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»Ja«, sagte ich. »Das ist dieser alte Film mit den Tonskeletten.«

Annabeth verdrehte die Augen. »Bei allen Gottheiten, Percy. Du bist ja total hoffnungslos.«

»Wieso denn?«, fragte ich.

»Hör einfach zu. Dies ist die wahre Vlies-Geschichte: Zeus hatte zwei Kinder, Kadmos und Europa, klar? Sie sollten geopfert werden und beteten zu Zeus um Rettung. Also schickte Zeus ihnen seinen fliegenden Widder mit der goldenen Wolle und der las sie in Griechenland auf und trug sie bis nach Colchis in Kleinasien. Genauer gesagt, er trug Kadmos. Europa fiel unterwegs runter und starb, aber das spielt jetzt keine Rolle.«

»Für sie hat es vermutlich eine Rolle gespielt.«

»Es geht um Folgendes: Als Kadmos nach Colchis kam, hat er den goldenen Widder den Göttern geopfert und das Vlies in der Mitte des Königreichs an einen Baum gehängt. Das Vlies brachte dem Land Wohlstand. Die Pflanzen wuchsen besser. Die Bauern hatten Superernten. Nie brachen Seuchen aus. Deshalb wollte Jason das Vlies an sich bringen. Es kann dem Land, in dem es aufbewahrt wird, neues Leben schenken. Es heilt Krankheiten, stärkt die Natur, beseitigt Umweltverschmutzung …«

»Es könnte Thalias Baum heilen.«

Annabeth nickte. »Und es würde die Grenzen von Camp Half-Blood wieder undurchlässig machen. Aber, Percy, das Vlies ist seit Jahrhunderten verschollen. Es ist schon von ganzen Heerscharen von Heroen vergebens gesucht worden.«

»Aber Grover hat es gefunden«, sagte ich. »Er hat sich auf die Suche nach Pan gemacht und stattdessen das Vlies gefunden, weil beide Naturmagie ausstrahlen. Das klingt einleuchtend, Annabeth. Wir können ihn und gleichzeitig das Camp retten. Das ist doch perfekt.«

Annabeth zögerte. »Ein bisschen zu perfekt, findest du nicht? Was, wenn das eine Falle ist?«

Ich dachte an den vergangenen Sommer, daran, wie Kronos unseren Einsatz manipuliert hatte. Er hätte uns fast dazu gebracht, einen Krieg auszulösen.

»Haben wir denn eine Wahl?«, fragte ich. »Hilfst du mir, Grover zu retten, oder nicht?«

Sie schaute zu Tyson hinüber, der das Interesse an unserem Gespräch verloren hatte und glücklich aus Tassen und Löffeln in der Lava Schiffchen baute.

»Percy«, flüsterte sie. »Wir werden gegen einen Zyklopen kämpfen müssen. Gegen Polyphem, den schrecklichsten aller Zyklopen. Es gibt nur eine Gegend, wo seine Insel liegen kann. Das Meer der Ungeheuer.«

»Und wo ist das?«

Sie starrte mich an, als ob ich mich dumm stellte. »Das Meer der Ungeheuer! Das Meer, über das Odysseus gesegelt ist und Jason und Äneas und alle anderen.«

»Du meinst das Mittelmeer?«

»Nein. Oder besser: ja und nein.«

»Noch so eine klare Antwort. Danke.«

»Hör mal, Percy, das Meer der Ungeheuer ist das Meer, über das alle Helden auf ihren Abenteuern segeln. Früher war es das Mittelmeer, ja. Aber wie alles andere verändert es seine Lage, wenn das abendländische Machtzentrum weiterwandert.«

»Wie der Olymp, der jetzt über dem Empire State Building thront«, sagte ich. »Und der Hades, der genau unter Los Angeles liegt.«

»Richtig.«

»Aber ein ganzes Meer voller Ungeheuer – wie kann man so etwas verstecken? Merken die Sterblichen nicht, dass da seltsame Dinge vor sich gehen … dass Schiffe verschlungen werden und so?«

»Natürlich bemerken sie das. Sie begreifen es nicht, aber sie wissen, dass mit diesem Teil des Ozeans etwas nicht stimmt. Das Meer der Ungeheuer liegt vor der Ostküste der USA, direkt im Nordosten von Florida. Die Sterblichen haben ihm einen eigenen Namen gegeben.«

»Das Bermudadreieck?«

»Genau.«

Das musste ich erst einmal verdauen. Aber vermutlich war es auch nicht seltsamer als alles andere, was ich hier im Camp schon erfahren hatte. »Na gut … dann wissen wir immerhin, wo wir suchen müssen.«

»Es ist ein riesiges Gebiet, Percy. In Gewässern, in denen es von Ungeheuern wimmelt, eine winzige Insel zu suchen …«

