»Fleisch«, brüllten sie. »Heldenfleisch zum Mittagessen!«
Dann zielten sie.
»Percy braucht Hilfe!«, schrie Tyson und sprang vor mich, als sie ihre Bälle schleuderten.
»Tyson!«, schrie ich, aber es war zu spät.
Beide Bälle bohrten sich in ihn hinein … aber nein … er hatte sie gefangen. Auf irgendeine Weise hatte der unbeholfene Tyson, der regelmäßig Laborsachen umwarf und Spielgeräte zerbrach, zwei lodernde Metallkugeln gefangen, die im Tempo von einer Zillion Kilometer pro Stunde auf ihn zugeschossen gekommen waren. Er warf sie zurück zu ihren verdutzten Besitzern und die schrien »GEMEEEEIN!«, als die Bronzekugeln vor ihren Brustkästen explodierten.
Die Riesen lösten sich in zwei Feuersäulen auf – ein Beweis dafür, dass es sich wirklich um Ungeheuer handelte. Monster sterben nicht. Sie lösen sich einfach zu Rauch und Staub auf und das erspart den Helden eine Menge Aufräumarbeiten nach einem Kampf.
»Meine Brüder«, heulte Joe Zaster, der Kannibale. Er ließ seine Muskeln spielen und seine Baby-Cake-Tätowierung bewegte sich. »Das wirst du mir büßen!«
»Tyson!«, sagte ich. »Pass auf!«
Noch ein Komet jagte auf uns zu, Tyson konnte ihn gerade noch beiseiteschubsen. Er flog dicht über dem Kopf von Lehrer Nunley vorbei und landete mit lautem KAWUMM zwischen den Zuschauerbänken.
Überall rannten Leute umher, sie schrien und versuchten den zischenden Kratern im Boden auszuweichen. Andere hämmerten auf den Boden und schrien um Hilfe. Sloan selbst stand wie erstarrt mitten auf der Spielfläche und starrte ungläubig die Todesbälle an, die um ihn herumflogen.
Lehrer Nunley bemerkte noch immer nichts. Er tippte sein Hörgerät an, als verursachten die Explosionen dort Störungen, aber er ließ seine Zeitschrift nicht aus den Augen.
Bestimmt war der Lärm in der ganzen Schule zu hören. Der Direktor, die Polizei, irgendwer würde uns zu Hilfe kommen.
»Der Sieg ist unser!«, brüllte Joe Zaster, der Kannibale. »Wir werden uns an euren Knochen gütlich tun!«
Ich wollte ihm sagen, dass er das Völkerballspiel viel zu ernst nahm, aber schon warf er eine weitere Kugel. Drei andere Riesen machten es ihm nach.
Ich wusste, dass wir verloren waren. Tyson würde nicht alle Kugeln auf einmal abwehren können. Seine Hände mussten schon von der ersten Salve übel verbrannt sein. Ohne mein Schwert …
Mir kam eine verrückte Idee.
Ich lief in Richtung Umkleideraum.
»Weg da«, sagte ich zu meinen Teamgenossen. »Weg von der Tür!«
Hinter mir dröhnten die Explosionen. Tyson hatte zwei Bälle zu ihren Besitzern zurückgeworfen und diese damit in Asche verwandelt.
Übrig waren also noch zwei Riesen.
Eine dritte Kugel kam geradewegs auf mich zu. Ich zwang mich, zu warten – eins, zwei, drei, eins, zwei, drei –, dann ließ ich mich zur Seite fallen, woraufhin die Feuerkugel die Tür zum Umkleideraum vernichtete.
Ich nehme an, dass das Gas, das sich in den meisten Jungenumkleideräumen ansammelt, ausreichen müsste, um eine Explosion zu verursachen, und deshalb war ich nicht weiter überrascht, als die lodernde Kugel einen gewaltigen Knall hervorrief.
Die Mauer barst. Schließfachtüren, Socken, Stützbinden und andere unaussprechliche persönliche Habseligkeiten regneten durch die Luft.
Ich drehte mich um und konnte gerade noch sehen, wie Tyson Schädelfresser eine reinsemmelte. Der Riese zerbröselte, aber sein letzter verbliebener Kollege, Joe Zaster, hatte klugerweise seine Kugel behalten und wartete auf eine gute Gelegenheit. Er warf, als Tyson sich gerade umdrehte.
»Nein!«, schrie ich.
Die Kugel traf Tyson mitten auf der Brust. Er rutschte einmal über das Spielfeld und knallte gegen die Rückwand, die einstürzte, ihn teilweise unter sich begrub und zur Church Street hin ein Loch freigab. Ich begriff nicht, wie Tyson immer noch am Leben sein konnte, aber er sah nur etwas benommen aus. Die Bronzekugel lag rauchend zu seinen Füßen. Tyson versuchte sie aufzuheben, aber dann stolperte er rückwärts gegen einen Haufen Hohlziegel.
