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»Was ist passiert?« Sie packte meinen Arm. »Ist Luke …?«

»Das Schiff ist hochgegangen«, sagte ich. »Er wurde nicht zerstört. Ich weiß nicht, wo …«

Silena Beauregard bahnte sich einen Weg durch die Menge. Ihre Haare waren nicht gekämmt und sie hatte nicht einmal Make-up aufgelegt, was ihr überhaupt nicht ähnlich sah.

»Wo ist Charlie?«, wollte sie wissen und schaute sich um, als ob er sich versteckt haben könnte.

Ich schaute hilflos zu Chiron hinüber.

Der alte Zentaur räusperte sich. »Silena, meine Liebe, wir reden im Hauptgebäude darüber …«

»Nein«, murmelte sie. »Nein. Nein.«

Sie brach in Tränen aus und wir anderen standen einfach da, zu betroffen, um etwas zu sagen. Wir hatten in diesem Sommer schon so viele verloren, aber das hier war besonders schlimm. Mit Beckendorf schien irgendwer den Anker des gesamten Lagers gestohlen zu haben.

Endlich trat Clarisse aus der Ares-Hütte vor und legte den Arm um Silena. Das war eine der seltsamsten Freundschaften aller Zeiten – eine Tochter des Kriegsgottes und eine Tochter der Liebesgöttin –, aber seit Silena Clarisse im vergangenen Sommer gute Ratschläge für den Umgang mit ihrem ersten Freund gegeben hatte, hatte Clarisse sich zu Silenas privater Leibwächterin ernannt.

Clarisse trug ihre blutrote Rüstung. Sie war groß und muskulös wie ein Rugbyspieler und machte meistens ein wütendes Gesicht, aber zu Silena sprach sie mit sanfter Stimme.

»Komm schon, Mädel«, sagte sie. »Wir gehen ins Hauptgebäude. Ich koche dir eine heiße Schokolade.«

Alle drehten sich um und gingen in Zweier-und Dreiergruppen davon, zurück zu den Hütten. Jetzt war niemand mehr begeistert über meine Rückkehr. Niemand wollte etwas über das gesprengte Schiff hören.

Nur Annabeth und Chiron waren noch da.

Annabeth wischte sich eine Träne von der Wange. »Ich bin froh, dass du nicht tot bist, Algenhirn.«

»Danke«, sagte ich. »Ich auch.« Chiron legte mir die Hand auf die Schulter. »Ich bin sicher, du hast dein Bestes getan, Percy. Würdest du uns erzählen, was passiert ist?«

Ich wollte es nicht noch einmal durchmachen müssen, aber ich erzählte ihnen alles, auch meinen Traum von den Titanen. Nur die Sache mit Nico ließ ich aus. Ich hatte Nico versprechen müssen, niemandem von seinem Plan zu erzählen, bis ich meinen Entschluss gefasst hätte; und sein Plan war so unheimlich, dass es mir nur recht war, ihn geheim zu halten.

Chiron starrte ins Tal hinunter. »Wir müssen sofort einen Kriegsrat einberufen, um über diesen Spion und andere Dinge zu sprechen.«

»Poseidon hat eine weitere Bedrohung erwähnt«, sagte ich. »Etwas, das noch größer ist als die Prinzessin Andromeda. Ich dachte, es könnte die Herausforderung sein, die der Titan in meinem Traum erwähnt hat.«

Chiron und Annabeth wechselten einen Blick, als wüssten sie mehr als ich. Ich hasste es, wenn sie das machten.

»Auch darüber werden wir sprechen«, versprach Chiron.

»Und noch etwas.« Ich holte tief Luft. »Ich soll dir von meinem Vater ausrichten, dass die Zeit gekommen ist. Ich muss die vollständige Weissagung erfahren.«

Chirons Schultern sackten nach unten, aber er wirkte nicht überrascht. »Ich habe mich vor diesem Tag gefürchtet. Aber nun gut. Annabeth, wir werden Percy die Wahrheit zeigen – die ganze Wahrheit. Gehen wir in die Mansarde.«

Ich war schon dreimal in der Mansarde des Hauptgebäudes gewesen, und das war dreimal mehr, als mir lieb war.

Eine Leiter führte von der Treppe weiter nach oben. Ich fragte mich, wie Chiron hinaufgelangen wollte, wo er doch ein halbes Pferd war, aber er versuchte es gar nicht erst.

»Du weißt ja, wo es ist«, sagte er zu Annabeth. »Hol es bitte herunter.«

Annabeth nickte. »Na los, Percy.«

Draußen ging die Sonne unter, deshalb war die Mansarde noch dunkler und unheimlicher als sonst. Überall waren Heldentrophäen aufgetürmt – zerbeulte Schilde, in Gläsern eingelegte Monsterköpfe, zwei fusselige Würfel auf einer Bronzeplatte mit der Aufschrift: GESTOHLEN AUS CHRYSAORS HONDA CIVIC VON GUS, SOHN DES HERMES, 1988.

