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Der Haupthof war voller Krieger – Meermänner mit Fischschwänzen von der Taille abwärts und menschlichen Oberkörpern, nur war ihre Haut blau, was ich noch nie gesehen hatte. Einige kümmerten sich um Verwundete. Andere wetzten Speere und Schwerter. Einer kam eilig an uns vorbeigeschwommen. Seine Augen waren leuchtend grün, wie dieses Zeug in Glo-Sticks, und er hatte Haizähne. Sowas kriegt man in der Kleinen Meerjungfrau nicht zu sehen.

Vor dem Haupthof standen Verteidigungsanlagen – Türme, Mauern und Waffen –, aber die meisten waren zerstört worden. Andere loderten in einem seltsamen grünen Licht, das ich sehr gut kannte – griechisches Feuer, das auch unter Wasser brennt.

Dahinter erstreckte sich der Meeresboden in die Finsternis. Ich konnte tobende Schlachten erahnen – Energieblitze, Explosionen, das Funkeln von aufeinanderprallenden Armeen. Ein normaler Mensch hätte in dieser Dunkelheit nichts sehen können. Aber was rede ich, ein normaler Mensch wäre schließlich auch vom Druck zerquetscht worden und vor Kälte erfroren. Nicht einmal meine wärmesensitiven Augen konnten genau erkennen, was hier vor sich ging.

Am Rand des Palastkomplexes explodierte ein Tempel mit einem roten Korallendach und ergoss sich in Zeitlupe als Feuer und Schutt über die Gärten. Aus der Dunkelheit darüber löste sich eine riesige Gestalt – ein Tintenfisch, der größer war als ein Wolkenkratzer. Er war umgeben von einer funkelnden Staubwolke – das dachte ich jedenfalls zuerst, bis mir aufging, dass es sich um einen Schwarm von Meermännern handelte, die versuchten, das Ungeheuer anzugreifen. Der Tintenfisch ließ sich auf den Palast sinken und schlug mit seinen Tentakeln um sich, wobei er eine ganze Gruppe von Kriegern zerquetschte. Dann ergoss sich vom Dach eines der höchsten Häuser ein leuchtender Bogen aus blauem Licht. Das Licht traf den riesigen Tintenfisch und das Ungeheuer löste sich im Wasser auf wie Lebensmittelfarbe.

»Daddy«, sagte Tyson und zeigte in die Richtung, aus der das Licht gekommen war.

»Das war er?« Plötzlich wuchs meine Hoffnung. Mein Dad besaß unglaubliche Kräfte. Er war der Gott des Meeres. Er würde mit diesem Angriff fertig werden, oder? Vielleicht würde er mich dabei helfen lassen.

»Hast du mitgekämpft?«, fragte ich Tyson voller Bewunderung. »Ich meine, hast du mit deiner wahnsinnigen Zyklopenkraft Köpfe eingeschlagen und so?«

Tyson verzog unglücklich das Gesicht und sofort bereute ich diese Frage. »Ich habe … Waffen heile gemacht«, murmelte er. »Komm. Wir gehen zu Daddy.«

Ich weiß, das hört sich für Leute mit, na ja, normalen Eltern vielleicht seltsam an, aber ich hatte meinen Dad in meinem Leben erst vier-oder fünfmal gesehen und nie länger als einige Minuten. Die griechischen Götter hängen schließlich nicht bei den Basketballspielen ihrer Kinder herum. Aber ich hätte trotzdem gedacht, ich würde Poseidon auf den ersten Blick erkennen.

Das war ein Irrtum.

Das Dach des Tempels war ein großes offenes Deck, das als Kommandozentrale eingerichtet worden war. Ein Mosaik auf dem Boden zeigte eine detaillierte Karte des Palastes und des ihn umgebenden Ozeans, aber das Mosaik hielt nicht still. Die bunten Steine, die unterschiedliche Armeen und Meeresungeheuer darstellten, bewegten sich, wenn die Truppen ihre Stellung änderten. Gebäude, die im wirklichen Leben einstürzten, stürzten auch im Bild ein.

Um das Mosaik herum stand eine seltsame Ansammlung von Kriegern, die mit düsteren Gesichtern die Schlacht beobachteten, aber keiner von ihnen sah aus wie mein Dad. Ich hielt Ausschau nach einem großen Mann mit sonnengebräunter Haut und einem schwarzen Bart, der Bermudashorts und ein Hawaiihemd trug.

Aber so jemanden gab es hier nicht. Ein Meermann hatte zwei Fischschwänze statt nur einen. Seine Haut war grün und seine Rüstung mit Perlen besetzt. Seine schwarzen Haare hatte er zu einem Pferdeschwanz gebunden, und er sah jung aus – aber bei Nichtmenschen weiß man das nie, sie könnten genauso gut tausend Jahre alt sein oder nur drei. Neben ihm stand ein alter Mann mit einem buschigen weißen Bart und grauen Haaren. Er schien seine Rüstung kaum tragen zu können. Er hatte grüne Augen und Lachfältchen um die Augen, aber jetzt lächelte er nicht. Er musterte die Karte und stützte sich auf einen riesigen Metallstab. Rechts neben ihm stand eine schöne Frau in grüner Rüstung mit langen schwarzen Haaren. Und ich sah einen Delphin, einen ganz normalen Delphin, aber auch er war in die Betrachtung der Karte vertieft.

