989 Mit Bogen und mit Spießen, man säumte sich nicht mehr,
Liefen hin die Schnellen, wo da gieng der Bär;
Doch wollte Niemand schießen, von Hunden
wars zu voll.
So laut war das Getöse, daß rings der Bergwald erscholl.
990 Der Bär begann zu fliehen vor der Hunde Zahl;
Ihm konnte Niemand folgen als Kriemhilds Gemahl.
Er erlief ihn mit dem Schwerte, zu Tod er ihn da schlug.
Wieder zu dem Feuer das Gesind den Bären trug.
991 Da sprachen, die es sahen, er wär ein starker Mann.
Die stolzen Jagdgesellen rief man zu Tisch heran.
Auf schönem Anger saßen der Helden da genug.
Hei! was man Ritterspeise vor die stolzen Jäger trug!
992 Die Schenken waren säumig, sie brachten nicht den Wein;
So gut bewirthet mochten sonst Helden nimmer sein.
Wären manche drunter nicht so falsch dabei,
So wären wohl die Degen aller Schanden los und frei.
993 Des wurde da nicht inne der verrathne kühne Mann,
Daß man solche Tücke wider sein Leben spann.
Er war in höfschen Züchten alles Truges bar;
Seines Todes must entgelten, dem es nie ein Frommen
war.
994 Da sprach der edle Siegfried: "Mich verwundert sehr,
Man trägt uns aus der Küche doch so viel daher,
Was bringen uns die Schenken nicht dazu den Wein?
Pflegt man so der Jäger, will ich nicht Jagdgeselle sein.
995 "Ich möcht es doch verdienen, bedächte man mich gut."
Von seinem Tisch der König sprach mit falschem Muth:
"Wir büßen euch ein andermal, was heut uns muß
entgehn;
Die Schuld liegt an Hagen, der will uns verdursten sehn."
996 Da sprach von Tronje Hagen: "Lieber Herre mein,
Ich wähnte, das Birschen sollte heute sein
Fern im Spechtsharte: den Wein hin sandt ich dort.
Heute giebt es nichts zu trinken, doch vermeid ich
es hinfort."
997 Da sprach der edle Siegfried: "Dem weiß ich wenig
Dank:
Man sollte sieben Lasten mit Meth und Lautertrank
Mir hergesendet haben; konnte das nicht sein,
So sollte man uns näher gesiedelt haben dem Rhein."
998 Da sprach von Tronje Hagen: "Ihr edeln Ritter schnell,
Ich weiß hier in der Nähe einen kühlen Quelclass="underline"
Daß ihr mir nicht zürnet, da rath, ich hinzugehn."
Der Rath war manchem Degen zu großem Leide
geschehn.
999 Siegfried den Recken zwang des Durstes Noth;
Den Tisch hinwegzurücken der Held alsbald gebot:
Er wollte vor die Berge zu dem Brunnen gehn.
Da war der Rath aus Arglist von den Degen geschehn.
1000 Man hieß das Wild auf Wagen führen in das Land,
Das da verhauen hatte Siegfriedens Hand.
Wer es auch sehen mochte, sprach großen Ruhm
ihm nach.
Hagen seine Treue sehr an Siegfrieden brach.
1001 Als sie von dannen wollten zu der Linde breit,
Da sprach von Tronje Hagen: "Ich hörte jederzeit,
Es könne Niemand folgen Kriemhilds Gemahl,
Wenn er rennen wolle; hei! schauten wir das einmal!"
1002 Da sprach von Niederlanden der Degen kühn und gut:
"Das mögt ihr wohl versuchen: wenn ihr mit mir thut
Einen Wettlauf nach dem Brunnen? Soll das geschehn,
So habe der gewonnen, den wir den vordersten sehn."
1003 "Wohl, laßt es uns versuchen," sprach Hagen der Degen.
Da sprach der starke Siegfried: "So will ich mich legen,
Verlier ich, euch zu Füßen nieder in das Gras."
Als er das erhörte, wie lieb war König Gunthern das!
1004 Da sprach der kühne Degen: "Noch mehr will
ich euch sagen:
Gewand und Gewaffen will ich bei mir tragen,
Den Wurfspieß samt dem Schilde und all mein
Birschgewand."
Das Schwert und den Köcher um die Glieder schnell
er band.
1005 Die Kleider vom Leibe zogen die Andern da:
In zwei weißen Hemden man beide stehen sah.
Wie zwei wilde Panther liefen sie durch den Klee;
Man sah bei dem Brunnen den schnellen Siegfried
doch eh.
1006 Den Preis in allen Dingen vor Manchem man ihm gab.
Da löst’ er schnell die Waffe, den Köcher legt’ er ab,
Den starken Spieß lehnt’ er an den Lindenast.
Bei des Brunnens Fluße stand der herrliche Gast.
1007 Die höfsche Zucht erwies da Siegfried daran;
Den Schild legt’ er nieder, wo der Brunnen rann;
Wie sehr ihn auch dürstete, der Held nicht eher trank
Bis der König getrunken; dafür gewann er übeln Dank.
1008 Der Brunnen war lauter, kühl und auch gut;
Da neigte sich Gunther hernieder zu der Flut.
Als er getrunken hatte, erhob er sich hindann:
Also hätt auch gerne der kühne Siegfried gethan.
1009 Da entgalt er seiner höfschen Zucht; den Bogen
und das Schwert
Trug beiseite Hagen von dem Degen werth.
Dann sprang er zurücke, wo er den Wurfspieß fand,
Und sah nach einem Zeichen an des Kühnen Gewand.
1010 Als der edle Siegfried aus dem Brunnen trank,
Er schoß ihn durch das Kreuze, daß aus der Wunde
sprang
Das Blut von seinem Herzen an Hagens Gewand.
Kein Held begeht wohl wieder solche Unthat nach
der Hand.
1011 Den Gerschaft im Herzen ließ er ihm stecken tief.
Wie im Fliehen Hagen da so grimmig lief,
So lief er wohl auf Erden nie vor einem Mann!
Als da Siegfried Kunde der schweren Wunde gewann,
1012 Der Degen mit Toben von dem Brunnen sprang;
Ihm ragte von der Achsel eine Gerstange lang.
Nun wähnt’ er da zu finden Bogen oder Schwert,
Gewiß, so hätt er Hagnen den verdienten Lohn gewährt.
1013 Als der Todwunde da sein Schwert nicht fand,
Da blieb ihm nichts weiter als der Schildesrand.
Den rafft’ er von dem Brunnen und rannte Hagen an:
Da konnt ihm nicht entrinnen König Gunthers
Unterthan.
1014 Wie wund er war zum Tode, so kräftig doch er schlug,
Daß von dem Schilde nieder wirbelte genug
Des edeln Gesteines; der Schild zerbrach auch fast:
So gern gerochen hätte sich der herrliche Gast.