Выбрать главу

»Zu Mittag«, knurrte Agrios. Seine raue Stimme war die, die ich vorhin mit Luke sprechen gehört hatte.

»Haha! Haha!« Sein Bruder Oreios lachte und leckte sich seine bepelzten Lippen. Sein Lachen klang wie ein Asthma-Anfall und er lachte weiter, bis Agrios und Luke ihn beide anstarrten.

»Hör auf, du Idiot!«, knurrte Agrios. »Geh dich bestrafen!«

Oreios wimmerte. Er trottete in die Zimmerecke, ließ sich auf einen Hocker fallen, schlug mit der Stirn auf den Esstisch und brachte dabei die Silberplatte zum Klappern.

Luke schien das ganz normal zu finden. Er machte es sich auf dem Sofa gemütlich und legte die Füße auf den Couchtisch. »Na, Percy, wir haben dich noch ein Jahr überleben lassen. Ich hoffe, du weißt das zu schätzen. Wie geht’s deiner Mom? Und was macht die Schule?«

»Du hast Thalias Baum vergiftet!«

Luke seufzte. »Immer gleich zur Sache, was? Ja, gut, ich hab den Baum vergiftet. Na und?«

»Wie konntest du?« Annabeth hörte sich so wütend an, dass ich schon mit einer Explosion rechnete. »Thalia hat dir das Leben gerettet. Sie hat uns das Leben gerettet! Wie konntest du sie so entehren …«

»Ich hab sie nicht entehrt«, fauchte Luke. »Die Götter haben sie entehrt, Annabeth. Wenn Thalia noch am Leben wäre, dann würde sie auf meiner Seite stehen!«

»Lügner!«

»Wenn du wüsstest, was uns bevorsteht, dann würdest du verstehen …«

»Ich weiß, dass du das Camp zerstören willst«, schrie sie. »Du bist ein Ungeheuer!«

Luke schüttelte den Kopf. »Die Götter haben dich mit Blindheit geschlagen. Kannst du dir eine Welt ohne sie nicht vorstellen, Annabeth? Was nützt denn diese alte Geschichte, die du studierst? Dreitausend Jahre Schurkerei! Das Abendland ist bis ins Mark verrottet. Es muss vernichtet werden. Komm zu uns! Wir können die Welt neu erschaffen. Und wir könnten deine Intelligenz brauchen, Annabeth.«

»Weil ihr selber keine habt!«

Er kniff die Augen zusammen. »Ich kenne dich, Annabeth. Du hast etwas Besseres verdient, als den hoffnungslosen Versuch zu unternehmen, das Camp zu retten. Half-Blood Hill wird noch in diesem Monat von Ungeheuern überrannt werden. Die Halbblute, die das überleben, werden keine andere Wahl haben, als sich uns anzuschließen oder unterzugehen. Willst du wirklich zum Verliererteam gehören … in solcher Gesellschaft?«

Luke zeigte auf Tyson.

»He!«, sagte ich.

»Mit einem Zyklopen auf Reisen«, spottete Luke. »Aber ich soll die Erinnerung an Thalia entehrt haben. Ich staune über dich, Annabeth. Ausgerechnet du …«

»Hör auf!«, schrie sie.

Ich wusste nicht, worüber er da redete, aber Annabeth schlug die Hände vors Gesicht und schien mit den Tränen zu kämpfen.

»Lass sie in Ruhe«, sagte ich. »Und zieh Tyson hier nicht rein!«

Luke lachte. »Ja, klar, hab schon gehört, dein Vater hat sich zu ihm bekannt.«

Offenbar war mir meine Überraschung anzusehen, denn Luke lächelte. »Ja, Percy, das weiß ich alles. Und ich kenne auch deinen Plan, das Vlies zu finden. Wie waren die Koordinaten noch … 30, 31, 75, 12? Weißt du, ich hab immer noch Freunde im Camp, die mich auf dem Laufenden halten.«

»Spione, meinst du.«

Er zuckte mit den Schultern. »Wie viele Beleidigungen von deinem Vater kannst du eigentlich einstecken, Percy? Glaubst du, er ist dir dankbar? Glaubst du, Poseidon interessiert sich für dich mehr als für diese Missgeburt da?«

Tyson ballte die Fäuste und ein Knurren kam ganz tief aus seiner Kehle.

Luke schmunzelte nur. »Die Götter nutzen dich dermaßen aus, Percy. Hast du überhaupt irgendeine Vorstellung davon, was dir bevorsteht, falls du deinen sechzehnten Geburtstag erreichst? Hat Chiron dir auch nur ein Wort über die Weissagung erzählt?«

Ich hätte Luke gern eine gescheuert und ihm geraten, die Klappe zu halten, aber wie immer war es ihm gelungen, mich aus dem Gleichgewicht zu bringen.

Sechzehnter Geburtstag?

