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Die beiden Reiter brachen zu ihrer Expedition auf. Obwohl Millfield noch nie zuvor in dem Haus gewesen war, schien er eine geistige Landkarte vor seinem inneren Auge zu haben. Vier Meilen flotten Rittes auf ausgetrampelten Pfaden brachten sie auf die Spitze eines Hügels, von wo sie einen herrlichen Blick auf Pomeroy Manor hatten. Sie hielten ihre Tiere an, um den Anblick zu genießen. Der war wirklich beeindruckend.

Das Gebäude stand auf der Fläche eines alten, von Gräben umgebenen Rittersitzes, der der Kirche gehört hatte. Als die Klöster unter Heinrich VIII. aufgelöst wurden, hatte die Familie Pomeroy den Besitz erworben und mit Ziegeln aus der Tudor-Zeit wieder aufgebaut, mit acht Kaminen, die über Stufen-Giebeln aufragten. Die Fenster hatten niedrige Mittelpfosten und Sprossen, gemauert aus Lehmziegeln in einem sanften Grau. Ein überdachter Vorbau förderte die Harmonie des Bauwerkes und diente einem Feuerwerk der schönsten Rosen als Rankhilfe. Efeu setzte zum Angriff auf die vorderen Wände an.

»Es ist genau so, wie ich es mir vorgestellt hatte«, sagte Millfield.

»Ein seltener Anblick in dieser Grafschaft«, bemerkte Nicholas.

»Was meint Ihr damit, Sir?«

»Aus Ziegelstein gebaute Häuser dieses Typs findet man normalerweise nur in East Anglia. Hat Master Pomeroy Verbindungen zu jenem Teil des Landes?«

»So muß ich wohl annehmen.«

»Woher stammen all diese Informationen?«

»Vom Zuhören an den richtigen Stellen.«

Millfield gluckste und trieb sein Pferd vorwärts.

Nach den Enttäuschungen in Ware und Royston bekamen sie hier eine angemessene Entschädigung. Als der Hausherr von ihrer Ankunft erfuhr, ließ er sie in den Raum führen, in dem er mit seinem Verwalter über den Wirtschaftsbüchern gesessen hatte.

Neville Pomeroy war ein kräftig gebauter Mann mittleren Alters, mit lockigem grauem Haar und gemessenen Bewegungen. Er begrüßte sie herzlich, hörte sie an und nickte begeistert. Sie hatten Glück.

»Ihr konntet zu keiner besseren Zeit kommen. Gentlemen«, sagte er. »Ich bin gerade heute erst aus London zurückgekehrt und fürchtete schon, Euch verpaßt zu haben, als Ihr in Royston wart.«

»Ihr wußtet von unserer Anwesenheit dort?« fragte Nicholas.

»Durch Lord Westfield persönlich. Wir haben gemeinsame Freunde in der Stadt. Ich habe seine Gruppe auf der Bühne gesehen und behaupte, es gibt keine bessere. Master Firethorn erwiese mir eine ganz besondere Ehre, wenn er in meinem Hause spielen würde.«

»Dann können wir also einen Vertrag aufsetzen?«

»In der Tat, Master Bracewell. Ich brauche einen Tag, um die Nachricht zu verbreiten und ein Publikum zusammenzutrommeln, aber - wenn Ihr solange warten wollt — dann kann ich Euch für morgen einen herzlichen Empfang versprechen. Aus wieviel Personen besteht die Gruppe?«

»Gerade fünfzehn Personen, Sir.«

»Dann müßt Ihr im nahe gelegenen Gasthof übernachten. The Pomeroys Arms gibt Euch auf mein Geheiß freie Kost und Logis. Es ist nur ein kleines Haus, aber es sollte Euren Zwecken genügen.«

»Wir danken Euch ganz herzlich, Sir.«

»Der Dank ist ganz auf meiner Seite. Ich liebe das Theater. « 

»Welches Stück möchtet Ihr sehen?«

»›Tarquinius von Rom‹.«

Das war eine unerwartete Wahl, aber Nicholas stellte keine Fragen. Das Stück war eine Tragödie um Tyrannei und Verrat, etwas merkwürdig für eine Aufführung an einem warmen Sommerabend in einem Privathaus, dennoch bewies es den ernsthaften Kenner der dramatischen Kunst. »Tarquinis von Rom« war ein außergewöhnlich gut geschriebenes Stück. Es bediente die Titelrolle mit Partien, die das Blut beschleunigten und die Seele entflammten. Pomeroy hatte klug gewählt.

Nicholas und Millfield ritten zu ihren Freunden zurück. Ihre Nachrichten wurden mit Genugtuung aufgenommen. Firethorn traf auf der Stelle seine Entscheidungen. »Tarquinius von Rom« war nicht geplant gewesen auf ihrer Tournee, sie hatten weder die Kostüme noch die Kulissen dafür bei sich, doch der Erste Schauspieler ließ sich dadurch keineswegs abhalten.

