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»Ich an deiner Stelle würde mich in den nächsten fünf Minuten entscheiden«, riet Hermes. »Denn dann werden die Harpyien auftauchen, um euch zu fressen. Und jetzt gute Nacht, lieber Vetter, und – darf ich das sagen? Mögen die Götter mit euch sein.«

Er öffnete die Hand und der Caduceus flog hinein.

Viel Glück, wünschte Martha mir.

Bringt mir eine Ratte mit, sagte George.

Der Caduceus verwandelte sich in ein Handy und Hermes steckte es in die Tasche.

Er lief über den Strand davon. Als er zwanzig Schritte weit gekommen war, leuchtete er kurz auf und war verschwunden, und ich saß da mit einer Thermoskanne und einer Flasche mit Vitaminbonbons und hatte fünf Minuten, in denen ich eine unmögliche Entscheidung treffen sollte.

Wir schiffen uns auf der Prinzessin Andromeda ein

Ich starrte die Wellen an, als Annabeth und Tyson mich fanden.

»Was ist los?«, fragte Annabeth. »Ich habe dich um Hilfe rufen hören.«

»Ich auch«, sagte Tyson. »Hast gerufen: Schlimme Dinge greifen an.«

»Ich hab euch nicht gerufen«, sagte ich. »Mir geht’s gut.«

»Aber wer hat dann …« Annabeth sah die drei gelben Seesäcke und dann die Thermoskanne und die Bonbonflasche in meiner Hand. »Was …?«

»Hört einfach zu«, sagte ich. »Wir haben nicht viel Zeit.«

Ich erzählte ihnen von meiner Unterhaltung mit Hermes. Als ich fertig war, konnte ich in der Ferne Kreischen hören – die Harpyien hatten unsere Witterung aufgenommen.

»Percy«, sagte Annabeth. »Wir müssen es tun.«

»Wir werden hier rausfliegen. Glaub mir. Ich kenn mich mit Rausfliegen aus.«

»Na und? Wenn wir versagen, dann gibt es sowieso kein Camp mehr, in das wir zurückkehren könnten.«

»Ja, aber du hast Chiron versprochen …«

»Ich habe versprochen, dich von Gefahren fernzuhalten. Und das kann ich nur, wenn ich mit dir komme. Tyson kann hierbleiben und ihnen erzählen …«

»Ich will mit«, sagte Tyson.

»Nein!« Annabeth hatte jetzt Panik in der Stimme. »Ich meine … Percy, bitte. Du weißt, dass das unmöglich ist.«

Wieder fragte ich mich, was sie eigentlich gegen Zyklopen hatte. Sie verschwieg mir irgendetwas.

Sie und Tyson sahen mich an und warteten auf eine Antwort. Das Kreuzfahrtschiff entfernte sich inzwischen immer weiter.

Die Sache war die … Einerseits wollte ich Tyson nicht mitnehmen. Ich hatte die letzten drei Tage ganz eng mit diesem Typen verbracht und ich war von den anderen Leuten im Camp deshalb jeden Tag eine Million Mal angemacht und ausgelacht und immer daran erinnert worden, dass ich mit ihm verwandt war. Ich brauchte eine Atempause.

Und ich wusste auch nicht, wie er mir helfen könnte oder wie ich ihn beschützen sollte. Sicher, er war stark, aber nach Zyklopenmaßstab war Tyson ein kleiner Junge, und im Kopf war er vielleicht sieben oder acht Jahre alt. Ich konnte mir gut vorstellen, dass er durchdrehen oder losheulen würde, wenn wir versuchten, uns an einem Monster vorbeizuschleichen oder so etwas. Er könnte uns allen den Tod bringen.

Andererseits kamen die Harpyien immer näher …

»Wir können ihn nicht hierlassen«, entschied ich. »Sonst wird Tantalus ihn dafür bestrafen, dass wir weg sind.«

»Percy«, sagte Annabeth und rang sichtlich um Ruhe. »Wir wollen zur Insel des Polyphem! Polyphem ist ein T-s- … ein Z-ü-k …« Sie stampfte frustriert mit dem Fuß auf. Sie war zwar intelligent, aber sie war eben auch Legasthenikerin. Wir hätten die ganze Nacht mit dem Versuch zubringen können, Zyklop zu buchstabieren. »Du weißt, was ich meine.«

»Tyson kann mitkommen«, beharrte ich. »Wenn er will.«

Tyson klatschte in die Hände. »Will.«

Annabeth starrte mich wütend an, aber sie hatte wohl begriffen, dass ich mir die Sache nicht mehr anders überlegen würde. Vielleicht wusste sie einfach, dass uns keine Zeit für weitere Diskussionen blieb.

