»Ich werde Euch eine Frage stellen, Mistress.«
»Ich höre voller Bescheidenheit.«
»Ihr berichtet mir, daß Ihr keusch geblieben seid, seitdem Gottes Stimme zu Euch gesprochen hat.«
»Das stimmt, Sir.«
»Hier also nun meine Frage…«
Melhuish suchte nach den richtigen Worten. Dies war ein Thema, das er zuvor noch nie mit einer Frau besprochen hatte, ein Test für seinen Entschluß. Wenn er mit anderen weiblichen Pfarrangehörigen in seiner Sakristei sprach, ging es normalerweise um Tadel, weil sie den Gottesdienst nicht eifrig genug besuchten, oder um die Frage, wie man die Kinder im christlichen Geist erziehen soll. Seine Pflicht zwang ihn jetzt dazu, mit einem Ehepaar ins Bett zu steigen und dafür zu sorgen, daß sie ihre ehelichen Pflichten erfüllten. Für ihn war das unbekanntes Terrain.
»Jetzt meine Frage, Eleanor«, sagte er nervös. »Wenn jetzt ein Mann mit einem scharfen Schwert käme, der deinem Mann den Kopf abschlagen würde, wenn du den guten Kerl nicht wieder in dein Bett nähmst, sag mir ehrlich, denn du hast versprochen, die Wahrheit zu sagen, was würdest du tun?«
»Ich will Euch ehrlich antworten, Sir.«
»Würdest du Humphrey Budden erlauben, mit der zu schlafen, oder würdest du wünschen, daß ihm der Kopf abgeschlagen würde?«
»Ich würde lieber sehen, daß er getötet würde.«
»Das ist die reinste Grausamkeit, Frau!«
»Ich kann nichts daran ändern«, sagte Eleanor ruhig. »Wir müssen allem Schmutz den Rücken kehren.«
»Gott hat die Liebe zwischen Mann und Frau befohlen.«
»Ich habe mich Seinen Zwecken bereits dreimal unterworfen.«
»Ist das alles?« fragte der Priester voller Überraschung. »Humphrey sprach aber von täglicher Befriedigung.«
»Ich meine, daß ich mein Bett mit drei Ehemännern geteilt habe, Sir. Keiner von ihnen hat sich über meine Liebeslust beschwert.«
»Aber jetzt, Schwester.«
»Die Zeiten haben sich geändert.«
Miles Melhuish spürte, daß ihm die Kontrolle entglitt. Der Zweck seiner Prüfung war es gewesen, genügend Druck auf Eleanor Budden auszuüben, daß sie ihre Irrwege erkannte, aber sie war völlig ungerührt, als er sie zurechtwies. Sie kam immer wieder darauf zurück, daß dies das Wort Gottes sei; das genau war der Punkt, den er widerlegen mußte. Unzählige Jahre unermüdlichen Gebetes hatten ihm seinen eigenen besonderen Zugang zum göttlichen Auftrag gegeben, und er spürte, daß er die Stimme Gottes wesentlich besser kannte als die Frau irgendeines Spitzenmachers, sosehr sie auch ihre Unterwürfigkeit verteidigte.
»Wann hat Gott zum erstenmal mit dir gesprochen?« fragte er.
»Das ist jetzt vierzehn Tage her.«
»Wo befandest du dich zu dem Zeitpunkt?«
»Auf dem Markt, Fische kaufen, Sir.«
Miles Melhuish zuckte zusammen. »Gott der Herr sprach zu dir inmitten des Gestanks von Makrelen?«
»Ich habe Ihn klar und deutlich gehört.«
»Welche Worte benutzt Er auf dem Markt?«
»Er sagte: ›Schieb deinen Gatten beiseite und folge mir.‹ Gott rief mich bei meinem Namen, und ich habe Ihm sofort gehorcht.«
»Was hast du dann gemacht?«
»Ich ging nach Hause und in unser Schlafzimmer. Dort haben wir ein Kreuz an der Wand, damit Jesus auf uns aufpassen kann. Dann habe ich meine Sendung verkündet.«
»Und wie geschah das, gute Frau?«
»Das ist ja das Wunder dabei«, sagte sie mit einem Schulterzucken, das ihre Brüste in einladende Bewegung versetzte. »Ich weiß nicht, was dann über mich kam. Aber als ich die Augen öffnete, lag ich auf dem Fußboden, und Ihr standet mit meinem Mann vor mir, und überall war glückseliger Friede.«
»Erinnert Ihr Euch nicht an das Geschrei, das Ihr gemacht habt?«
»Geschrei, Sir?«
»Ihr habt einen geradezu wahnsinnigen Schrei ausgestoßen.«
»Ich weinte über den schmerzhaften Tod des Herrn.«
Miles Melhuish schlug alle Vorsicht in den Wind und setzte sich ihr gegenüber. Bisher hatten irregeleitete Hausfrauen immer auf einen schweren Verweis reagiert. Jetzt war Schluß damit, die Frau in ihren Wahnvorstellungen zu ermutigen, jetzt mußte sie mit fester Hand auf den schmalen und geraden Weg ehelicher Pflichten zurückgeführt werden. Er runzelte die Stirn und sammelte seine Fähigkeiten als Prediger.
