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Nachts träumte ich wieder von Grover.

Manchmal hörte ich nur für einen Moment seine Stimme. Einmal sagte er: Hier ist es.

Und ein andermaclass="underline" Er mag Schafe.

Ich spielte mit dem Gedanken, Annabeth von meinen Träumen zu erzählen, aber ich wäre mir blöd dabei vorgekommen. Ich meine – er mag Schafe? Sie hätte doch gedacht, ich wäre bescheuert.

Am Abend vor dem Rennen bauten Tyson und ich unseren Wagen fertig. Er war ganz schön klasse. Tyson hatte die Metallteile in der Waffenschmiede hergestellt. Ich hatte das Holz mit Sand abgerieben und den Wagen zusammengebaut. Er war blau-weiß und hatte Wellenlinien auf den Seiten und einen Dreizack vorn. Nach der ganzen Arbeit kam es mir nur fair vor, Tyson als Beifahrer zu nehmen, auch wenn das den Pferden nicht gefallen würde. Außerdem würde Tysons Gewicht uns langsamer machen.

Als wir schlafen gehen wollten, fragte Tyson: »Bist du sauer?«

Ich merkte, dass ich die Stirn gerunzelt hatte. »Nö. Bin ich nicht.«

Er legte sich hin und schwieg in der Dunkelheit. Er war viel zu lang für sein Bett. Wenn er die Decke hochzog, ragten unten seine Füße hervor. »Ich bin ein Ungeheuer.«

»Sag das nicht.«

»Schon gut. Ich will ein gutes Ungeheuer sein. Dann brauchst du nicht sauer zu sein.«

Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Ich starrte die Decke an und glaubte, langsam sterben zu müssen, zusammen mit Thalias Baum.

»Es ist nur … ich hab doch noch nie einen Halbbruder gehabt.« Ich gab mir Mühe, mit fester Stimme zu sprechen. »Das ist für mich eine ganz neue Erfahrung. Und ich mache mir Sorgen um das Camp. Und ein Freund von mir, Grover … der ist vielleicht in Gefahr. Ich werde das Gefühl nicht los, dass ich ihm helfen müsste, aber ich weiß nicht, wie.«

Tyson schwieg.

»Tut mir leid«, sagte ich. »Du kannst ja nichts dafür. Ich bin sauer auf Poseidon. Ich hab das Gefühl … dass er mich in Verlegenheit bringen will, dass er versucht, uns zu vergleichen oder so, und ich begreife nicht, warum.«

Ich hörte ein tiefes Dröhnen. Tyson schnarchte.

Ich seufzte. »Gute Nacht, Großer.«

Und dann machte ich ebenfalls die Augen zu.

In meinem Traum trug Grover ein Brautkleid.

Es passte ihm nicht sehr gut. Es war zu lang und der Saum war mit verkrustetem Lehm verklebt. Das tief ausgeschnittene Kleid rutschte ihm immer wieder von den Schultern. Ein zerfetzter Schleier verdeckte sein Gesicht.

Er hockte in einer düsteren Höhle, in der nur Fackeln brannten. In der einen Ecke stand ein Feldbett, in der anderen ein altmodischer Webstuhl, an dem gerade ein Stück weißes Tuch gewebt wurde.

Grover starrte mich an wie ein Fernsehprogramm, auf das er schon sehnsüchtig wartete. »Den Gottheiten sei Dank«, quiekte er. »Kannst du mich hören?«

Mein Traum-Ich reagierte nur langsam. Ich schaute mich noch immer um, registrierte die Decke, von der Stalaktiten herabhingen, den Gestank von Schafen und Ziegen, das Knurren, Grummeln und Blöken, das hinter einem kühlschrankgroßen Steinquader hervorzukommen schien, der den einzigen Ausgang verdeckte. Dahinter lag offenbar eine um einiges größere Höhle.

»Percy?«, fragte Grover. »Bitte, ich habe nicht die Kraft, die Verbindung noch stärker zu machen. Du musst mich hören!«

»Ich höre dich«, sagte ich. »Grover, was ist los?«

Hinter dem Quader brüllte eine schreckliche Stimme: »Schnuckelchen! Bist du schon fertig?«

Grover fuhr zusammen. Er rief mit Fistelstimme: »Noch nicht ganz, Liebster. Noch ein paar Tage.«

»Ba! Sind denn noch keine zwei Wochen um?«

»N-nein, Liebster. Erst fünf Tage. Macht noch zwölf.«

Das Ungeheuer verstummte. Vielleicht versuchte es nachzurechnen. Es war offenbar noch mieser im Rechnen als ich, denn es sagte: »Na gut, aber beeil dich. Ich will endlich unter den Schleier gucken, hähähä!«

Grover wandte sich wieder mir zu. »Du musst mir helfen. Und zwar ganz schnell. Ich stecke in dieser Höhle fest. Auf einer Insel im Meer.«