»Dauphin«, sagte der alte Mann. »Schick Palaimon und seine Hai-Legion an die Westfront. Wir müssen diese Leviathane neutralisieren.«

Der Delphin redete mit Zwitscherstimme, aber in Gedanken konnte ich ihn verstehen. Ja, hoher Herr. Er schwamm eilig davon.

Entsetzt sah ich Tyson und dann wieder den alten Mann an.

Es schien mir nicht möglich, aber … »Dad?«, fragte ich.

Der alte Mann schaute auf. Ich erkannte das Funkeln in seinen Augen, aber sein Gesicht … Er sah vierzig Jahre älter aus.

»Hallo, Percy.«

»Was – was ist mit dir passiert?«

Tyson versetzte mir einen Rippenstoß. Er schüttelte so energisch den Kopf, dass ich Angst hatte, er könnte herunterfallen, aber Poseidon schien nicht beleidigt zu sein.

»Ist schon gut, Tyson«, sagte er. »Percy, bitte entschuldige mein Aussehen. Dieser Krieg hat mir arg zu schaffen gemacht.«

»Aber du bist unsterblich«, sagte ich leise. »Du kannst aussehen … wie auch immer du willst.«

»Ich spiegele den Zustand meines Reiches wider«, sagte er. »Und der ist im Moment ziemlich übel. Percy, ich sollte dich wohl vorstellen – ich fürchte, du hast meinen Leutnant Dauphin, den Gott der Delphine, verpasst. Das hier ist meine, äh, Frau Amphitrite. Meine Liebe …«

Die Dame in der grünen Rüstung musterte mich kalt, dann verschränkte sie die Arme. »Entschuldige mich, mein Gemahl. Ich werde in der Schlacht benötigt.«

Sie schwamm weg.

Ich fühlte mich gar nicht wohl in meiner Haut, aber ich konnte ihr wohl keine Vorwürfe machen. Ich hatte nie weiter darüber nachgedacht, aber mein Dad hatte eine unsterbliche Gemahlin. Seine ganzen Romanzen mit Sterblichen, auch die mit meiner Mutter … na ja, Amphitrite war davon vermutlich nicht gerade begeistert.

Poseidon räusperte sich. »Und, na ja … das ist mein Sohn Triton. Äh, mein anderer Sohn.«

»Dein Sohn und Erbe«, korrigierte der grüne Typ. Sein doppelter Fischschwanz schlug hin und her. Er lächelte mich an, aber in seinen Augen lag keine Freundlichkeit. »Hallo, Perseus Jackson. Kommst du uns endlich zu Hilfe?«

Er tat so, als ob ich zu spät käme oder faul wäre. Wenn man unter Wasser rot werden kann, dann wurde ich das vermutlich.

»Sag mir, was ich tun soll«, sagte ich.

Triton lächelte, als sei das ein rührender Vorschlag – als wäre ich ein putziger Hund, der für ihn bellte oder so. Er drehte sich zu Poseidon um. »Ich kümmere mich um die Frontlinie, Dad. Keine Sorge. Ich werde nicht versagen.«

Er nickte Tyson höflich zu. Wieso wurde mir nicht so viel Achtung zuteil? Dann schoss er durchs Wasser davon.

Poseidon seufzte. Er hob seinen Stab und der verwandelte sich in seine übliche Waffe, einen riesigen Dreizack. Die Zinken glühten bläulich und das Wasser um sie herum brodelte vor Energie.

»Tut mir leid«, sagte er.

Eine große Seeschlange tauchte über uns auf und senkte sich in Spiralen auf das Dach herab. Sie war grellorange und ihr Maul mit den riesigen Zähnen war groß genug, um eine Turnhalle zu verschlingen.

Poseidon schaute kurz hoch, zielte mit dem Dreizack auf das Monstrum und ließ blaue Energie darauf los. Ka-bumm. Das Ungeheuer zerbarst in eine Million Goldfische und alle schwammen panisch davon.

»Meine Familie macht sich Sorgen«, redete Poseidon weiter, als sei nichts passiert. »Die Schlacht gegen Okeanos läuft gar nicht gut.«

Er zeigte auf den Rand des Mosaiks. Mit dem Ende des Dreizacks tippte er auf das Bild eines Meermannes, der größer war als die anderen und Stierhörner trug. Er fuhr in einer Kutsche, die von Langusten gezogen wurde, und statt eines Schwertes schwenkte er eine lebende Schlange.