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Wieder hätte ich ihn gern erwürgt. Leider hatte er Recht. Wir hatten keine Zeit, um uns zu streiten, und allein konnte ich nicht entkommen. Er zeigte auf die Wand. Ein Teil verschwand und legte einen Gang frei.

»Na los.« Nico ging vor mir her.

Ich wünschte mir Annabeths Tarnkappe herbei, aber ich hätte sie gar nicht gebraucht. Immer wenn wir zu einem Skelettposten kamen, zeigte Nico einfach auf ihn und die glühenden Augen wurden trübe. Leider schien Nico immer müder zu werden, je häufiger er das machte. Wir gingen durch ein Labyrinth aus Gängen, in denen es von Wachen nur so wimmelte. Als wir eine Küche voller Skelettköche und -küchenhilfen erreichten, musste ich Nico fast schon tragen. Er schaffte es, alle Toten einschlafen zu lassen, aber er wurde dabei selbst fast ohnmächtig. Ich zog ihn durch den Dienstboteneingang hinaus auf den Asphodeliengrund.

Ich war fast schon erleichtert, aber dann hörte ich oben in der Burg Bronzegongs hallen.

»Alarm«, murmelte Nico schläfrig.

»Und was machen wir jetzt?«

Er gähnte und runzelte dann die Stirn, als ob er versuchte, sich zu erinnern. »Wie wäre es mit … rennen?«

Mit einem verpennten Hadeskind wegzurennen kam mir vor wie ein Dreibeinlauf mit einer Puppe, die so groß war wie ich. Ich zerrte ihn hinter mir her und hielt das Schwert gezückt vor mich. Die Geister der Toten wichen aus, als wäre die himmlische Bronze ein loderndes Feuer.

Die Gongs dröhnten über die Felder. Vor uns ragten die Mauern von Erebos auf, aber je länger wir unterwegs waren, desto weiter schienen sie entfernt zu sein. Ich brach fast vor Erschöpfung zusammen, als ich ein vertrautes »WUFF« hörte.

Mrs O’Leary kam aus dem Nirgendwo angesprungen, drehte Kreise um uns und wollte unbedingt spielen.

»Braves Mädchen«, sagte ich. »Kannst du uns zum Styx tragen?«

Das Wort »Styx« versetzte sie in Aufregung. Vermutlich dachte sie, das sei etwas Essbares. Sie sprang einige Male in die Höhe und jagte ihren Schwanz, nur um ihm zu zeigen, wer hier das Sagen hatte, aber dann beruhigte sie sich so weit, dass ich Nico auf ihren Rücken schieben konnte. Ich kletterte hinterher und sie rannte auf die Tore zu. Sie sprang ganz einfach über die DIREKTER-TOD-Schlange und die Wachen liefen auseinander. Neuer Alarm dröhnte los. Zerberus bellte, aber er hörte sich eher aufgeregt als wütend an, als wollte er sagen: »Darf ich mitspielen?«

Glücklicherweise lief er aber nicht hinter uns her und Mrs. O’Leary rannte immer weiter. Sie blieb erst stehen, als sie weit den Fluss hochgelaufen war und die Feuer von Erebos im Zwielicht verschwunden waren.

Nico ließ sich von Mrs O’Learys Rücken gleiten und fiel wie ein Sack auf den schwarzen Sand.

Ich zog ein Stück Ambrosia hervor – das gehörte zu der Notration, die ich immer bei mir habe. Es war ein wenig zerbröselt, aber Nico zerkaute es.

»Ah«, murmelte er. »Besser.«

»Deine Kräfte zehren dich aus«, sagte ich.

Er nickte verschlafen. »Auf große Kraft … folgt ein großes Bedürfnis nach Schlaf. Weck mich später.«

»Nichts da, du Zombietrottel.« Ich packte ihn, ehe er wieder einschlafen konnte. »Wir sind am Fluss. Du musst mir sagen, was ich tun soll.«

Ich fütterte ihn mit meinem restlichen Ambrosia, was nicht ganz ungefährlich war. Dieses Zeug kann Halbgötter heilen, aber es kann uns auch zu Asche verbrennen, wenn wir zu viel davon essen. Zum Glück schien es zu helfen. Nico schüttelte einige Male den Kopf und kam mühsam auf die Beine.

»Mein Vater wird bald hier sein«, sagte er. »Wir sollten uns beeilen.«

Im reißenden Styx wirbelten seltsame Dinge herum – zerbrochenes Spielzeug, zerrissene Uni-Zeugnisse, verwelkte Blumensträuße –, die Träume, die Menschen beim Übergang vom Leben in den Tod weggeworfen hatten. Als ich das schwarze Wasser ansah, fielen mir an die drei Millionen Orte ein, wo ich lieber baden gegangen wäre.