»Wo denn?«

»Ich weiß nicht genau. Ich war in Florida und bin dann links abgebogen.«

»Was? Wie bist du …«

»Es ist eine Falle«, sagte Grover. »Und deshalb ist noch kein Satyr von seiner Suche zurückgekehrt. Er ist ein Hirte, Percy. Und er hat es! Seine Naturmagie ist so mächtig, es riecht genauso wie der große Gott Pan. Deshalb kommen die Satyrn her und dann nimmt Polyphem sie gefangen und frisst sie auf.«

»Poly-wer?«

»Der Zyklop«, sagte Grover genervt. »Ich wäre fast entkommen. Ich war schon in St. Augustine.«

»Aber er ist dir gefolgt«, sagte ich und dachte an meinen ersten Traum. »Und hat dich in einem Laden für Brautausstattung gefangen.«

»Stimmt«, sagte Grover. »Also hat mein erster Empathielink offenbar geklappt. Verstehst du, die Sache mit dem Brautkleid hat mir das Leben gerettet. Er findet, dass ich gut rieche, und da habe ich ihm gesagt, dass das Ziegenparfüm ist. Glücklicherweise sieht er nicht sehr gut. Sein Auge ist noch immer halb blind, seit jemand versucht hat, es ihm auszustechen. Aber bestimmt wird er bald die Wahrheit herausfinden. Er hat mir zwei Wochen gegeben, um meine Brautschleppe fertig zu weben, und jetzt wird er ungeduldig.«

»Moment mal. Glaubt der Zyklop …«

»Ja«, heulte Grover. »Er hält mich für eine Zyklopin und will mich heiraten.«

Unter anderen Umständen hätte ich jetzt losgeprustet, aber Grovers Stimme klang todernst. Er zitterte vor Angst.

»Ich komme und rette dich«, versprach ich. »Wo bist du?«

»Im Meer der Ungeheuer natürlich.«

»Im Meer der was?«

»Ich hab es dir doch gesagt! Ich weiß nicht genau, wo. Und hör mal, Percy, also, es tut mir wirklich leid, aber dieser Empathielink … na ja, ich hatte keine Wahl. Unsere Gefühle sind jetzt miteinander verbunden. Wenn ich sterbe …«

»Sag bloß nicht, dass ich dann auch sterben muss.«

»Also … na ja, vielleicht nicht. Du kannst noch Jahre lang dahinvegetieren. Aber ehrlich gesagt, es wäre viel besser, wenn du mich hier rausholen könntest.«

»Schnuckelchen«, brüllte das Ungeheuer. »Essen! Lecker, lecker Schäfchen!«

Grover jammerte. »Ich muss aufhören. Beeil dich!«

»Warte! Du hast gesagt, ›es‹ sei dort. Was denn?«

»Keine Zeit. Träum süß. Lass mich nicht sterben!«

Das Bild löste sich auf und ich fuhr aus dem Schlaf hoch. Es war früher Morgen. Tyson starrte mich an und in seinem großen braunen Auge stand Besorgnis.

»Alles in Ordnung?«, fragte er.

Seine Stimme ließ mir einen eiskalten Schauer über den Rücken laufen, denn er klang fast genauso wie das Monster, das ich im Traum gehört hatte.

Der Morgen des Tages, an dem das Rennen stattfinden sollte, war heiß und schwül. Dichter Nebel wälzte sich wie Saunadampf über den Boden. Millionen von Vögeln hockten in den Bäumen – fette graue und weiße Tauben, nur gurrten sie nicht wie normale Tauben. Sie gaben ein nervtötendes, metallisches Schreien von sich und erinnerten mich an U-Boot-Radar.

Die Rennstrecke war auf einer Wiese zwischen dem Schießgelände und dem Wald angelegt worden. Hephaistos’ Hütte hatte mit den Bronzestieren, die lammfromm waren, seit Tyson ihnen die Schädel eingeschlagen hatte, innerhalb weniger Minuten eine ovale Fläche freigepflügt.

Es gab Reihen von Steinsitzen für die Zuschauer – Tantalus, die Satyrn, einige Dryaden und alle Campbewohner, die nicht am Rennen teilnahmen. Mr D ließ sich nicht sehen. Er stand nie vor zehn Uhr auf.

»So«, erklärte Tantalus, als die Teams sich eingefunden hatten. Eine Najade brachte einen großen Teller voll Gebäck, und während Tantalus sprach, jagte seine rechte Hand ein Schokoladeneclair über den Schiedsrichtertisch. »Ihr kennt die Regeln. Das Rennen geht über eine Viertelmeile. Zwei Runden bis zum Ziel. Zwei Pferde pro Wagen. Jedes Team besteht aus einem Lenker und einem Kämpfer. Waffen sind erlaubt. Miese Tricks werden erwartet. Aber versucht niemanden umzubringen!« Tantalus lächelte uns an wie ungezogene Kinder. »Jeder Tod wird streng bestraft – eine Woche keine Schokomarshmallows am Lagerfeuer. Und jetzt auf die Wagen!«