Klar, ich wusste, dass das Orakel Chiron viele Jahre zuvor eine Weissagung gemacht hatte. Ich wusste, dass es dabei teilweise um mich ging. Aber … falls ich meinen sechzehnten Geburtstag erreichte? Das klang gar nicht gut.

»Ich weiß, was ich wissen muss«, brachte ich heraus. »Wer meine Feinde sind, zum Beispiel.«

»Dann bist du ein Idiot.«

Tyson zerschlug den nächstbesten Stuhl zu Splittern. »Percy ist kein Idiot!«

Ehe ich ihn daran hindern konnte, griff er Luke an. Seine Fäuste landeten auf Lukes Kopf – ein doppelter Superschlag, der sogar in Titan ein Loch hätte hauen können –, aber nun schalteten sich die Bärenzwillinge ein. Jeder schnappte sich einen von Tysons Armen und so hielten sie ihn fest. Sie stießen ihn zurück und Tyson stolperte. Er knallte so hart auf den Boden, dass das Deck bebte.

»Pech gehabt, Zyklop«, sagte Luke. »Offenbar sind meine Grizzlyfreunde gemeinsam deiner Kraft mehr als gewachsen. Vielleicht sollte ich sie …«

»Luke«, schaltete ich mich ein. »Hör zu. Dein Vater hat uns geschickt.«

Sein Gesicht lief tiefrot an. »Erwähn – den – bloß – nicht!«

»Er hat uns auf dieses Schiff geschickt. Ich dachte, das täte er nur, damit wir weiterkommen, aber jetzt weiß ich, dass wir dich suchen sollten. Er hat gesagt, dass er dich nicht aufgeben wird, egal, wie wütend du bist.«

»Wütend?«, brüllte Luke. »Mich aufgeben? Er hat mich im Stich gelassen, Percy. Ich will den Olymp in Schutt und Asche sehen. Und jeden Thron zu Staub zerfallen! Du kannst Hermes sagen, dass genau das passieren wird. Mit jedem Halbblut, das sich uns anschließt, werden die Olympier schwächer und wir stärker. Er wird stärker.«

Luke zeigte auf den goldenen Sarkophag.

Dessen Anblick machte mich fertig, aber ich war entschlossen, das nicht zu zeigen.

»Ach?«, fragte ich. »Was ist denn so besonders …«

Dann wurde mir klar, was sich in dem Sarkophag befand. Sofort schien es im Raum zwanzig Grad kälter zu werden. »Meine Güte, du willst doch wohl nicht sagen …«

»Er entsteht von neuem«, sagte Luke. »Schritt für Schritt rufen wir seine Lebenskraft aus der Tiefe herauf. Und immer, wenn sich uns jemand anschließt, erscheint noch ein kleines Stück …«

»Das ist widerlich!«, sagte Annabeth.

Luke grinste höhnisch. »Deine Mutter ist Zeus’ gespaltenem Schädel entsprungen, Annabeth. Ich an deiner Stelle würde also den Mund halten. Bald wird genug vom Titanenherrn vorhanden sein, dass wir ihn wieder herstellen können. Wir werden einen neuen Körper für ihn zusammensetzen, ein Werk, das der Esse des Hephaistos würdig ist.«

»Du bist verrückt«, sagte Annabeth.

»Schließ dich uns an und du wirst belohnt werden. Wir haben mächtige Freunde – Förderer, die reich genug sind, um dieses Kreuzfahrtschiff und noch sehr viel mehr zu kaufen. Percy, deine Mutter wird nie mehr arbeiten müssen. Du kannst ihr eine Villa kaufen. Du kannst Macht, Ruhm haben – was immer du willst. Annabeth, du kannst deinen Traum wahr machen und Architektin werden. Du kannst ein Denkmal bauen, das tausend Jahre überlebt. Einen Tempel für die Herren des nächsten Zeitalters!«

»Scher dich in den Tartarus«, sagte sie.

Luke seufzte. »Eine Schande.«

Er griff nach etwas, das aussah wie eine Fernbedienung für einen Fernseher, und drückte auf einen roten Knopf. In Sekundenschnelle wurde die Tür zur Suite aufgerissen. Zwei uniformierte Mitglieder der Besatzung kamen herein; sie waren mit Schlagstöcken bewaffnet. Sie hatten den gleichen glasigen Blick wie die anderen Sterblichen, die ich gesehen hatte, aber ich hatte nicht den Eindruck, dass sie deshalb im Kampf weniger gefährlich sein würden.

»Ach, sehr gut, die Sicherheitsleute«, sagte Luke. »Ich fürchte, wir haben blinde Passagiere gefunden.«

»Ja, Sir«, sagten die Uniformierten verträumt.

Luke wandte sich an Oreios. »Wird Zeit, den äthiopischen Drachen zu füttern. Bring diese Trottel nach unten und zeig ihnen, wie das geht.«