»Also … springe ich einfach rein?«

»Du musst dich erst vorbereiten«, sagte Nico. »Sonst zerstört der Fluss dich. Er brennt dir Körper und Seele weg.«

»Klingt ja nett«, murmelte ich.

»Das ist kein Witz«, warnte Nico. »Es gibt nur eine Möglichkeit, dich in deinem sterblichen Leben zu verankern. Du musst …«

Er schaute an mir vorbei und seine Augen weiteten sich. Ich fuhr herum und stand einem griechischen Krieger von Angesicht zu Angesicht gegenüber

Eine Sekunde lang hielt ich ihn für Ares, denn er sah genauso aus wie der Kriegsgott – groß und grobschlächtig, mit einem grausamen Narbengesicht und kurz geschorenen schwarzen Haaren. Er trug eine weiße Tunika und eine Bronzerüstung, unter dem Arm hielt er einen Kriegshelm mit Rosshaarkamm. Aber seine Augen waren menschlich – hellgrün wie seichtes Meer –, und ein blutiger Pfeil ragte gleich oberhalb des Knöchels aus seinem linken Bein.

»Achilles«, sagte ich.

Der Geist nicke. »Ich habe den anderen davor gewarnt, meinem Beispiel zu folgen. Jetzt warne ich dich.«

»Luke? Du hast mit Luke gesprochen?«

»Tu das hier nicht«, sagte er. »Es wird dich mächtig machen. Aber es wird dich auch schwach machen. Deine Fähigkeiten in der Schlacht werden die aller anderen Sterblichen übertreffen, aber auch deine Schwächen, deine Unzulänglichkeiten werden größer.«

»Du meinst, ich werde eine empfindliche Ferse haben?«, fragte ich. »Könnte ich nicht, na ja, einfach etwas anderes tragen als Sandalen? Ist nicht böse gemeint.«

Er starrte seinen blutigen Fuß an. »Die Ferse ist nur meine physische Schwäche, Halbgott. Meine Mutter, Thetis, hat mich daran festgehalten, als sie mich in den Styx getaucht hat. Aber was mich eigentlich umgebracht hat, war meine Arroganz. Hüte dich! Kehr um!«

Er meinte es ernst. Ich konnte Bedauern und Bitterkeit in seiner Stimme hören. Er versuchte wirklich, mich vor einem entsetzlichen Schicksal zu bewahren.

Aber Luke war auch hier gewesen und er hatte nicht kehrtgemacht.

Nur deshalb hatte Luke den Geist des Kronos in sich aufnehmen können, ohne dass sein Körper zerfallen war. So hatte er sich vorbereitet und deshalb hatte er unverletzlich gewirkt. Er hatte im Styx gebadet und die Macht des größten sterblichen Helden, Achilles, übernommen. Er war unbesiegbar.

»Ich muss«, sagte ich. »Sonst habe ich keine Chance.«

Achilles senkte den Kopf. »Die Götter sind meine Zeugen, dass ich es versucht habe. Heros, wenn du das tun musst, dann konzentriere dich auf deinen sterblichen Punkt. Stell dir eine Stelle an deinem Körper vor, die verletzlich bleiben wird. Das ist die Stelle, wo deine Seele deinen Körper in der Welt verankern wird. Sie wird deine größte Schwäche sein, aber auch deine einzige Hoffnung. Kein Mensch kann ganz und gar unverletzlich sein. Wenn du das aus dem Blick verlierst, was dich sterblich bleiben lässt, dann wird der Styx dich zu Asche verbrennen. Du wirst nicht mehr existieren.«

»Ich nehme nicht an, dass du mir Lukes sterblichen Punkt verraten könntest?«

Er runzelte verärgert die Stirn. »Mach dich bereit, törichter Knabe. Ob du das hier überlebst oder nicht, du hast dein Schicksal besiegelt!.«

Mit dieser freudigen Nachricht verschwand er.

»Percy«, sagte Nico. »Vielleicht hat er Recht.«

»Das hier war deine Idee.«

»Ich weiß, aber jetzt, wo wir hier sind …«

»Warte einfach am Ufer. Wenn mir etwas passiert … Na ja, vielleicht erfüllt sich dann Hades’ Wunsch und du bist doch das Kind aus der Weissagung.«

Diese Vorstellung schien ihm gar nicht zu gefallen, aber das war mir egal.

Ehe ich mir die Sache anders überlegen konnte, konzentrierte ich mich auf meinen Rücken – auf eine winzige Stelle genau meinem Nabel gegenüber. Sie war gut geschützt, wenn ich Rüstung trug. Es würde schwer sein, sie zufällig zu treffen, und nur wenige Feinde würden bewusst darauf zielen. Keine Stelle war perfekt, aber diese kam mir richtig vor und viel würdevoller als zum Beispiel meine Achselhöhle oder so etwas.