»Na gut«, sagte sie. »Wie kommen wir aufs Schiff?«

»Hermes hat gesagt, dass mein Vater uns helfen wird.«

»Na dann, Algenhirn! Worauf wartest du noch?«

Es war mir immer schwergefallen, meinen Vater anzurufen oder zu ihm zu beten oder wie immer man das nennen kann, aber jetzt watete ich hinaus in die Brandung.

»Äh, Dad«, rief ich. »Wie geht’s denn so?«

»Percy«, flüsterte Annabeth. »Es eilt.«

»Wir brauchen deine Hilfe«, rief ich ein wenig lauter. »Wir müssen auf das Schiff da draußen, ich meine … ehe wir gefressen werden und so, also …«

Zuerst geschah nichts. Wellen brachen sich wie immer am Ufer. Die Harpyien mussten jeden Moment hinter uns in den Dünen stehen.

Dann tauchten etwa hundert Meter weiter draußen drei weiße Striche an der Meeresoberfläche auf. Sie jagten auf uns zu wie Krallen, die den Ozean zerfetzten.

Als sie sich dem Strand näherten, tat sich die Brandung auf und die Köpfe von drei weißen Rössern erhoben sich aus den Wellen.

Tyson schnappte nach Luft. »Fischponys!«

Er hatte Recht. Als die Wesen sich auf den Sand zogen, sah ich, dass sie nur von vorn aussahen wie Pferde. Ihre hinteren Hälften waren silberne Fischleiber mit funkelnden Schuppen und Schwanzflossen in allen Regenbogenfarben.

»Hippocampi«, sagte Annabeth. »Wie schön sie sind!«

Der ihr am nächsten stehende wieherte zustimmend und stieß Annabeth mit der Schnauze an.

»Bewundern können wir sie später«, sagte ich. »Los.«

»Da!«, kreischte hinter uns eine Stimme. »Böse Kinder, die die Hütten verlassen haben. Kleiner Imbiss für glückliche Harpyien.«

Fünf Harpyien flatterten oben auf den Dünen – rundliche kleine Vetteln mit verkniffenen Gesichtern und Krallen und Flügeln, die zu klein für ihre Körper waren. Sie sahen aus wie eine Mischung aus winzigen Imbisswirtinnen und Dodos. Sie waren nicht sehr schnell, den Göttern sei Dank, aber sie waren verdammt gemein, wenn sie ihr Opfer erst gefangen hatten.

»Tyson«, sagte ich. »Schnapp dir einen Seesack.«

Er starrte noch immer mit offenem Mund die Hippocampi an.

»Tyson?«

»Hä?«

»Na los!«

Mit Annabeths Hilfe konnte ich ihn in Bewegung setzen. Wir griffen nach den Säcken und stiegen auf unsere Reittiere. Poseidon musste gewusst haben, dass Tyson mit uns kommen würde, denn ein Hippocampus war viel größer als die beiden anderen – wie geschaffen für einen Zyklopen.

»Na, denn hü«, sagte ich. Mein Hippocampus wendete und glitt ins Wasser. Annabeths und Tysons folgten auf dem Fuße.

Die Harpyien verfluchten uns und heulten, ihr Imbiss solle zurückkommen, aber die Hippocampi jagten wie mit Wasserskiern über das Meer. Die Harpyien fielen zurück und bald war das Ufer von Camp Half-Blood nur noch ein dunkler Fleck.

Ich fragte mich, ob ich das Camp jemals wiedersehen würde. Aber in dem Moment hatte ich wirklich andere Probleme.

Das Kreuzfahrtschiff ragte vor uns auf – um uns nach Florida und zum Meer der Ungeheuer zu bringen.

Auf einem Hippocampus zu reiten war leichter als auf einem Pegasus. Wir jagten dahin, den Wind im Gesicht, wir durchpflügten die Wellen so ruhig und sicher, dass ich mich kaum festzuhalten brauchte.

Als wir uns dem Kreuzfahrtschiff näherten, wurde mir erst richtig klar, wie riesig es war. Ich hatte das Gefühl, an einem Gebäude in Manhattan hinaufzuschauen. Der weiße Rumpf war mindestens zehn Stockwerke hoch und darüber gab es noch ein Dutzend Decks mit hell erleuchteten Balkons und Laufgängen. Der Name des Schiffes stand in schwarzen Buchstaben weit oben seitlich am Bug und wurde mit Scheinwerfern angestrahlt. Ich brauchte einige Sekunden, um ihn zu entziffern:

PRINZESSIN ANDROMEDA.

Am Bug war eine gewaltige Galionsfigur angebracht … eine drei Stockwerke hohe Frau, die einen griechischen Chiton trug und vorn am Schiff angekettet zu sein schien. Sie war jung und schön und hatte wogende schwarze Haare, aber ihr Gesichtsausdruck zeigte pures Entsetzen. Warum jemand eine schreiende Prinzessin vorn an einem Traumschiff haben wollte, konnte ich mir beim besten Willen nicht erklären.