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Mir fiel die Sage ein: Andromeda war von ihren eigenen Eltern an einen Felsen gekettet worden, um einem Meeresungeheuer geopfert zu werden. Ich stellte mir vor, dass sie vielleicht ein zu mieses Zeugnis mit nach Hause gebracht hatte. Jedenfalls hatte mein Namensvetter Perseus sie noch gerade rechtzeitig retten können und mit dem Kopf der Medusa das Meeresungeheuer zu Stein erstarren lassen.

Dieser Perseus hatte immer gewonnen. Deshalb hatte meine Mom mich nach ihm benannt, auch wenn er ein Sohn des Zeus war und ich einer des Poseidon. Der erste Perseus war einer der ganz wenigen griechischen Helden gewesen, die ein Happy End erlebt hatten. Die anderen starben – verraten, verletzt, verstümmelt, vergiftet oder von den Göttern verflucht. Meine Mom hatte gehofft, ich würde das Glück des Perseus erben. Aber so, wie mein Leben bisher verlaufen war, war ich nicht gerade optimistisch.

»Wie kommen wir an Bord?«, schrie Annabeth durch das Rauschen der Wellen, aber die Hippocampi schienen Bescheid zu wissen. Sie glitten steuerbords am Schiff vorbei, pflügten problemlos durch das schäumende Kielwasser und hielten dann an einer Leiter, die am Schiffsrumpf festgenietet war.

»Du zuerst«, sagte ich zu Annabeth.

Sie warf sich den Seesack über die Schulter und griff nach der untersten Sprosse. Als sie sich auf die Leiter gezogen hatte, wieherte ihr Hippocampus zum Abschied und tauchte unter. Annabeth fing an zu klettern. Ich ließ sie einige Sprossen hochsteigen, dann folgte ich ihr.

Jetzt war nur noch Tyson im Wasser. Sein Hippocampus drehte sich um sich selbst und machte wilde Sprünge und Tyson lachte so hysterisch, dass es vom Schiffsrumpf widerhallte.

»Tyson, sei still«, sagte ich. »Komm schon, Großer!«

»Können wir Regenbogen nicht mitnehmen?«, fragte er und sein Lächeln verschwand.

Ich starrte ihn an. »Regenbogen?«

Der Hippocampus wieherte, als ob er seinen Namen erkannt hätte.

»Äh, wir müssen weiter«, sagte ich. »Regenbogen … der kommt doch keine Leitern hoch.«

Tyson schniefte. Er vergrub sein Gesicht in der Mähne des Hippocampus. »Du wirst mir fehlen, Regenbogen.«

Der Hippocampus ließ ein Geräusch hören, das bestimmt ein Weinen bedeutete, da war ich mir sicher.

»Vielleicht sehen wir ihn irgendwann einmal wieder«, sagte ich.

»Ach, bitte!«, sagte Tyson und seine Miene hellte sich sofort auf. »Morgen!«

Ich versprach nichts, aber ich konnte Tyson schließlich dazu überreden, sich zu verabschieden und die Leiter zu packen. Mit einem letzten traurigen Wiehern machte der Hippocampus Regenbogen eine Rolle rückwärts und verschwand im Wasser.

Die Leiter führte auf ein Wartungsdeck, auf dem überall gelbe Rettungsboote standen. Es gab eine verschlossene Doppeltür, die Annabeth mit ihrem Messer und allerlei altgriechischen Flüchen öffnen konnte.

Ich überlegte mir, dass wir wohl schleichen müssten, wo wir doch blinde Passagiere waren, aber nachdem wir uns ein paar Gänge angesehen und über einen Balkon in einen Mittelgang mit geschlossenen Geschäften geschaut hatten, ging mir auf, dass es hier niemanden gab, vor dem wir uns verstecken mussten. Sicher, es war mitten in der Nacht, aber wir waren über das halbe Schiff spaziert und niemand war uns begegnet. Wir kamen an vierzig oder fünfzig Kabinentüren vorbei und hörten hinter keiner auch nur einen Mucks.

»Das ist ein Gespensterschiff«, murmelte ich.

»Nein«, sagte Tyson, der am Riemen seines Seesacks herumspielte. »Riecht nicht gut.«

Annabeth runzelte die Stirn.

»Ich rieche gar nichts.«

»Zyklopen sind wie Satyrn«, sagte ich. »Sie können Ungeheuer riechen. Stimmt’s, Tyson?«

Er nickte nervös. Jetzt, wo wir uns nicht mehr im Camp Half-Blood aufhielten, hatte der Nebel sein Gesicht wieder verzerrt. Wenn ich mich nicht ganz gewaltig konzentrierte, dann glaubte ich, dort zwei Augen zu sehen und nicht nur eines.