»Werft diese falschen Gedanken über Bord!« warnte er sie. »Wenn Ihr Gott dienen wollt, dann tut das, indem Ihr einem Seiner Diener den gehörigen Respekt erweist. Nur innerhalb der vier Wände dieser Pfarrkirche vermögt Ihr Seine Stimme zu vernehmen, und nicht auf dem Fischmarkt in Nottingham.« Sie wirkte ordentlich zerknirscht, das spornte ihn an. »Kehrt zu Humphrey Budden zurück. Er ist ein guter Ehemann und verdient eine bessere Behandlung von seiner Gefährtin. Ich will von dieser Keuschheit im Ehebett nichts mehr hören. Umarmt Euren Gemahl. Schenkt ihm die Kinder, die er sich wünscht. Fügt unserer Pfarre ein paar kleine Pfarrkinder hinzu. Nur das ist Eure heilige Pflicht und Aufgabe auf dieser Erde.«
Er hatte gewonnen. Eleanor Budden saß da mit gesenktem Kopf und hängenden Schultern, verschüchtert, sanft und von seinen ernsthaften Vorhaltungen getroffen. Das war wie ein kleiner Sieg für ihn, der ihm ein mageres Gefühl von Bedeutung vermittelte. Er setzte sich auf seinem Stuhl aufrecht hin, um seine ganze kirchliche Autorität auszuspielen.
Währenddessen saß sie da in vollständiger Unterwürfigkeit.
Dann fing sie an zu lachen. Es begann als Glucksen, halb unterdrückt durch ihre vorgehaltene Hand. Dann wurde es zum Kichern, geradezu mädchenhaft vorlaut, steigerte sich von Sekunde zu Sekunde bis zu einer Lachsalve, aus vollem Hals, die ihren ganzen Körper in Bewegung brachte, steigerte sich zu einem brüllenden Gelächter, das die Sakristei erfüllte, und verwandelte sich schließlich und völlig unerklärlich in ein unheimliches und unkontrollierbares Lachen, das zu einem Crescendo anstieg und plötzlich anbrach.
Ihre Augen, die voller Schalk blitzen konnten, füllten sich mit Tränen der Zerknirschung, ihre Hände, die wild durch die Luft gewedelt hatten, schlossen sich zum Gebet. Miles Melhuish krümmte sich unter der Intensität ihres Blickes und schwor sich, den Fall an die Generalsynode weiterzugeben. Er befand sich in der unmittelbaren Nähe von Zauberei. Nur der Dekan war in der Lage, zu solch schwerwiegenden Dingen Stellung zu nehmen.
Die Tränen versiegten, doch der starre Blick blieb. Er ertrug ihr besessenes Glühen, bis ihm klar wurde, daß sie gar nicht ihn anstarrte, sondern irgend etwas hinter ihm. Als er sich herumdrehte, sah er, was sie versteinert und verklärt hatte. Es war ein kleines Spitzbogenfenster, in dem ein eifriger Künstler ein sehr zu Herzen gehendes Bild in Blei gefaßt hatte. Christus am Kreuz, die Dornenkrone auf dem Kopf. Das runde Gesicht war von langem, blondem Haar und einem Vollbart umrahmt, beides mit goldenem Glanz von der Sonne, die durch das Fenster schien. Märtyrerqualen und Majestät spiegelten sich in diesem Bild.
Eleanor Budden stieß einen Seufzer reinster Verzauberung aus.
Sie war verliebt.
*
Nicholas Bracewell fuhr sich mit nassen Händen durchs Haar und warf seine Mähne zurück, als er die Waschungen unter der Pumpe im Hof des Gasthauses beendet hatte. Kurz nach dem Morgengrauen war er aufgestanden, die Sonne warf ihre ersten Strahlen auf den jungen Tag. Vor der Abreise gab es noch viel zu tun. Nicholas mußte das Füttern und Anschirren der Pferde überwachen, das Beladen des Fuhrwerks, die Kontrolle der Ladung überprüfen, um sicher zu sein, daß nichts Wertvolles vergessen wurde, die Abrechnung mit dem Gastwirt machen und die Beschwichtigung der Frau des Wirtes versuchen, die Lawrence Firethorn in seinem trunken Überschwang mit einem der Schankmädchen verwechselt und liebestoll in seine Arme gerissen hatte. Ferner hatte er den Lehrlingen Fechtunterricht versprochen, und dann mußten Vorräte für die Reise eingekauft werden. Die Arbeit des Regisseurs ging nie aus.