1095 In diesen vier Tagen, so hört ich immerdar,
Wol an dreißigtausend Mark oder mehr noch gar
Ward um seine Seele den Armen hingegeben,
Indes war gar zerronnen seine große Schöne wie sein
Leben.
1096 Als vom Gottesdienste verhallt war der Gesang,
Mit ungefügem Leide des Volkes Menge rang.
Man ließ ihn aus dem Münster zu dem Grabe tragen.
Da hörte man auch anders nichts als Weinen und Klagen.
1097 Das Volk mit lautem Wehruf schloß im Zug sich an:
Froh war da Niemand, weder Weib noch Mann.
Eh er bestattet wurde, las und sang man da:
Hei! was man guter Pfaffen bei seiner Bestattung sah!
1098 Bevor da zu dem Grabe kam das getreue Weib,
Rang sie mit solchem Jammer um Siegfriedens Leib,
Daß man sie mit Wasser vom Brunnen oft begoß:
Ihres Herzens Kummer war über die Maßen groß.
1099 Es war ein großes Wunder, daß sie zu Kräften kam.
Es halfen ihr mit Klagen viel Frauen lobesam.
"Ihr, meines Siegfrieds Mannen," sprach die Königin,
"Erweist mir eine Gnade aus erbarmendem Sinn.
1100 "Laßt mir nach meinem Leide die kleinste Gunst
geschehn",
Daß ich sein schönes Angesicht noch einmal dürfe
sehn,"
Da bat sie im Jammer so lang und so stark,
Daß man zerbrechen muste den schön geschmiedeten
Sarg.
1101 Hin brachte man die Königin, wo sie ihn liegen fand.
Sein schönes Haupt erhob sie mit ihrer weißen Hand
Und küsste so den Todten, den edeln Ritter gut:
Ihre lichten Augen vor Leide weinten sie Blut.
1102 Ein jammervolles Scheiden sah man da geschehn.
Man trug sie von dannen, sie vermochte nicht zu gehn.
Da lag ohne Sinne das herrliche Weib:
Vor Leid wollt ersterben ihr viel wonniglicher Leib.
1103 Als der edle Degen also begraben war,
Sah man in großem Leide die Helden immerdar,
Die ihn begleitet hatten aus Nibelungenland:
Fröhlich gar selten man da Siegmunden fand.
1104 Wohl Mancher war darunter, der drei Tage lang
Vor dem großen Leide weder aß noch trank;
Da konnten sie’s nicht länger dem Leib entziehen mehr:
Sie genasen von den Schmerzen, wie noch Mancher
wohl seither.
1105 Kriemhild der Sinne ledig in Ohnmächten lag
Den Tag und den Abend bis an den andern Tag.
Was Jemand sprechen mochte, es ward ihr gar nicht
kund.
Es lag in gleichen Nöthen auch der König Siegmund.
1106 Kaum daß ihn zur Besinnung zu bringen noch gelang.
Seine Kräfte waren von starkem Leide krank:
Das war wohl kein Wunder. Die in seiner Pflicht
Sprachen: "Laßt uns heimziehn: es duldet uns hier
länger nicht."
Abenteuer 18
Wie Siegmund heimkehrte und Kriemhild daheim blieb
1107 Der Schwäher Kriemhildens gieng hin, wo er sie fand.
Er sprach zu der Königin: "Laßt uns in unser Land:
Wir sind unliebe Gäste, wähn ich, hier am Rhein.
Kriemhild, liebe Fraue, nun folgt uns zu dem Lande
mein.
1108 "Daß man in diesen Landen uns so verwaiset hat
Eures edeln Mannes durch böslichen Verrath,
Ihr sollt es nicht entgelten: hold will ich euch sein
Aus Liebe meines Sohnes und des edeln Kindes sein.
1109 "Ihr sollt auch, Frau, gebieten mit all der Gewalt,
Die Siegfried euch verstattete, der Degen wohlgestalt.
Das Land und auch die Krone soll euch zu Diensten
stehn.
Euch sollen gern gehorchen Die in Siegfriedens Lehn."
1110 Da sagte man den Knechten: "Wir reiten heim
vor Nacht."
Da sah man nach den Rossen eine schnelle Jagd:
Bei den verhaßten Feinden zu leben war ein Leid.
Den Frauen und den Maiden suchte man ihr Reisekleid.
1111 Als König Siegmund gerne weggeritten wär,
Da bat ihre Mutter Kriemhilden sehr,
Sie sollte bei den Freunden im Lande doch bestehn.
Da sprach die Freudenarme: "Das könnte schwerlich
geschehn.
1112 "Wie vermocht ichs, mit den Augen den immer
anzusehn,
Von dem mir armen Weibe so leid ist geschehn?"
Da sprach der junge Geiselher: "Liebe Schwester mein,
Du sollst bei deiner Treue hier mit deiner Mutter sein.
1113 "Die dir das Herz beschwerten und trübten dir den Muth,
Du bedarfst nicht ihrer Dienste, du zehrst von meinem
Gut."
Sie sprach zu dem Recken: "Wie könnte das geschehn?
Vor Leide müst ich sterben, wenn ich Hagen sollte sehn."
1114 "Dessen überheb ich dich, viel liebe Schwester mein.
Du sollst bei deinem Bruder Geiselher hier sein;
Ich will dir wohl vergüten deines Mannes Tod."
Da sprach die Freudenlose: "Das wäre Kriemhilden
Noth."
1115 Als es ihr der Junge so gütlich erbot,
Da begannen auch zu flehen Ute und Gernot
Und ihre treuen Freunde, sie möchte da bestehn:
Sie hätte wenig Sippen unter Siegfriedens Lehn.
1116 "Sie sind euch alle fremde," sprach da Gernot.
"Wie stark auch einer gelte, so rafft ihn doch der Tod.
Bedenkt das, liebe Schwester, und tröstet euern Muth:
Bleibt hier bei euern Freunden, es geräth euch wahrlich
gut."
1117 Da gelobte sie dem Bruder, im Lande zu bestehn.
Man zog herbei die Rosse Denen in Siegmunds Lehn,
Als sie reiten wollten gen Nibelungenland;
Da war auch aufgeladen der Recken Zeug und Gewand.
1118 Da gieng König Siegmund vor Kriemhilden stehn
Und sprach zu der Frauen: "Die in Siegfrieds Lehn
Warten bei den Rossen: reiten wir denn hin,
Da ich gar so ungern hier bei den Burgunden bin."
1119 Frau Kriemhild sprach: "Mir rathen hier die Freunde
mein,
Die besten, die ich habe, bei ihnen soll’ ich sein.
Ich habe keinen Blutsfreund in Nibelungenland."
Leid war es Siegmunden, da er dieß an Kriemhild fand.
1120 Da sprach König Siegmund: "Das laßt euch Niemand
sagen:
Vor allen meinen Freunden sollt ihr die Krone tragen
Nach rechter Königswürde, wie ihr vordem gethan:
Ihr sollt es nicht entgelten, daß ihr verloren habt
den Mann.