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»Ja«, sagte Polyphem stolz. »Siehst du dahinten? Vlies ist Schmuckstück meiner Sammlung. Hab’s vor ewigen Zeiten von Helden gestohlen und seither – Essen umsonst. Satyrn kommen aus aller Welt her, wie Motten zum Licht. Satyrn schmecken lecker. Und jetzt …«

Polyphem hob ziemlich übel aussehende Bronzespeere auf.

Grover fiepte, aber Polyphem schnappte sich einfach das nächstbeste Schaf wie ein Spielzeugtier und schor ihm die Wolle ab. Er reichte Grover eine flauschige Hand voll.

»Nimm das zum Spinnen«, sagte er stolz. »Magisch. Kann nicht aufgeribbelt werden.«

»Oh … gut …«

»Armes Schnuckelchen!« Polyphem grinste. »Miese Weberin. Ha, ha. Keine Sorge. Dieser Faden wird Problem lösen. Schleppe morgen fertig.«

»Das ist aber … umsichtig von dir.«

»Hö, hö.«

»Aber – aber Lieber«, würgte Grover hervor. »Wenn jetzt irgendwer die Insel retten – ich meine, angreifen will?« Grover sah mir ins Gesicht und ich wusste, dass er diese Frage meinetwegen stellte. »Was könnte sie daran hindern, einfach zu deiner Höhle hochzumarschieren?«

»Frauchen hat Angst! Ach, wie niedlich. Keine Sorge. Polyphem hat perfektes Sicherheitssystem. Müssen durch meine Tierchen durch.«

»Tierchen?«

Grover schaute sich auf der Insel um, aber dort waren nur Schafe zu sehen, die friedlich auf den Wiesen grasten.

»Und dann«, knurrte Polyphem, »auch noch durch mich!«

Er donnerte mit der Faust gegen den nächstbesten Felsen, der Risse bekam und in zwei Hälften auseinanderbrach. »Und jetzt los!«, brüllte er. »Zurück in die Höhle.«

Grover schien mit den Tränen zu kämpfen – die Freiheit war so nah und doch so hoffnungslos weit entfernt. Die Tränen traten ihm in die Augen, als die Quadertür zuschlug und ihn abermals in der stinkenden, düsteren Höhle des Zyklopen einsperrte, wo nur einige Fackeln brannten.

Ich wurde davon geweckt, dass auf dem ganzen Schiff die Alarmglocken schrillten.

Die raue Stimme des Käpt’ns brüllte: »Alle Mann an Deck! Holt Lady Clarisse! Wo steckt das Mädel?«

Sein geisterhaftes Gesicht tauchte über mir auf. »Aufstehen, Yankee. Deine Freunde sind schon oben. Wir nähern uns dem Eingang.«

»Dem Eingang wozu?«

Er lächelte ein Totenschädellächeln. »Zum Meer der Ungeheuer natürlich.«

Ich stopfte meine wenigen Habseligkeiten, die die Hydra überlebt hatten, in einen Seesack und warf ihn mir über die Schulter. Ich hatte den heimlichen Verdacht, dass ich nicht noch eine Nacht auf der C.S.S. Birmingham verbringen würde, was immer nun passieren mochte.

Ich war gerade auf dem Weg nach oben, da erstarrte ich. Ich spürte etwas in der Nähe – es war vertraut und unangenehm. Irgendwie, ohne einen besonderen Grund, hatte ich Lust, Streit vom Zaun zu brechen. Ich hätte gern irgendeinem toten Südstaatler eine gescheuert. Als ich zuletzt diese Art von Zorn verspürt hatte …

Statt weiter nach oben zu steigen, kroch ich an den Rand des Ventilationsgitters und schaute in den Maschinenraum hinunter.

Direkt unter mir stand Clarisse und sprach mit einem Bild, das im Dampf der Kessel schimmerte – einem muskulösen Mann in schwarzer Motorradkluft mit militärisch kurzen Haaren, rot getönter Sonnenbrille und einem an seinen Gürtel geschnallten Messer.

Ich ballte unwillkürlich die Fäuste. Das war der Olympier, den ich am wenigsten leiden konnte: Ares, der Gott des Krieges.

»Ich will hier keine Entschuldigungen hören, Kleine«, knurrte er.

»J-ja, Vater«, murmelte Clarisse.

»Du willst mich doch nicht böse erleben, oder?«

»Nein, Vater.«

»Nein, Vater«, äffte Ares sie nach. »Was bist du für ein Jammerlappen. Ich hätte diesen Auftrag einem meiner Söhne übertragen sollen.«

»Ich werde es schaffen!«, versprach Clarisse mit zitternder Stimme. »Du wirst stolz auf mich sein!«

»Das möchte ich dir auch geraten haben«, sagte er. »Du hast mich um diesen Auftrag gebeten, Mädchen. Wenn du ihn dir von diesem kleinen Schleimer Jackson klauen lässt …«

»Aber das Orakel hat gesagt …«

»MIR EGAL, WAS ES GESAGT HAT!« Das brüllte Ares dermaßen wütend, dass sein Bild Funken sprühte. »Du wirst es schaffen. Und wenn nicht …«

Er hob die Faust. Obwohl er nur ein Bild im Dampf war, zuckte Clarisse zusammen.

