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1. KAPITEL

Sie waren auf allen Seiten von Feinden umgeben. Obwohl das Theater in London florierte wie nie zuvor, obwohl es der Hauptstadt des Landes lebhafte Unterhaltung bot und große Zuschauermengen tagtäglich applaudierten, lebten die Theaterleute unter einer ständigen Bedrohung. Schauspielerei war ein gefährliches Geschäft. Die Spieler mußte einen Seiltanz zwischen Ruhm und Vergessenheit aufführen - ohne ein Netz, das ihren Absturz gemildert hätte. Sie mußten mit dem offiziellen Mißfallen des Oberbürgermeisters und der Würdenträger der Stadt rechnen und litten unter der direkten Feindschaft der Kirchenführer, die alles auf der Bühne als Werk des Teufels ansahen und beklagten, daß sich Wüstlinge, Dirnen und Taschendiebe geradezu freizügig unter das Publikum mischten. Protest hagelte von allen Seiten auf sie herab.

Und auch der Applaus der Zuschauer war keine Selbstverständlichkeit. Das Publikum war ein launischer Herr. Wer ihm mit seiner Kunst diente, mußte Stücke aufführen, die gerade in Mode waren, und zwar so, daß sie dem Publikum gefielen. Gleichgültigkeit war eine ständige Bedrohung. Das galt auch für die anderen Theatergesellschaften. Harter Wettbewerb war an der Tagesordnung. Schauspieler konnten abgeworben, Stücke gestohlen werden. Zwischen den Gruppen gab es Kriege, deren Bandbreite von heimtückisch bis brutal alles umfaßte.

Wer diese Kämpfe überlebte, konnte immer noch durch Feuer oder bei Raufereien sein Ende finden. Oft genug hatten Pfeifenraucher die überhängenden Strohdächer in den Theatern in Brand gesetzt, und es konnte jederzeit passieren, daß betrunkene Zuschauer eine Rauferei anzettelten. Wenn menschlicher Einfluß ein Stück nicht be- oder verhinderte, dann gab es auch noch schlechtes Wetter. Die Bühnen lagen unter freiem Himmel, jedem Windstoß und Regen hilflos ausgesetzt. Gott in seiner Weisheit hatte schon so manches Streben nach Unsterblichkeit von der Bühne hinweggespült.

Doch der stumme Feind war der schlimmste.

Er kam von nirgendwoher und bewegte sich lässig unter seinen Opfern. Er hatte keinen Respekt vor Alter, Rang oder Geschlecht und traf seine Opfer mit stolzer Unparteilichkeit, wie eine infizierte Hure, die ihre Krankheit in heißen Umarmungen weitergibt. Nichts konnte seiner Macht widerstehen, und niemand konnte das Geheimnis dieser Macht erahnen. Er konnte Berge überwinden, Ozeane durchmessen, Mauern durchdringen und die stärksten Festungen zu Boden zwingen. Sein verderblicher Einfluß war universal. Jeder Mann, jede Frau und jedes Kind auf der ganzen Erde war seiner Laune ausgeliefert.

Das war der ultimative Feind. Der Untergang in Person.

Lawrence Firethorn sprach im Namen seines ganzen Berufsstandes.

»Die Pest über diese Pest!«

»Sie wird uns unseres Lebensunterhaltes berauben«, sagte Gill.

»Wenn nicht gar unseres Lebens«, fügte Hoode hinzu.

»Gottes Blut über uns!« sagte Firethorn und schlug mit der Faust auf den Tisch. »Welch armseligem Beruf gehören wir doch an. An jeder Ecke warten Meuchelmörder auf uns, und wenn wir ihren Dolchen entweichen können, dann kommt hier die schärfste Axt der Christenheit, um uns den Kopf abzuhacken.«

»Es ist ein Gericht«, sagte Hoode niedergedrückt.

»Vielleicht geht das Unglück ja noch an uns vorüber.« Gill versuchte, halbherzigen Optimismus zu demonstrieren. »Die Fälle von Pesttod haben noch nicht die notwendige Höhe pro Woche erreicht.«

»Aber sie werden es, Barnaby«, sagte Firethorn grimmig. »Das heiße Wetter wird schon bald dazu beitragen, die Stadt zu entvölkern. Wir müssen dem Unglück ins Auge blicken, meine Herren, und alle falsche Hoffnung fahren lassen. Das ist der einzig vernünftige Weg. Diese letzte Besichtigung wird dazu führen, daß jedes Theater in London schließen muß und wir unsere Arbeit für den Sommer einpacken können. Es gibt nur ein einziges Gegenmittel.«

»Eine bittere Medizin, die wir da schlucken müssen«, sagte Hoode.

Barnaby Gill stieß einen Seufzer aus, so tief wie die Themse.