Ich hob ein geschwungenes Bronzeschwert auf, das so übel verbogen war, dass es aussah wie ein M. Ich konnte noch immer die Flecken des magischen Giftes sehen, das einst das Metall überzogen hatte. Der Zettel daran war auf den vergangenen Sommer datiert. Darauf stand: Kurzschwert der Kampe, zerstört in der Schlacht um das Labyrinth.

»Weißt du noch, wie Briareos mit Felsbrocken um sich geworfen hat?«, fragte ich.

Annabeth gönnte mir ein widerstrebendes Lächeln. »Und wie Grover eine Panik ausgelöst hat?«

Unsere Blicke trafen sich. Ich dachte an einen anderen Augenblick im vergangenen Sommer, am Mount St. Helens, als Annabeth geglaubt hatte, ich müsse sterben, und mich geküsst hatte.

Sie räusperte sich und wandte sich ab. »Die Weissagung.«

»Richtig.« Ich legte das Kurzschwert hin. »Die Weissagung.«

Wir gingen hinüber zum Fenster. Auf einem dreibeinigen Schemel saß das Orakel – eine verschrumpelte weibliche Mumie in einem Batikkleid. Schwarze Haarsträhnen klebten an ihrem Schädel; glasige Augen starrten aus dem ledernen Gesicht. Ihr purer Anblick verursachte mir eine Gänsehaut.

Früher mussten wir immer hier hochsteigen, um uns einen Auftrag erteilen zu lassen, wenn wir während des Sommers das Camp verlassen wollten. In diesem Sommer war diese Regel umgestoßen worden. Jetzt zogen ständig Campinsassen zu Kampfeinsätzen. Uns blieb nichts anderes übrig, wenn wir Kronos stoppen wollten.

Aber ich erinnerte mich nur zu gut an den seltsamen grünen Nebel – den Geist des Orakels –, der in der Mumie herumwaberte. Im Moment sah sie leblos aus, aber wenn sie eine Weissagung aussprach, dann bewegte sie sich. Manchmal quoll Nebel aus ihrem Mund und bildete seltsame Gestalten. Einmal hatte sie sogar die Mansarde verlassen und einen kleinen Zombiespaziergang in den Wald unternommen, um eine Nachricht zu überbringen. Ich konnte mir nicht vorstellen, was sie bei der »Großen Weissagung« tun würde. Fast rechnete ich mit einem Stepptanz oder so.

Aber sie saß nur wie tot da – und das war sie ja auch.

»Ich hab das noch nie kapiert«, murmelte ich.

»Was denn?«, fragte Annabeth.

»Warum das eine Mumie ist.«

»Percy, sie war nicht immer eine Mumie. Tausende von Jahren hindurch lebte der Geist des Orakels in einer schönen Jungfrau. Der Geist wurde von einer Generation an die andere weitergereicht. Chiron hat mir erzählt, dass sie vor fünfzig Jahren auch so eine war.« Annabeth zeigt auf die Mumie. »Aber sie war die letzte.«

»Was ist passiert?«

Annabeth wollte schon etwas sagen, dann überlegte sie sich die Sache plötzlich anders. »Machen wir unsere Arbeit und dann weg hier.«

Ich schaute nervös in das verschrumpelte Gesicht des Orakels. »Und was jetzt?«

Annabeth trat auf die Mumie zu und streckte ihr die Handflächen hin. »Oh Orakel, die Zeit ist gekommen. Ich bitte um die Große Weissagung.«

Ich machte mich bereit, aber die Mumie rührte sich nicht. Annabeth trat noch näher an sie heran und öffnete eins ihrer Halsbänder. Ich hatte noch nie weiter auf den Schmuck der Mumie geachtet, ich hatte ihn einfach für Hippieperlen und solchen Kram gehalten. Aber als Annabeth sich zu mir umdrehte, hielt sie einen Lederbeutel in der Hand – er sah aus wie ein indianischer Medizinbeutel an einer mit Federn verzierten Schnur. Sie öffnete den Beutel und zog eine Pergamentrolle hervor, die nicht größer war als ihr kleiner Finger. »Das ist nicht dein Ernst«, sagte ich. »Du meinst, ich hab mir all die Jahre den Kopf über diese blöde Weissagung zerbrochen, und die hatte sie die ganze Zeit um den Hals hängen?«

»Die Zeit war noch nicht reif«, sagte Annabeth. »Glaub mir, Percy, ich hab das mit zehn Jahren gelesen, und es macht mir noch immer Albträume.«

»Klasse«, sagte ich. »Kann ich es jetzt lesen?«

»Unten beim Kriegsrat«, sagte Annabeth. »Nicht vor … du weißt schon.«