nach Mitternacht Auflösungen aus alten Mathebüchern hatte ausradieren müssen, sagte ich zu Grover, dass ich mir gar nicht vorstellen könnte, dass Mrs Dodds ein Mensch sei. Er schaute mich mit ganz ernster Miene an und sagte: »Du hast ja so Recht.«

Mr Brunner redete noch immer über griechische Grabkunst.

Da riss Nancy Bobofit einen blöden Witz über den nackten Typen oben auf der Stele und ich fuhr herum und sagte: »Kannst du jetzt endlich mal die Klappe halten?«

Das sagte ich lauter, als ich es vorgehabt hatte.

Die ganze Gruppe prustete los. Mr Brunner hörte mitten in der Geschichte auf.

»Mr Jackson«, sagte er. »Möchten Sie einen Kommentar abgeben?«

Mein Gesicht war knallrot. Ich sagte: »Nein, Sir.«

Mr Brunner zeigte auf eins der Bilder auf der Stele. »Vielleicht könnten Sie uns sagen, was dieses Bild darstellt?«

Ich schaute mir die in Stein geritzte Zeichnung an und war total erleichtert, weil ich das Bild erkannte. »Das ist Kronos, der seine Kinder frisst, nicht?«

»Ja«, sagte Mr Brunner, war damit aber offenbar noch nicht zufrieden. »Und das hat er getan, weil …«

»Na ja …« Ich zerbrach mir den Kopf, um mich zu erinnern. »Kronos war der König der Götter und …«

»Götter?«, fragte Mr Brunner.

»Titanen«, korrigierte ich mich. »Und … er misstraute seinen Kindern, die Götter waren. Und also, ähem, hat Kronos sie aufgegessen, stimmt’s? Aber seine Frau hatte den kleinen Zeus versteckt und Kronos stattdessen einen Felsen zu essen gegeben. Und als Zeus dann später größer wurde, hat er seinen Papa, Kronos, dazu gebracht, seine Geschwister auszukotzen …«

»Uääh!«, sagte eins von den Mädchen hinter mir.

»… und dann gab es einen wütenden Kampf zwischen Göttern und Titanen«, fügte ich hinzu. »Und die Götter haben gewonnen.«

In der Gruppe kicherten einige.

Hinter mir murmelte Nancy Bobofit einer Freundin zu: »Als ob wir das im wirklichen Leben zu irgendwas brauchen könnten. Als ob uns bei einer Jobbewerbung irgendwer sagen wird, bitte, erklären Sie uns, warum Kronos seine Kinder verspeist hat.«

»Und warum, Mr Jackson«, sagte Brunner, »um Miss Bobofits hervorragende Frage anders zu formulieren, spielt das im wirklichen Leben eine Rolle?«

»Reingefallen«, murmelte Grover.

»Fresse«, zischte Nancy und ihr Gesicht war jetzt noch röter als ihre Haare.

Wenigstens war Nancy jetzt auch erwischt worden. Mr Brunner war der Einzige, der jemals hörte, wenn sie etwas Falsches sagte. Der Mann hatte wirklich Radarohren.

Ich dachte über seine Frage nach und zuckte mit den Schultern. »Ich weiß es nicht, Sir.«

»Aha.« Mr Brunner machte ein enttäuschtes Gesicht. »Na, immerhin ein halber Punkt, Mr Jackson. Zeus hat Kronos in der Tat eine Mischung aus Senf und Wein gegeben, worauf der seine anderen fünf Kinder auswürgte, die, als unsterbliche Gottheiten, vollständig unverdaut im Magen des Titanen überlebt hatten und herangewachsen waren. Die Götter überwältigten dann ihren Vater, schnitten ihn mit seiner eigenen Sense in Stücke und verstreuten seine Überreste im Tartarus, dem dunkelsten Teil der Unterwelt. Und an dieser fröhlichen Stelle legen wir jetzt die Mittagspause ein. Mrs Dodds, würden Sie uns wieder nach draußen führen?«

Die Klasse wanderte los, den Mädchen war das auf den Magen geschlagen, die Jungs rempelten sich an und benahmen sich wie Idioten.

Grover und ich wollten gerade hinterhergehen, als Mr Brunner sagte: »Mr Jackson?«

Ich wusste, was jetzt kommen würde.

Ich sagte zu Grover: »Geh schon mal vor.« Dann drehte ich mich zu Mr Brunner um. »Sir?«

Mr Brunner hatte einen Blick, der einen einfach nicht losließ – intensive braune Augen, von denen man denken konnte, sie wären tausend Jahre alt und hätten alles schon gesehen.

»Du musst die Antwort auf meine Frage finden«, sagte Mr Brunner nun.

»Über die Titanen?«

»Über das wirkliche Leben. Und was der Unterrichtsstoff damit zu tun hat.«

»Ach.«

»Was du von mir lernst«, sagte er, »ist von ungeheurer Bedeutung. Und ich werde von dir nur das Beste akzeptieren, Percy Jackson.«

Ich wurde wütend, dieser Typ setzte mich dermaßen unter Druck.

Ich meine, klar, es konnte schon lustig sein, wenn er an Wettkampftagen eine römische Rüstung anlegte, »Waffen, ho!« brüllte und uns, Schwertspitze auf die Kreide gerichtet, aufforderte, an die Tafel zu rennen und alle Griechen und Römer aufzuzählen, die je gelebt hatten, und zu erklären, wer ihre Mutter gewesen war und welche Gottheiten sie verehrt hatten. Aber Mr Brunner erwartete, dass ich genauso gut war wie alle anderen, obwohl ich Legastheniker und hyperaktiv war und in meinem ganzen Leben nie eine bessere Note als befriedigend gehabt hatte. Nein, das stimmt nicht – er erwartete nicht, dass ich ebenso gut war, ich sollte besser sein. Und ich konnte mir diese ganzen Namen und Fakten einfach nicht merken, mal ganz zu schweigen davon, sie richtig zu schreiben.