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»Uarrr!« Polyphem schnappte sich einen Quader. Er warf ihn in Richtung von Clarisse’ Stimme, aber der Felsbrocken fiel vorher ins Wasser und verfehlte Tyson und mich um Haaresbreite.

»Ja, ja«, höhnte Clarisse. »Du wirfst wie ein Waschlappen. Und so einer wollte mich heiraten, du Idiot!«

»Clarisse«, rief ich; ich konnte es einfach nicht mehr ertragen. »Halt die Klappe!«

Zu spät. Polyphem warf noch einen Quader und ich musste hilflos zusehen, wie er über meinen Kopf segelte und ein Loch in den Rumpf der Königin Annes Rache schlug.

Ihr könnt euch kaum vorstellen, wie rasch ein Schiff sinken kann. Die Königin Annes Rache ächzte und knackte und senkte den Bug, als wollte sie eine Rutschbahn hinuntergleiten.

Ich fluchte und befahl der See, uns schneller vorwärtszubringen, aber schon versanken die Schiffsmasten. Grover konnte nicht schwimmen und Annabeth konnte es in ihrem Zustand nicht einmal versuchen.

»Tauchen«, sagte ich zu Tyson. Und als ein weiterer Quader über uns hinwegsegelte, verschwanden wir unter Wasser.

Die anderen gingen rasch unter, während sie vergeblich versuchten, im aufgewühlten Kielwasser des sinkenden Schiffs zu schwimmen.

Nicht alle wissen, dass ein sinkendes Schiff wie ein Strudel funktioniert und alles in seiner Nähe mitreißt. Clarisse war eine gute Schwimmerin, aber nicht einmal sie kam voran. Grover trat verzweifelt mit den Hufen um sich. Annabeth klammerte sich an das Vlies, das im Wasser leuchtete wie eine Welle aus frisch geschlagenen Münzen.

Ich tauchte zum Wrack hinunter, aber ich wusste, dass ich nicht die Kraft haben würde, die anderen herauszuziehen. Und schlimmer noch, überall wirbelten Holzstücke herum. All meine Macht im Wasser würde mir nicht helfen, wenn ich von einem Balken am Kopf getroffen würde.

Wir brauchen Hilfe, dachte ich.

Ja. Das war Tysons Stimme, laut und klar in meinem Kopf.

Ich schaute verwirrt zu ihm hinüber. Ich hatte schon erlebt, dass Nereiden und andere Wassergeister unter Wasser so zu mir gesprochen hatten, aber ich wäre nie auf die Idee gekommen … Tyson war ein Sohn des Poseidon. Wir konnten uns verständigen.

Regenbogen, sagte Tyson.

Ich nickte, dann schloss ich die Augen und konzentrierte mich, und Tyson und ich riefen in Gedanken gemeinsam: Regenbogen! Wir brauchen dich!

Sofort sahen wir unten in der Dunkelheit schimmernde Umrisse auf uns zukommen – drei Pferde mit Fischschwänzen, die schneller als Delfine nach oben jagten. Regenbogen und seine Freunde schauten in unsere Richtung und schienen unsere Gedanken zu lesen. Sie stürzten sich zwischen die Wrackteile und gleich darauf tauchten sie in einer Wolke aus Blasen wieder auf – und Grover, Annabeth und Clarisse umklammerten jeweils den Hals eines Hippocampus.

Regenbogen, der größte, trug Clarisse. Er kam auf uns zugejagt und ließ Tyson seine Mähne packen. Sein Freund, der Annabeth trug, kam zu mir.

Wir brachen an die Wasseroberfläche und entfernten uns in Windeseile von Polyphems Insel. Hinter uns konnte ich den Zyklopen triumphierend brüllen hören: »Ich hab’s geschafft. Endlich hab ich Niemand doch versenkt!«

Ich hoffte, dass er niemals erfahren würde, wie sehr er sich da irrte.

Wir schossen über das Meer und die Insel schrumpfte hinter uns zu einem Punkt zusammen und war dann verschwunden.

»Geschafft«, murmelte Annabeth erschöpft. »Wir …«

Sie ließ sich an den Hals des Hippocampus sinken und war sofort eingeschlafen.

Ich wusste nicht, wie weit die Hippocampi uns bringen konnten. Ich wusste nicht, wohin wir unterwegs waren. Ich rückte Annabeth einfach zurecht, damit sie nicht herunterrutschte, wickelte sie in das Goldene Vlies, für das wir so viel durchgemacht hatten, und sprach ein stummes Dankgebet.

Wobei mir einfiel … ich war den Gottheiten noch etwas schuldig.

»Du bist ein Genie«, sagte ich leise zu Annabeth.

Dann schmiegte ich meinen Kopf an das Vlies, und ehe ich mich’s versah, war auch ich eingeschlafen.