Die drei Männer saßen im Schankraum des Queen's Head in der Gracechurch Street vor ihren Bechern mit spanischem Wein. Das Gasthaus war regelmäßig Schauplatz der Aufführungen von Lord Westfield's Men, einer der führenden Theatergruppen der Stadt. Lawrence Firethorn, Barnaby Gill und Edmund Hoode waren allesamt Teilhaber der Gruppe, anerkannte Schauspieler, deren Namen in das königliche Patent der Gesellschaft eingetragen waren und die die wichtigsten Rollen ihres umfangreichen Repertoires übernahmen. Westfield's Men hatte noch weitere Teilhaber, doch dieses Trio kontrollierte erfolgreich die Geschäfte der Gruppe. So lautete zumindest die Theorie. In Wirklichkeit war es die energiegeladene und beherrschende Persönlichkeit des Lawrence Firethorn, die normalerweise das Sagen hatte und den beiden Kollegen ein Gefühl eigener Autorität vermittelte, während sie tatsächlich nur seine Entscheidungen bestätigten. Er überragte sie alle.

»Meine Herren«, verkündete er tapfer, »wir dürfen uns nicht vom Schicksal bezwingen oder von den Umständen beeinflussen lassen. Laßt uns die Not zur Tugend machen.«

»Tugend, in der Tat!« Gill wurde zynisch.

»Jawohl, Sir.«

»Zeigt es mir, Lawrence«, sagte der andere. »Wo ist die Tugend, wenn wir uns durchs ganze Land schleppen, um unsere Talente vor undankbaren Dummköpfen auszubreiten? Billige Stücke für arme Leute in miserablen Orten bringen uns keinen Heller ein.«

»Westfield's Men paktieren nicht mit der Armut«, sagte Firethorn und hob mahnend den Finger. »Wie einfach auch immer unsere Bühne sein mag, unsere Arbeit bleibt wertvoll und befriedigend. Und wenn das Publikum nur aus ungebildeten Narren besteht, so werden wir ihnen dennoch einen Festschmaus der Worte anbieten.« Seine Brust blähte sich voller Stolz. »Alles, was recht ist, Sir, ich habe mich noch niemals so herabwürdigen lassen, daß ich eine schlechte Schauspielerei geliefert hätte.«

»Darüber kann man geteilter Meinung sein.«

»Was sagt Ihr da, Barnaby?«

»Laßt es gut sein.«

»Wollt Ihr meine Arbeit anzweifeln, Sir?«

»Dazu fehlte mir die Stimme.«

»Das wäre nicht der einzige Mangel bei Euch.«

»Wie war das?«

»Eure Augen, Sir. Denkt an die heilige Bibel. Kehrt zuerst vor Eurer eigenen Tür, bevor Ihr mich angreift.«

»Wie soll ich das verstehen?«

»Seht zu, daß Eure eigene Leistung in Ordnung ist.«

»Das ist nicht nötig«, plusterte Gill sich auf. »Mein Publikum ist durchaus mit meinem Genie vertraut.«

»Warum versteckt es sich dann vor Euren Kollegen?«

»Viper!«

Der Streit war in vollem Gange, Edmund Hoode brauchte mehrere Minuten, bis er die Streithähne beruhigen konnte. Das war für ihn schon eine Routinesache geworden. An der Wurzel der Beziehung zwischen Lawrence Firethorn und Barnaby Gill lag professionelle Eifersucht. Jeder der beiden besaß bemerkenswerte individuelle Talente, deren Kombination großartige Ergebnisse hervorbrachte. Die meisten Erfolge der Gruppe beruhten auf dem Zusammenspiel dieses unvergleichlichen Paares, aber sie schafften es nicht, jenseits der Bühne Harmonie zu finden. Sie kämpften mit unterschiedlichen Waffen. Firethorn benutzte ein verbales Langschwert, das sausend durch die Luft fuhr, während Gill den Dolch bevorzugte, dessen schmale Klinge zwischen die Rippen fahren konnte. Wenn ein Streit sich dem Höhepunkt näherte, war der erste wie der rasende Zorn mit zuckenden Augenbrauen, während der andere zitternde Beleidigung darstellte und höhnisch aufgeworfene Lippen.

Edmund Hoode schlug einen versöhnlichen Ton an.

»Meine Herren, meine Herren, Ihr leistet Euch beide einen schlechten Dienst. Wir sind alle Partner in diesem Geschäft. Gott ist mein Zeuge, in diesen schwierigen Zeiten haben wir schon genug Feinde um uns. Laßt durch zornige Worte nicht noch mehr Unstimmigkeit entstehen. Nehmt Euch zusammen, Sirs. Seid wieder Freunde.«