»He!«, brüllte Joe Zaster. »Ich bin der Einzige, der noch steht. Ich werde genug Fleisch haben, um Baby Cake eine Tupperdose voll mitzubringen!«
Er schnappte sich eine neue Kugel und zielte auf Tyson.
»Halt«, schrie ich. »Ihr wollt doch mich!«
Der Riese grinste. »Willst du als Erster sterben, junger Held?«
Ich musste etwas unternehmen. Springflut musste doch irgendwo sein.
Da entdeckte ich meine Jeans in einem rauchenden Kleiderhaufen zu Füßen des Riesen. Wenn ich den nur erreichen könnte …
Ich wusste, dass es hoffnungslos war, aber ich lief los.
Der Riese lachte. »Mein Mittagessen nähert sich.«
Er hob seinen Arm zum Wurf. Ich machte mich zum Sterben bereit.
Aber plötzlich erstarrte der Körper des Riesen. Er feixte nicht mehr, sondern sah nur noch verdutzt aus. Wo sein Nabel hätte sitzen sollen, wurde sein T-Shirt aufgerissen und etwas wie ein Horn wuchs heraus – nein, es war kein Horn, sondern die glühende Spitze einer Klinge.
Die Kugel fiel aus seiner Hand. Das Ungeheuer starrte das Messer an, das ihn soeben von hinten durchbohrt hatte.
Er murmelte »oh« und löste sich in eine Wolke aus grünen Flammen auf, was, wie ich annahm, Baby Cake ganz schön ärgern würde.
Im Rauch stand meine Freundin Annabeth. Ihr Gesicht war verdreckt und zerkratzt. Ein zerfetzter Rucksack hing über ihre Schulter, sie hatte sich ihre Baseballmütze in die Tasche gesteckt, hielt ein Messer in der Hand und ihre sturmgrauen Augen blickten so wild, als sei sie soeben von Geistern tausend Kilometer weit gehetzt worden.
Matt Sloan, der die ganze Zeit stumm dagestanden hatte, kam endlich zu sich. Er starrte Annabeth aus zusammengekniffenen Augen an und schien sich vom Foto in meinem Notizbuch her vage an sie zu erinnern. »Das ist die … das ist die …«
Annabeth gab ihm eins auf die Nase und er kippte um. »Und du«, sagte sie zu ihm, »mach meinen Kumpel nicht an!«
Die Turnhalle brannte lichterloh. Noch immer rannten Schüler schreiend umher. Ich hörte heulende Sirenen und irgendwer teilte per Lautsprecher etwas Unverständliches mit. Durch die Glasfenster der Ausgangstüren konnte ich den Direktor sehen, Mr Bonsai, der sich mit dem Schloss abmühte, während eine ganze Schar von Lehrern sich hinter ihm zusammendrängte.
»Annabeth«, stammelte ich. »Wieso … wie lange bist du schon …«
»So ungefähr den ganzen Morgen.« Sie steckte ihr Bronzemesser in die Scheide. »Ich habe eine Möglichkeit gesucht, mit dir zu reden, aber du warst ja nie allein.«
»Der Schatten, den ich heute Morgen gesehen habe, warst du …« Mein Gesicht schien zu glühen. »O Götter, du hast durch mein Schlafzimmerfenster geschaut?«
»Wir haben jetzt keine Zeit für Erklärungen«, fauchte sie, aber auch ihr Gesicht lief ein bisschen rot an. »Ich wollte nur nicht …«
»Da!«, schrie eine Frau. Die Türen wurden aufgerissen und die Erwachsenen strömten herein.
»Wir treffen uns draußen«, sagte Annabeth zu mir. »Und der da«, sie zeigte auf Tyson, der noch immer wie betäubt vor der Wand saß und schaute ihn mit einem Ekel an, den ich nicht so ganz verstehen konnte, »den bringst du besser mit!«
»Was?«
»Keine Zeit«, sagte sie. »Beeil dich.«
Sie setzte ihre Yankees-Baseballmütze auf, ein magisches Geschenk ihrer Mutter, und war sofort verschwunden.
Ich stand mitten in der brennenden Turnhalle, als der Direktor mit dem halben Lehrkörper und einigen Polizisten auf mich zugestürzt kam.
»Percy Jackson?«, fragte Mr Bonsai. »Was … wie?«
Hinten vor der eingestürzten Wand stöhnte Tyson und rappelte sich auf. »Kopf tut weh.«
Matt Sloan kam jetzt ebenfalls zu sich. Er starrte mich mit einem Ausdruck des Entsetzens an. »Das war Percy, Mr Bonsai! Er hat die ganze Halle angesteckt. Mr Nunley wird das bestätigen! Er hat alles gesehen!«