»Na gut«, sagte Annabeth. »Aber was genau riechst du denn hier?«

»Etwas Böses.«

»Klasse«, knurrte Annabeth. »Dann wissen wir ja genau Bescheid.«

Wir erreichten das Deck mit den Swimming-Pools. Es gab zwei Reihen von leeren Liegestühlen und eine Bar, die mit einem Kettenvorhang verschlossen war. Die Schwimmbecken leuchteten drohend und das Wasser schwappte mit den Bewegungen des Schiffes hin und her.

Über uns befanden sich vorn und achtern weitere Ebenen – eine Kletterwand, eine Minigolffläche, ein sich drehendes Restaurant. Aber nirgendwo ein Lebenszeichen.

Und doch … ich spürte etwas, das mir vertraut vorkam. Etwas Gefährliches. Ich hatte das Gefühl, wenn ich nach dieser langen Nacht nicht so müde und ausgebrannt gewesen wäre, dann hätte ich gewusst, was hier nicht stimmte.

»Wir brauchen ein Versteck«, sagte ich. »Ein Plätzchen, wo wir schlafen können.«

»Schlafen«, stimmte Annabeth erschöpft zu.

Wir erforschten noch ein paar Gänge, bis wir auf Ebene 9 eine leere Suite fanden. Die Tür war offen, was mir seltsam erschien. Auf dem Tisch stand ein Korb mit Pralinen, auf dem Nachttisch eine eisgekühlte Flasche mit sprudelndem Cider und auf dem Kissen lag ein Pfefferminzbonbon mit einem handschriftlichen Zettel, der »eine schöne Kreuzfahrt« wünschte.

Wir öffneten zum ersten Mal die Seesäcke und stellten fest, dass Hermes wirklich an alles gedacht hatte – Ersatzkleidung, Toilettenartikel, Proviant, eine kleine Tasche mit Reißverschluss, die mit Geld gefüllt war, einen Lederbeutel voller goldener Drachmen. Hermes hatte sogar Tysons Ölplane mit Werkzeug und Metallstücken und Annabeths Tarnkappe eingepackt, was beide gleich in viel bessere Stimmung versetzte.

»Ich bin nebenan«, sagte Annabeth. »Und, Jungs, nichts trinken oder essen, ja?«

»Glaubst du, die Suite ist verzaubert?«

Sie runzelte die Stirn. »Ich weiß nicht. Aber irgendwas stimmt hier nicht. Seid einfach … vorsichtig.«

Wir schlossen unsere Türen ab.

Tyson ließ sich auf das Sofa fallen. Er beschäftigte sich ein paar Minuten lang mit seinem Metallprojekt – das er mir noch immer nicht zeigen wollte –, aber sehr bald gähnte er. Er rollte seine Ölplane zusammen und schlief ein.

Ich legte mich aufs Bett und starrte aus dem Bullauge. Ich glaubte, auf dem Gang Stimmen zu hören … Geflüster. Ich wusste, dass das nicht sein konnte. Wir waren auf dem ganzen Schiff herumgelaufen und hatten niemanden gesehen. Aber die Stimmen hielten mich wach. Sie erinnerten mich an meinen Ausflug in die Unterwelt – so hatten die Stimmen der Toten sich angehört, als sie vorübergeschwebt waren.

Endlich siegte meine Erschöpfung. Ich schlief ein … und hatte den schlimmsten Traum, den man sich denken kann.

Ich stand in einer Höhle am Rand einer riesigen Grube. Ich wusste nur zu genau, wo ich war: am Eingang zum Tartarus. Und ich kannte das kalte Lachen, das aus der Tiefe heraufhallte.

Na, wenn das nicht der junge Held ist! Die Stimme war wie eine Messerspitze, die über Stein kratzt. Auf dem Weg zu einem weiteren großen Sieg.

Ich wollte Kronos anschreien, er solle mich in Ruhe lassen. Ich wollte Springflut ziehen und ihn niedermachen. Aber ich konnte mich nicht bewegen. Und selbst wenn, wie sollte ich etwas umbringen, das bereits zerstört worden war – in Stücke gehackt und in die ewige Finsternis geworfen?

Lass dich davon nicht abhalten, sagte der Titan. Vielleicht wirst du diesmal, nachdem du versagt hast, überlegen, ob es sich wirklich lohnt, für die Götter Sklavenarbeit zu verrichten. Und wie hat dir eigentlich dein Vater in letzter Zeit seine Zuneigung bewiesen?

Sein Gelächter erfüllte die Höhle und plötzlich änderte sich der Schauplatz.

Es war eine andere Höhle – die Schlafkammer in der Zyklopenhöhle, in der Grover eingesperrt war.

Grover saß in seinem verdreckten Hochzeitskleid am Webstuhl und zog wütend die Fäden der unvollendeten Schleppe wieder auf.