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Hatte er das hier gemeint – einen Angriff durch Typhon? Es wäre wirklich entsetzlich genug. Aber Kronos führte uns immer wieder an der Nase herum, lenkte unsere Aufmerksamkeit in die falsche Richtung. Das hier schien zu offensichtlich für ihn. Und in meinem Traum hatte der goldene Titan von mehreren Herausforderungen geredet, die noch kommen würden, als sei Typhon nur die erste.

»Das ist ein Trick«, sagte ich. »Wir müssen die Götter warnen. Es wird etwas anderes passieren.«

Chiron sah mich mit ernster Miene an. »Etwas Schlimmeres als Typhon? Das will ich doch nicht hoffen.«

»Wir müssen den Olymp verteidigen«, beharrte ich. »Kronos plant noch etwas anderes.«

»Das hat er«, warf Travis Stoll ein. »Aber du hast sein Schiff versenkt.«

Alle sahen mich an. Sie wollten eine gute Nachricht. Sie wollten glauben, dass ich ihnen wenigstens ein bisschen Hoffnung geschenkt hatte.

Ich schaute zu Annabeth hinüber. Ich wusste, dass wir dasselbe dachten: Was, wenn die Prinzessin Andromeda eine Falle gewesen war? Was, wenn Kronos gewollt hatte, dass wir das Schiff sprengen, damit wir unvorsichtig wurden?

Aber vor Silena würde ich das nicht laut sagen. Schließlich hatte ihr Freund sich für diese Mission geopfert.

»Vielleicht hast du Recht«, sagte ich, obwohl ich das nicht glaubte.

Ich versuchte, mir vorzustellen, wodurch sich die Lage noch verschlimmern könnte. Die Götter waren im Mittleren Westen und kämpften gegen ein riesiges Monster, das sie schon einmal fast besiegt hätte. Poseidon wurde belagert und war kurz davor, einen Kampf gegen den Meerestitanen Okeanos zu verlieren. Kronos war irgendwo unterwegs. Der Olymp war so gut wie ungeschützt. Wir Halbgötter von Camp Half-Blood waren auf uns allein gestellt und hatten einen Spion unter uns.

Ach ja, und der uralten Weissagung nach würde ich an meinem sechzehnten Geburtstag sterben – und der war zufällig in fünf Tagen, genau dann, wenn Typhon vermutlich in New York einfallen würde. Das hätte ich doch fast vergessen.

»Also«, sagte Chiron. »Ich glaube, das reicht für einen Abend.«

Er winkte und der Dampf löste sich auf. Die stürmische Schlacht zwischen Typhon und den Göttern verschwand.

»Das ist eine Untertreibung«, murmelte ich.

Und der Kriegsrat war aufgehoben.

Wir verbrennen ein Leichenhemd aus Metall

Ich träumte, dass Rachel Elizabeth Dare ein Bild von mir mit Pfeilen bewarf.

Sie stand in ihrem Zimmer … Okay, noch mal von vorn. Erst muss ich erklären, dass Rachel kein Zimmer hat. Sie bewohnt die obere Etage in dem riesigen Haus ihrer Familie, einer renovierten Backsteinvilla in Brooklyn. Ihr »Zimmer« ist ein Dachgeschoss mit Industriescheinwerfern und Fenstern bis zur Decke. Es ist ungefähr doppelt so groß wie die Wohnung meiner Mom.

Irgendwelche Rockmusik toste aus ihrem mit Farbe bekleckerten Bose-System. Wenn ich es richtig verstanden habe, dann galt bei Rachel für Musik nur eine Regel, nämlich dass keine zwei Lieder auf ihrem iPod gleich klingen durften und alle irgendwie seltsam sein mussten.

Sie trug einen Kimono und ihre Haare waren zerzaust, als ob sie geschlafen hätte. Ihr Bett war verwuschelt. Laken hingen über Staffeleien. Schmutzige Kleidung und alte Verpackungen von Müsliriegeln lagen auf dem Boden herum, aber in einem so riesigen Zimmer sieht Chaos gar nicht so schlecht aus. Durch die Fenster war die nächtliche Silhouette von Manhattan zu sehen.

Das Bild, das sie beschoss, war ein Gemälde, auf dem ich über dem Riesen Antaios stand. Rachel hatte es vor einigen Monaten gemalt. Auf dem Bild sah ich wild aus – beängstigend sogar –, deshalb war es schwer zu sagen, ob ich der Gute oder der Böse war, aber Rachel sagte, direkt nach der Schlacht hätte ich genau so ausgesehen.

»Halbgötter«, murmelte Rachel und warf einen weiteren Pfeil nach der Leinwand. »Und ihre blöden Aufträge!«

Die meisten Pfeile prallten ab, einige aber blieben stecken. Einer baumelte wie ein Spitzbart unter meinem Kinn.

Jemand schlug gegen die Tür.

