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Tyson machte ein skeptisches Gesicht, aber dann pfiff er. »Kommt, Schäfchen. Äh, hier gibt’s Leutefutter.«

Er lief über die Wiese und die Schafe hinterher.

»Wickel dich in das Vlies«, sagte ich zu Annabeth. »Für den Fall, dass du noch nicht ganz wiederhergestellt bist. Kannst du stehen?«

Sie versuchte es, aber ihr Gesicht wurde wieder blass. »Oh. Bin wohl noch nicht ganz fit.«

Clarisse ließ sich neben sie fallen und betastete ihren Brustkorb. Annabeth keuchte.

»Rippen gebrochen«, stellte Clarisse fest. »Die heilen schon wieder, aber sie sind einwandfrei gebrochen.«

»Woher weißt du das?«, fragte ich.

Clarisse sah mich wütend an. »Weil mir das schon häufiger passiert ist, du Idiot. Ich werde sie tragen müssen.«

Ehe ich widersprechen konnte, hob Clarisse Annabeth auf wie einen Sack voll Mehl und schleppte sie zum Strand hinunter. Grover und ich folgten ihr.

Als wir das Wasser erreicht hatten, konzentrierte ich mich auf die Königin Annes Rache. Ich befahl ihr, den Anker zu lichten und zu mir zu kommen. Nach einigen angsterfüllten Minuten sah ich das Schiff die Landzunge umrunden.

»Komme!«, schrie Tyson. Er rannte den Pfad herab. Die Schafe waren an die fünfzig Meter hinter ihm und blökten frustriert, weil ihr lieber Zyklop wegrannte, ohne sie gefüttert zu haben.

»Ins Wasser werden sie uns wohl nicht folgen«, sagte ich zu den anderen. »Wir müssen nur noch zum Schiff schwimmen.«

»Mit Annabeth, in diesem Zustand?«, widersprach Clarisse.

»Wir können es schaffen«, erklärte ich. Langsam fühlte ich mich wieder zuversichtlich. Ich war jetzt schließlich in meinem Element – dem Meer. »Wenn wir erst auf dem Schiff sind, kann uns nichts mehr passieren.«

Und fast hätten wir es wirklich geschafft.

Wir wateten gerade am Eingang zur Schlucht vorbei, als wir ein gewaltiges Gebrüll hörten und Polyphem sahen. Zerkratzt und blutend, aber noch überaus lebendig, kam er in seinem zerfetzten babyblauen Hochzeitsstaat mit einem Steinquader in jeder Hand auf uns zugespritzt.

Ich gehe mit dem Schiff unter

»Man sollte doch meinen, dem wären die Steine ausgegangen«, murmelte ich.

»Los, schwimmen!«, sagte Grover.

Er und Clarisse ließen sich in die Brandung fallen. Annabeth klammerte sich an Clarisse’ Hals und versuchte, mit einer Hand zu paddeln, aber das nasse Vlies zog sie hinunter.

Die Aufmerksamkeit des Ungeheuers allerdings galt nicht dem Vlies.

»Du, junger Zyklop«, brüllte er. »Verräter deiner Art!«

Tyson erstarrte.

»Hör nicht auf ihn«, flehte ich ihn an. »Komm weiter.«

Ich zog Tyson am Arm, aber ich hätte auch versuchen können, an einem Berg zu ziehen. Er drehte sich um und schaute dem älteren Zyklopen ins Gesicht. »Ich bin kein Verräter.«

»Dienst Sterblichen«, brüllte Polyphem. »Diebischen Menschen!«

Polyphem warf den ersten Quader. Tyson wischte ihn mit der Faust beiseite.

»Kein Verräter«, sagte Tyson. »Du bist nicht meine Art.«

»Tod oder Sieg!« Polyphem lief in die Brandung, aber sein Fuß war verwundet. Er stolperte und fiel der Länge nach ins Wasser. Das wäre witzig gewesen, nur rappelte er sich wieder auf, spuckte Wasser und knurrte.

»Percy«, schrie Clarisse. »Komm schon!«

Sie hatten das Schiff fast erreicht und das Vlies immer noch bei sich. Wenn ich das Ungeheuer noch ein wenig länger ablenken könnte …

»Geh schon«, sagte Tyson. »Ich halt den großen Hässlichen auf.«

»Nein. Der bringt dich um!« Ich hatte Tyson schon einmal verloren und wollte das nicht noch mal erleben. »Wir kämpfen gemeinsam gegen ihn.«

»Gemeinsam«, sagte Tyson zustimmend.

Ich zog mein Schwert.

Polyphem kam jetzt vorsichtiger näher, er hinkte noch schlimmer, aber sein Wurfarm war in bester Verfassung. Er schleuderte den zweiten Quader. Ich ließ mich zur Seite fallen, aber ich wäre zermatscht worden, wenn Tysons Faust den Felsen nicht zu Schotter zerbröselt hätte.