»He, ich bin der Sohn des Meeresgottes. Für mich ist das ein Heimspiel. Das kann doch nicht so schwer sein!«

Annabeth runzelte die Stirn. »Wir müssen mit Tantalus sprechen. Er muss uns erlauben, zu diesem Abenteuer aufzubrechen. Und er wird nein sagen.«

»Nicht, wenn wir ihn heute am Lagerfeuer fragen. Das ganze Camp wird es hören. Das wird ihn unter Druck setzen. Dann kann er nicht ablehnen.«

»Vielleicht.« Eine leise Hoffnung war in Annabeths Stimme zu hören. »Wir müssen jetzt mit diesen Tellern fertig werden. Gib mir doch mal die Lavasprühpistole, ja?«

An diesem Abend leitete die Apollo-Hütte den Rundgesang am Lagerfeuer. Sie versuchten, die Stimmung zu heben, aber nach dem nachmittäglichen Vogelangriff war das nicht leicht. Wir saßen im Halbkreis auf Steinstufen, sangen halbherzig und sahen in die Flammen, während die Apollo-Leute auf ihren Gitarren klampften und an ihren Leiern zupften.

Wir sangen die üblichen Lagerlieder: »Unten an der Ägäis«, »Ich bin mein eigener Ur-Ur-Ur-Ur-Großvater«, »Dieses Land ist Minos’ Land«. Das Lagerfeuer war verzaubert; je lauter man sang, umso höher loderte es, und es passte Farbe und Temperatur der Stimmung der Umsitzenden an. An einem guten Abend hatte ich es schon sechzig Meter hoch brennen sehen, knalllila und so heiß, dass die Marshmallows der gesamten ersten Reihe Feuer gefangen hatten. An diesem Abend war es nur eins fünfzig hoch, lauwarm und die Flammen waren schiefergrau.

Dionysos ging schon früh. Nachdem er einige wenige Lieder ertragen hatte, murmelte er, dass sogar seine Binokelpartien mit Chiron aufregender gewesen seien als das hier. Dann schaute er Tantalus angeekelt an und begab sich zum Hauptgebäude.

Nach dem letzten Lied sagte Tantalus: »Ach, war das schön.«

Er trat mit einem gerösteten Marshmallow am Spieß vor und wollte es wie nebenbei herunterzupfen. Aber ehe er es berühren konnte, war das Marshmallow schon vom Spieß gerutscht. Tantalus griff sofort danach, aber das Marshmallow zog den Selbstmord vor und stürzte sich in die Flammen.

Tantalus drehte sich zu uns um und sagte mit kaltem Lächeln: »Na gut. Und jetzt ein paar Mitteilungen zum Unterricht morgen.«

»Sir«, sagte ich.

Tantalus’ Auge zuckte. »Unser Küchenjunge hat etwas auf dem Herzen?«

Einige Leute aus der Ares-Hütte kicherten, aber ich hatte nicht vor, mich zum Schweigen bringen zu lassen. Ich stand auf und schaute zu Annabeth hinüber. Den Göttern sei Dank, sie stellte sich neben mich.

Ich sagte: »Wir haben eine Idee, wie wir das Camp retten können.«

Totenstille, aber ich wusste, dass ich das Interesse aller geweckt hatte, denn das Lagerfeuer loderte jetzt hellgelb.

»Ach, wirklich«, sagte Tantalus ausdruckslos. »Na, falls dazu Wagen nötig sind …«

»Das Goldene Vlies«, sagte ich. »Wir wissen, wo es sich befindet.«

Die Flammen wurden orange. Ehe Tantalus mich daran hindern konnte, hatte ich meinen Traum von Grover und der Insel des Polyphem erzählt. Dann schaltete Annabeth sich ein und erinnerte alle daran, was das Vlies bewirken konnte. Wenn sie es sagte, klang es überzeugender.

»Das Vlies kann das Lager retten«, schloss sie. »Da bin ich mir sicher.«

»Unsinn«, sagte Tantalus. »Wir brauchen nicht gerettet zu werden.«

Alle starrten ihn so lange an, bis er sich nicht mehr ganz wohl in seiner Haut zu fühlen schien.

»Außerdem«, fügte er eilig hinzu, »das Meer der Ungeheuer? Das ist ja wohl nicht gerade eine exakte Positionsangabe. Ihr wisst doch nicht mal, wo ihr mit der Suche anfangen sollt.«

»Doch, ich weiß es«, sagte ich.

Annabeth beugte sich zu mir herüber und flüsterte: »Wirklich?«

Ich nickte, denn Annabeth hatte mich auf einen Gedanken gebracht, als sie mich an unsere Taxitour mit den Grauen Schwestern erinnerte. Zunächst einmal hatte das, was die Grauen Schwestern preisgaben, ja keinen Sinn ergeben. Aber jetzt …

»30, 31, 75, 12«, sagte ich.