»Sie sollen das Stück bekommen, Nick.«

»Das habe ich Master Pomeroy auch so versprochen.«

»Wir haben einen Tag, um uns vorzubereiten. Das reicht. Gebt mir vierundzwanzig Stunden, und ich bin Tarquinius, wie er leibt und lebt.«

Er stürzte sich auf die Rede beim Höhepunkt der Sterbeszene, die Verse sprudelten aus ihm heraus wie ein Sturzbach. Lawrence Firethorn hatte das hervorragende Gedächtnis des wahren Schauspielers, der keine Zeile eines Textes vergißt, den er jemals auswendig gelernt hat. Er hatte an die fünfzig Rollen im Kopf, jede von besonderer Komplexität, doch er konnte sie auf Befehl sofort vortragen. In seinem mitreißenden Überschwang rezitierte er weitere Monologe des Tarquinius und ließ seine Zuhörer einem Wunder lauschen.

Nicholas Bracewell wurde nachdenklich, dann schnippte er mit den Fingern und nickte sich selbst zu.

Edmund Hoode stand nahe genug bei ihm, um dieses merkwürdige Verhalten zu bemerken.

»Warum nickt Ihr denn so, Nick?«

»Ich glaube, ich habe ihr Geheimnis entdeckt, Edmund.«

»Wessen Geheimnis?«

»Banbury's Men.«

»Diese widerlichen Typen! Die haben unsere Stücke gestohlen!«

»Ich glaube, ich weiß jetzt auch wie.«

*

Grantham gab ihnen Applaus, der mehrere Minuten anhielt, Giles Randolph badete geradezu darin. Das Publikum, das auch aus den umliegenden Dörfern der Grafschaft Lincolnshire in Massen herbeigeströmt war, hatte etwas so Großartiges wie »Pompeius der Große« noch nie erlebt. Die Zuschauer, die erschienen waren, um einen von diesen ländlichen Schwänken zu sehen, die typisch waren für herumziehende Theatergruppen, fühlten sich zu Beginn etwas unwohl. Sie wurden mit einem Stück voller militärischer Pracht und politischer Intrigen konfrontiert, doch schon bald waren sie begeistert bei der Sache, während sich das Drama in meisterlicher Darstellungskunst vor ihnen entfaltete. Es gehörte zu Edmund Hoodes besten Stücken, und Banbury's Men machten das Beste daraus.

Giles Randolph zeigte eine interessante und anregende Interpretation der Hauptrolle, doch es fehlte ihm eben Lawrence Firethorns martialisches Gewicht und schauspielerische Präsenz. Doch die Mängel seiner Darstellung blieben ihm und seinem Publikum glücklicherweise verborgen. Er selber war durch und durch davon überzeugt, daß seine Kunst eine Qualität weit jenseits der Möglichkeiten des verhaßten Rivalen erreicht hatte, und daß er seine überragende Meisterschaft auf unmißverständliche und eindeutige Weise bewiesen hatte. Der aufbrandende Applaus bestärkte noch seine Selbstgefälligkeit. Im Theater seiner eigenen Phantasie hatte er Firethorn tot und begraben hinter sich gelassen.

Eine Triumphfeier war angebracht. Pompeius der Große tafelte stilvoll mit seiner Gruppe in einem Gasthaus am Ort. Nach all den Jahren im Schatten von Westfield's Men war es ein wunderbares Gefühl, seine Rivalen beiseite zu fegen und in den vollen Glanz der Sonne hinauszutreten.

Neben Giles Randolph saß ein gedankenverlorener junger Mann mit einem Ausdruck stiller Selbstzufriedenheit auf dem Gesicht. Der führende Schauspieler wollte noch mehr Applaus hören.

»War ich nicht großartig auf der Bühne, Sir?«

»Ihr wart geradezu der Geist des Pompeius.«

»Habe ich seine Größe nicht wunderbar getroffen?«

»Mit jedem Wort und in jeder Geste, Master Randolph.«

»Das Publikum war fasziniert.«

»Wie hätte es anders sein können?«

»Ich wandelte im Elysium.«

Mark Scruton lächelte zustimmend. Seine ganze Zukunft hing vom Erfolg von Banbury's Men ab, und er ließ sich von niemand in der Lobpreisung des Stars übertreffen. Giles Randolph ließ eben nur die Qualität des absoluten Meisters vermissen. In den meisten  Stücken des eigenen Repertoires war er zwar nie weniger als hypnotisch, aber auch nie ganz brillant. Die Qualität der Stücke, mit denen er auftrat, setzte ihm Grenzen. Bei einem wirklich hervorragenden Stück und in einer Rolle, die er mit Leib und Seele verkörpern konnte, schaffte er es durchaus, wahre Meisterschaft zu beweisen.