Ich befahl der See, sich zu erheben. Eine sieben Meter hohe Welle türmte sich auf und hob mich hoch. Ich wurde auf den Zyklopen zugetragen und trat ihm ins Auge. Dann sprang ich über seinen Kopf hinweg, als das Wasser ihn auf den Strand warf.

»Mach dich kaputt«, schrie Polyphem und spuckte Wasser. »Vliesdieb!«

»Du hast das Vlies gestohlen«, brüllte ich. »Und damit Satyrn in den Tod gelockt!«

»Na und? Satyrn schmecken lecker!«

»Das Vlies soll zum Heilen benutzt werden! Es gehört den Kindern der Gottheiten!«

»Bin ein Kind der Gottheiten!« Polyphem schlug nach mir, aber ich sprang zur Seite. »Vater Poseidon, verfluche Dieb!«

Er kniff jetzt sein Auge ganz fest zu, als ob er nur mit großer Mühe sehen könnte. Mir wurde klar, dass er sich am Klang meiner Stimme orientierte.

»Poseidon wird mich nicht verfluchen«, sagte ich und wich zurück, so dass der Zyklop in die Luft griff. »Ich bin auch sein Sohn. Er wird keinen vorziehen.«

Polyphem brüllte. Er riss einen Olivenbaum vom Felsen und zerschmetterte ihn genau dort, wo ich eben noch gestanden hatte. »Menschen nicht dasselbe. Sind gemein und tückisch und lügen!«

Grover half Annabeth gerade auf das Schiff. Clarisse winkte mir hektisch zu und schrie, ich sollte kommen.

Tyson schlich um Polyphem herum und versuchte, hinter ihn zu gelangen.

»Junger Kerl«, rief der ältere Zyklop. »Wo bist du? Hilf mir!«

Tyson blieb stehen.

»Nicht richtig erzogen!«, heulte Polyphem und schwenkte seine Olivenbaumkeule. »Armes Waisenkind. Hilf mir!«

Niemand bewegte sich. Es war nichts zu hören, außer dem Ozean und meinem Herzschlag. Dann trat Tyson vor und hob bittend die Hände. »Nicht kämpfen, Zyklopenbruder. Leg den …«

Polyphem fuhr zu der Stimme herum.

»Tyson!«, rief ich.

Der Baum traf ihn mit solcher Wucht, dass er mich zu einer Pizza mit extra viel Oliven platt gewalzt hätte. Tyson flog rückwärts und pflügte einen Schützengraben in den Sand. Polyphem rannte hinter ihm her, aber ich schrie »Nein!« und holte mit Springflut so weit aus, wie ich nur konnte. Ich hoffte, ich könnte Polyphem von hinten in den Oberschenkel stechen, aber ich traf ihn noch ein wenig höher.

»Bääh«, schrie Polyphem wie seine Schafe und schlug mit dem Baum nach mir.

Ich ließ mich fallen, aber trotzdem harkte ein Dutzend spitzer Zweige über meinen Rücken.

Ich blutete, ich war verletzt und erschöpft. Das Meerschweinchen in mir wollte die Flucht ergreifen. Aber ich schluckte meine Angst hinunter.

Wieder schwenkte Polyphem den Baum, aber diesmal war ich darauf vorbereitet. Ich packte einen Zweig, achtete nicht darauf, wie weh meine Hände taten, als ich gen Himmel gehoben wurde, und ließ mich von dem Zyklopen durch die Luft schwenken. Auf dem Scheitelpunkt des Bogens ließ ich los, fiel in das Gesicht des Riesen – und landete mit beiden Füßen auf seinem ohnehin schon lädierten Auge.

Polyphem jaulte vor Schmerz. Tyson griff ihn an und zog ihn zu Boden. Ich sprang neben die beiden, mit dem Schwert in der Hand, das Herz des Ungeheuers in Hiebweite. Aber ich fing Tysons Blick auf und wusste, dass ich das nicht tun durfte. Es wäre einfach nicht richtig gewesen.

»Lass ihn los«, sagte ich zu Tyson. »Und lauf.«

Mit einer letzten gewaltigen Anstrengung schob Tyson den fluchenden Zyklopen weg und rannte auf die Brandung zu.

»Ich werde dich zerschmettern!«, schrie Polyphem und krümmte sich vor Schmerz. Er hielt sich die riesigen Pranken vor das Auge.

Tyson und ich ließen uns in die Wellen fallen.

»Wo seid ihr?«, schrie Polyphem. Er hob die Baumkeule auf und warf sie ins Wasser. Sie landete neben uns.

Ich rief eine Strömung, die uns tragen sollte, und wir wurden schneller. Ich glaubte schon fast, dass wir das Schiff erreichen könnten, als Clarisse vom Deck her schrie: »Ja, Jackson! Reingefallen, Zyklop!«

Halt die Klappe, hätte ich gern gerufen.