»Rachel!«, brüllte ein Mann. »Was treibst du da, um Himmels willen! Dreh diese …«

Rachel schnappte sich die Fernbedienung und stellte die Musik ab. »Komm rein.«

Ihr Dad trat ein, runzelte im Licht die Stirn und kniff die Augen zusammen. Er hatte rostrote Haare, ein wenig dunkler als Rachels. Sie waren auf der einen Seite zerdrückt, als ob er einen Kampf gegen sein Kissen verloren hätte. Auf die Tasche seines blauen Schlafanzuges war »WD« gestickt. Also echt, wer trägt denn Schlafanzüge mit Monogramm?

»Was ist denn hier los?«, fragte er wütend. »Es ist drei Uhr morgens.«

»Konnte nicht schlafen«, sagte Rachel.

Am Bild fiel ein Pfeil von meinem Gesicht. Rachel versteckte die übrigen hinter ihrem Rücken, aber Mr. Dare hatte verstanden.

»Ach … ich vermute, dein Freund kommt nicht mit nach St. Thomas?« So nannte mich Mr. Dare. Niemals Percy. Einfach dein Freund. Oder junger Mann, wenn er mit mir redete, was er nur selten tat.

Rachel zog die Augenbrauen zusammen. »Ich weiß es nicht.«

»Wir brechen morgen früh auf«, sagte ihr Dad. »Wenn er sich jetzt noch nicht entschieden hat …«

»Wahrscheinlich kommt er nicht mit«, sagte Rachel unglücklich. »Zufrieden?«

Mr. Dare legte die Hände auf den Rücken. Mit strenger Miene lief er im Zimmer hin und her. Ich stellte mir vor, dass er das auch in der Chefetage seiner Landentwicklungsgesellschaft so machte und seine Angestellten damit in Panik versetzte.

»Hast du noch immer schlimme Träume?«, fragte er. »Kopfschmerzen?«

Rachel warf die Pfeile auf den Boden. »Davon hätte ich dir nie erzählen sollen.«

»Ich bin dein Vater«, sagte er. »Ich mache mir Sorgen um dich.«

»Um den guten Ruf der Familie«, murmelte Rachel.

Ihr Vater reagierte nicht – vielleicht, weil er diesen Kommentar nicht zum ersten Mal hörte, vielleicht, weil es die Wahrheit war.

»Wir könnten Dr. Arkwright hinzuziehen«, schlug er vor. »Er hat dir auch über den Tod deines Hamsters hinweggeholfen.«

»Da war ich sechs«, sagte sie. »Und ich brauche keinen Therapeuten, Dad. Es ist nur …« Sie schüttelte hilflos den Kopf.

Ihr Vater blieb vor einem der Fenster stehen. Er starrte die Silhouette von New York an, als ob sie ihm gehörte – was nicht der Fall war. Ihm gehörte nur ein Teil.

»Es wird dir guttun, hier wegzukommen«, entschied er. »Du bist unter schlechten Einfluss geraten.«

»Ich gehe nicht auf die Clarion Ladies Academy«, sagte Rachel. »Und meine Freunde gehen dich nichts an.«

Mr. Dare lächelte, aber es war kein warmes Lächeln. Es schien eher zu sagen: Eines Tages wirst du begreifen, wie töricht du dich anhörst.

»Versuch, noch ein wenig zu schlafen«, mahnte er. »Morgen Abend sind wir am Strand. Das wird nett.«

»Nett«, wiederholte Rachel. »Wahnsinnig nett.«

Ihr Vater verließ das Zimmer. Er ließ die Tür hinter sich offen.

Rachel starrte mein Porträt an. Dann ging sie zur nächsten Staffelei, die mit einem Tuch verhängt war.

Sie zog das Tuch weg. Das Bild war eine hastige Kohlezeichnung, aber Rachel war eine begabte Künstlerin. Das Bild zeigte eindeutig Luke als kleinen Jungen. Er war an die neun Jahre alt, mit breitem Grinsen und ohne Narbe im Gesicht. Ich hatte keine Ahnung, woher Rachel wissen konnte, wie er damals aussah, aber das Porträt war so gut, dass ich das Gefühl hatte, dass sie es nicht nur erraten hatte. Soweit ich über Lukes Leben Bescheid wusste (aber das wusste ich nicht sehr gut), zeigte dieses Bild ihn, unmittelbar ehe er erfahren hatte, dass er ein Halbblut war und von zu Hause weggelaufen war.

Rachel starrte das Porträt an. Dann nahm sie das Tuch von der nächsten Staffelei. Dieses Bild war noch beunruhigender. Es zeigte das Empire State Building, umgeben von Blitzen. In der Ferne braute sich ein düsterer Sturm zusammen, und eine riesige Hand ragte aus den Wolken hervor. Unten vor dem Gebäude war eine Menge Leute zusammengeströmt … aber es waren nicht wie sonst Touristen und Fußgänger. Ich sah Speere, Schwerter und Banner – die Insignien einer Armee.