Überraschung am Strand von Miami

»Percy, aufwachen!«

Salzwasser spritzte in mein Gesicht. Annabeth rüttelte an meiner Schulter.

In der Ferne ging hinter der Skyline einer Stadt die Sonne unter. Ich sah eine Schnellstraße, die an einem Strand vorbeiführte, Palmen, Läden mit rot und grün leuchtenden Reklameschildern, einen Hafen voller Segelboote und Kreuzfahrtschiffe.

»Miami, glaube ich«, sagte Annabeth. »Aber die Hippocampi verhalten sich seltsam.«

Und wirklich waren unsere fischigen Freunde langsamer geworden und wieherten, schwammen im Kreis und beschnüffelten das Wasser. Sie sahen nicht gerade glücklich aus. Einer nieste. Ich konnte ihre Gedanken erraten.

»Weiter können sie uns nicht bringen«, sagte ich. »Zu viele Menschen. Zu viel Verschmutzung. Wir müssen selber an Land schwimmen.«

Diese Vorstellung begeisterte uns zwar nicht, aber wir bedankten uns bei Regenbogen und seinen Freunden fürs Bringen. Tyson weinte ein wenig. Er band seine improvisierte Satteltasche los, in der er sein Werkzeug und ein paar aus dem Wrack der Birmingham gerettete Dinge aufbewahrte. Dann legte er Regenbogen die Arme um den Hals, gab ihm eine klitschige Mango, die er von der Insel mitgebracht hatte, und sagte auf Wiedersehen.

Als die weißen Mähnen der Hippocampi im Wasser verschwunden waren, schwammen wir auf das Ufer zu. Die Wellen schoben uns vor sich her und sehr bald hatten wir die Welt der Sterblichen wieder erreicht. Wir stapften an den Landungsbrücken der Ausflugsschiffe vorbei und drängten uns durch Mengen von Menschen, die hier gerade ihren Urlaub begannen. Taxifahrer schrien einander auf Spanisch an und versuchten, sich gegenseitig die Kundschaft wegzuschnappen. Falls uns irgendwer bemerkte – fünf triefnasse Jugendliche, die aussahen, als ob sie eben noch mit einem Ungeheuer gekämpft hätten –, dann ließ er es sich nicht anmerken.

Jetzt, wo wir uns wieder unter Sterblichen aufhielten, ließ Nebel Tysons Auge verschwimmen. Grover hatte Mütze und Turnschuhe angezogen. Das Vlies hatte sich von einem Schaffell in eine rot-goldene Schuljacke mit einem großen glitzernden Omega-Zeichen auf der Tasche verwandelt.

Annabeth rannte zum nächstgelegenen Zeitungskiosk und sah sich das Datum auf dem »Miami Herald« an. Sie fluchte. »18. Juni. Wir sind schon zehn Tage aus dem Camp weg!«

»Das kann doch nicht sein«, sagte Clarisse.

Aber ich wusste, dass das sehr wohl sein konnte. Wo Ungeheuer leben, vergeht die Zeit anders.

»Thalias Baum ist bestimmt schon fast tot«, jammerte Grover. »Wir müssen das Vlies noch heute hinbringen!«

Clarisse ließ sich auf das Pflaster sinken. »Und wie sollen wir das schaffen?« Ihre Stimme zitterte. »Wir sind Hunderte von Kilometern entfernt. Ohne Geld. Ohne Mitfahrgelegenheit. Genau wie das Orakel es gesagt hat. Und du bist schuld, Jackson. Wenn du dich nicht eingemischt hättest …«

»Percy soll schuld sein?« Annabeth ging hoch. »Clarisse, wie kannst du das sagen? Du bist die größte …«

»Hört auf!«, sagte ich.

Clarisse schlug die Hände vors Gesicht. Annabeth stampfte vor Frust mit dem Fuß auf.

Die Sache war die: Ich hatte fast vergessen, dass der Auftrag eigentlich Clarisse erteilt worden war. Einen beängstigenden Moment lang sah ich alles von ihrem Standpunkt. Wie wäre mir wohl zu Mute gewesen, wenn eine Bande von anderen Halbbluten in mein Abenteuer eingedrungen wäre und mich blamiert hätte?

Ich dachte an das, was ich im Kesselraum der C.S.S. Birmingham belauscht hatte. Ares hatte Clarisse angebrüllt und ihr geraten, lieber nicht zu versagen. Das Camp war Ares total egal, aber wenn Clarisse ihn als Trottel dastehen ließ …

»Clarisse«, sagte ich. »Was genau hat das Orakel gesagt?«

Sie schaute auf. Ich dachte schon, sie würde mir sonst was an den Kopf knallen, aber sie holte tief Luft und sagte ihre Weissagung auf: