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»Wie übel ist die Stadt zugerichtet?«

Hermes zuckte mit den Schultern. »Überraschenderweise ist es gar nicht so schlimm. Die Sterblichen sind natürlich erschüttert. Aber das hier ist New York; ich habe noch nie eine so widerstandsfähige Bande von Sterblichen gesehen. In ein paar Wochen ist sicher alles wieder normal, und natürlich werde ich ihnen helfen.«

»Ihr?«

»Ich bin doch der Götterbote. Es ist meine Aufgabe, zu überwachen, was die Sterblichen sagen, und ihnen wenn nötig zu helfen, das Geschehene zu verstehen. Ich werde sie in Sicherheit wiegen. Glaub mir, sie werden ein überraschendes Erdbeben oder eine Sonnenexplosion dafür verantwortlich machen. Alles, nur nicht die Wahrheit.«

Er hörte sich verbittert an. George und Martha wickelten sich um seinen Caduceus, aber sie schwiegen, deshalb nahm ich an, dass Hermes wirklich sehr, sehr wütend war. Vielleicht hätte ich den Mund halten sollen, aber ich sagte: »Ich muss mich bei Euch entschuldigen.«

Hermes sah mich misstrauisch an. »Und warum das?«

»Ich habe Euch für einen schlechten Vater gehalten«, gab ich zu. »Ich habe gedacht, Ihr hättet Luke im Stich gelassen, weil Ihr seine Zukunft kanntet und nichts unternommen habt, sie zu verhindern.«

»Ich habe seine Zukunft tatsächlich gekannt«, sagte Hermes unglücklich.

»Aber Ihr habt mehr gewusst als nur den schlimmen Teil – dass er böse werden würde. Ihr habt gewusst, was er am Ende tun würde. Ihr habt gewusst, dass er die richtige Entscheidung treffen würde. Aber das konntet Ihr ihm nicht sagen, oder?«

Hermes starrte den Springbrunnen an. »Niemand kann das Schicksal verändern, Percy, nicht einmal ein Gott. Wenn ich ihm gesagt hätte, was passieren würde, oder wenn ich versucht hätte, seine Entscheidungen zu beeinflussen, hätte ich alles nur noch schlimmer gemacht. Zu schweigen, ihm aus dem Weg zu gehen … nichts ist mir je so schwergefallen.«

»Ihr musstet ihn seinen eigenen Weg gehen lassen«, sagte ich. »Und ihn seine Rolle bei der Rettung des Olymps spielen lassen.«

Hermes seufzte. »Ich hätte nicht so wütend auf Annabeth werden dürfen. Als Luke sie in San Francisco besucht hat … na ja, ich wusste, sie würde in seinem Schicksal eine Rolle spielen. So viel habe ich immerhin vorausgesehen. Ich dachte, sie könnte vielleicht tun, was ich nicht tun konnte, und ihn retten. Als sie sich geweigert hat, mit ihm zu gehen, konnte ich meinen Zorn kaum beherrschen. Ich hätte es besser wissen müssen. Ich bin immer noch wütend auf mich selbst.«

»Annabeth hat ihn wirklich gerettet«, sagte ich. »Luke ist als Held gestorben. Er hat sich geopfert, um Kronos zu töten.«

»Ich weiß deine Worte zu schätzen, Percy. Aber Kronos ist nicht tot. Du kannst einen Titanen nicht töten.«

»Aber wo …?«

»Ich weiß es nicht«, knurrte Hermes. »Niemand weiß es. Zu Staub zerfallen. Vom Winde verweht. Mit etwas Glück ist er so weit verstreut worden, dass er nie wieder ein Bewusstsein haben wird, von einem Körper ganz zu schweigen. Aber du darfst ihn nicht für tot halten, Percy.«

Mein Magen schlug einen Purzelbaum und mir wurde fast schlecht. »Was ist mit den anderen Titanen?«

»Die haben sich versteckt«, sagte Hermes. »Prometheus hat Zeus eine Botschaft geschickt mit tausend Ausflüchten dafür, dass er Kronos unterstützt hat. ›Ich wollte nur versuchen, die Zerstörung möglichst klein zu halten‹, bla, bla, bla. Er wird sich für einige Jahrhunderte bedeckt halten, wenn er klug ist. Krios ist geflohen und der Othrys zu Ruinen zerfallen. Okeanos ist wieder in die Tiefe des Ozeans verschwunden, als Kronos’ Niederlage feststand. Mein Sohn Luke jedoch ist tot. Er ist in dem Glauben gestorben, ich liebte ihn nicht. Das werde ich mir nie verzeihen.«

Hermes durchschlug den Nebel mit seinem Caduceus. Das Irisbild verschwand.

»Vor langer Zeit«, sagte ich, »habt Ihr mir erzählt, zum Schwersten im Leben eines Gottes gehöre es, Euren Kindern nicht helfen zu können. Aber Ihr habt mir auch gesagt, dass man seine Familie nicht im Stich lassen darf, egal wie verlockend es ist.«

»Und jetzt weißt du, dass ich ein Heuchler bin?«

»Nein. Ihr hattet Recht. Luke hat Euch geliebt. Und am Ende hat er sein Schicksal erkannt. Ich glaube, er hat verstanden, warum Ihr ihm nicht helfen konntet. Er hat sich daran erinnert, was wirklich wichtig ist.«

»Zu spät für ihn und mich.«

»Ihr habt noch mehr Kinder. Ehrt Luke, indem Ihr sie anerkennt. Das sollten alle Götter tun.«

Hermes ließ die Schultern hängen. »Wir werden alle versuchen, unser Versprechen zu halten. Und vielleicht wird die Lage sich eine Zeit lang bessern. Aber es ist uns Göttern niemals leichtgefallen, unsere Versprechen zu halten. Du bist auch aufgrund eines gebrochenen Versprechens geboren worden, oder nicht? Irgendwann werden wir vergesslich. Das ist immer so.«

»Ihr könnt Euch ändern.«

Hermes lachte. »Nach dreitausend Jahren glaubst du, die Götter könnten ihr Wesen ändern?«

»Ja«, sagte ich. »Das glaube ich.«

Das schien Hermes zu überraschen. »Du meinst … Luke hat mich am Ende doch geliebt? Nach allem, was passiert ist?«

»Ich bin sicher.«

Hermes starrte den Springbrunnen an. »Ich werde dir eine Liste meiner Kinder geben. Es gibt da einen Jungen in Wisconsin. Zwei Mädchen in Los Angeles. Und noch ein paar andere. Sorgst du dafür, dass sie ins Camp kommen?«

»Das verspreche ich«, sagte ich. »Und ich werde es nicht vergessen.«

George und Martha ringelten sich um den Caduceus. Ich weiß, dass Schlangen nicht lächeln können, aber sie schienen es zu versuchen.

»Percy Jackson«, sagte Hermes. »Vielleicht können wir von dir ja etwas lernen.«

Eine weitere Gottheit erwartete mich, als ich den Olymp verlassen wollte. Athene stand mitten auf der Straße, hatte die Arme verschränkt und machte ein Gesicht, bei dem ich »oha« dachte. Sie hatte ihre Rüstung gegen Jeans und eine weiße Bluse getauscht, sah aber weiterhin überaus kriegerisch aus. Ihre grauen Augen loderten.

»Okay, Percy«, sagte sie. »Du willst also unbedingt sterblich bleiben.«

»Äh, ja, Ma’am.«

»Ich möchte gern deine Gründe hören.«

»Ich möchte ein ganz normaler Junge sein. Ich möchte erwachsen werden. Die ganz normalen Highschool-Erfahrungen machen.«

»Und meine Tochter?«

»Die konnte ich nicht verlassen«, gab ich zu, und meine Kehle war wie ausgedörrt. »Und Grover auch nicht«, fügte ich rasch hinzu. »Und …«

»Komm mir ja nicht so.« Athene trat an mich heran und ich konnte spüren, wie ihre Aura aus Macht meine Haut prickeln ließ. »Ich habe dich mal gewarnt, Percy Jackson, dass du die Welt zerstören würdest, um einen Freund zu retten. Offenbar habe ich mich geirrt; du hast deine beiden Freunde und die Welt gerettet. Aber überlege dir sehr gut, wie du jetzt weitermachst. Bis jetzt habe ich ein Auge zugedrückt.«

Sozusagen um das zu unterstreichen, löste sie sich in eine Flammensäule auf und versengte mir vorn das Hemd.

Annabeth wartete beim Fahrstuhl auf mich. »Warum riechst du nach Rauch?«

»Lange Geschichte«, sagte ich. Dann fuhren wir nach unten. Wir schwiegen beide. Die Musik war grauenhaft – Neil Diamond oder so. Das hätte ich in meinen Wunsch an die Götter einschließen sollen: bessere Fahrstuhlmusik.

Als wir unten ankamen, stritten meine Mutter und Paul sich mit dem kahlköpfigen Portier, der jetzt wieder an seinem Posten saß.

»Ich sage es Ihnen doch!«, schrie meine Mom. »Wir müssen da rauf! Mein Sohn …« Dann sah sie mich und ihre Augen wurden ganz groß. »Percy!«

Sie quetschte mir den Atem aus der Brust.

»Wir haben das blaue Leuchten oben gesehen«, sagte sie. »Aber du bist nicht runtergekommen. Du bist schon vor Stunden hochgefahren!«