»Haben wir uns verstanden?«, knurrte Ares.

Wieder schrillten die Alarmglocken. Ich hörte Stimmen näher kommen, die Offiziere riefen die Schützen an die Kanonen.

Ich kroch vom Ventilationsgitter zurück und lief nach oben zu Annabeth und Tyson auf das Spardeck.

»Was ist los?«, fragte Annabeth. »Noch ein Traum?«

Ich nickte, sagte aber nichts. Ich wusste nicht, was ich von dem halten sollte, was ich da unten gesehen hatte. Es machte mir fast so zu schaffen wie mein Traum von Grover.

Clarisse kam gleich hinter mir die Treppe hoch. Ich versuchte, sie nicht anzusehen.

Sie entriss einem Zombie-Offizier ein Fernglas und schaute zum Horizont. »Endlich. Käpt’n, volle Kraft voraus.«

Ich sah in dieselbe Richtung, konnte aber nicht viel erkennen. Der Himmel war bedeckt. Die Luft war dunstig und feucht, wie Bügeleisendampf. Wenn ich die Augen ganz fest zusammenkniff, dann konnte ich mit Mühe in der Ferne ein paar dunkle Kleckse ahnen.

Mein Seefahrtsinstinkt sagte mir, dass wir uns irgendwo vor der Nordküste von Florida befanden, also hatten wir über Nacht eine weite Strecke zurückgelegt – weiter, als irgendein sterbliches Schiff es geschafft hätte.

Die Maschinen stöhnten, als wir unser Tempo steigerten.

Tyson murmelte nervös: »Zu viel Druck auf den Kolben. Sind nicht für tiefes Wasser gedacht.«

Ich hatte keine Ahnung, woher er das wusste, aber jetzt wurde auch ich nervös.

Nach einigen weiteren Minuten sah ich die dunklen Kleckse vor uns deutlicher. Im Norden erhob sich eine gewaltige Masse aus dem Meer – eine Insel mit mindestens dreißig Meter hohen Felsen. Ungefähr eine halbe Meile weiter südlich erwies der nächste Klecks sich als heraufziehender Sturm. Himmel und Meer brauten sich zu einem brüllenden Chaos zusammen.

»Hurrikan?«, fragte Annabeth.

»Nein«, sagte Clarisse. »Charybdis.«

Annabeth erbleichte. »Spinnst du?«

»Das ist der einzige Weg ins Meer der Ungeheuer. Genau zwischen Charybdis und ihrer Schwester, der Skylla.« Clarisse zeigte auf die Felsen und ich hatte das Gefühl, dass dort oben etwas hauste, dem ich lieber nicht begegnen wollte. Ich zerbrach mir den Kopf und versuchte mich an die Sage zu erinnern.

»Wie meinst du das, der einzige Weg?«, fragte ich. »Es ist doch überall offenes Meer. Fahr einfach außen rum!«

Clarisse verdrehte die Augen. »Hast du denn überhaupt keine Ahnung? Wenn ich sie zu umgehen versuche, werden sie einfach wieder vor mir auftauchen. Wenn du ins Meer der Ungeheuer willst, musst du zwischen ihnen durch.«

»Was ist mit den Blauen Felsen?«, fragte Annabeth. »Das ist noch ein Eingang. Den hat Jason genommen.«

»Ich kann mit meinen Kanonen keine Felsen zerschießen«, sagte Clarisse. »Ungeheuer dagegen …«

»Du bist wirklich verrückt«, entschied Annabeth.

»Du wirst ja sehen, Neunmalklug.« Clarisse wandte sich wieder an den Käpt’n. »Halt auf Charybdis zu.«

»Aye, M’lady.«

Die Maschinen ächzten, die Eisenplatten klapperten und das Schiff wurde schneller.

»Clarisse«, sagte ich. »Charybdis saugt das Meer auf, stimmt das nicht?«

»Und spuckt es wieder aus, ja.«

»Was ist mit Skylla?«

»Die lebt in einer Höhle, oben in den Felsen. Wenn wir ihr zu nahe kommen, dann fängt sie an, Seeleute vom Schiff zu pflücken.«

»Dann nimm Skylla«, sagte ich. »Alles geht unter Deck und wir tuckern einfach an ihr vorbei.«

»Nein!«, erklärte Clarisse. »Wenn Skylla nicht sofort Fleisch findet, dann schnappt sie sich das ganze Schiff. Und sie sitzt zu hoch oben, um eine gute Schießscheibe abzugeben. Meine Kanonen können nicht steil nach oben feuern. Charybdis sitzt einfach mitten in ihrem Wirbelwind. Wir werden auf sie zudampfen, unsere Kanonen auf sie richten und sie in den Tartarus schießen.«